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ITALIEN/251: 2018 ein schwarzes Jahr für Italien - Regierung installiert ein faschistisches Regime (Gerhard Feldbauer)


Anno nero in Italia

Die Regierung der rassistischen Lega installiert mit Schützenhilfe der rechten Fünf-Sterne-Bewegung ein faschistisches Regime

von Gerhard Feldbauer, 20. Dezember 2018


Das Jahr 2018 wurde entscheidend durch die Ergebnisse der Parlamentswahlen am 2. März geprägt. Über der Wahlkampagne lag bereits der schwarze Schatten der in einer faschistischen Koalition antretenden rassistischen Lega Matteo Salvinis, der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Silvio Berlusconi und der aus der früheren Mussolini-Nachfolgepartei MSI, später Alleanza Nazionale (AN), hervorgegangenen Fratelli-Brüder Italiens (FdI) von Giorgia Meloni.

Das Bündnis wurde mit zirka 36 Prozent stärkste Kraft. Die Lega, die Nord aus ihrem Namen gestrichen und erstmals gesamtnational angetreten war, kam auf 17,4 Prozent, während die FI auf 14 absank. Von nun galt Lega-Chef Salvini als Führer der Koalition. Die von ihrer Geburt 2009 an rechtslastige Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) hatte sich mit scharfen Attacken gegen Berlusconi ein linkes Outfit verschafft und kam mit knapp 33 Prozent auf Platz zwei.

Eine katastrophale Niederlage erlitt die zehn Jahre vorher aus einer Fusion von Linksdemokraten und der rechten Zentrumspartei Margherita hervorgegangene Partito Democratico (PD), die von 40 Prozent bei den EU-Wahlen 2014 auf 18,7 Prozent absackte. Der frühere Christdemokrat Matteo Renzi, bis 2017 Premier, hatte als Parteichef über weite Strecken mit Berlusconi kollaboriert und mit ihm nach den Wahlen selbst eine Regierung nicht ausgeschlossen. Aus Protest dagegen hatten rund 100.000 Mitglieder, meist frühere Linksdemokraten, die PD verlassen. Sie bildeten eine Bewegung Freie und Gleiche (LeU) und eine Potere al Popolo (PaP). Die Bildung eines traditionellen Mitte-Links-Bündnisses zu den Wahlen scheiterte vor allem an der Ablehnung der PD. Nur die LeU schaffte mit 3,4 Prozent den Sprung über die 3-Prozent Sperrklausel und den Einzug ins Parlament. Die PaP, in der auch Kommunisten vertreten sind und die als einzige antikapitalistische Linke klare antifaschistische Positionen bezog, kam nur auf 1,1 Prozent.

Nach der Wahl ließ M5S-Führer Luigi Di Maio, Sohn eines aktiven MSI/AN-Faschisten, alle "linken" Hüllen fallen und steuerte eine Koalition mit der Lega an. Bereits bei den Bürgermeisterwahlen 2016 war die Kandidatin der Fünf Sterne, Virginia Raggi, nur mit Unterstützung Salvinis und den Stimmen der FdI ins Amt gekommen. Zum Dank dafür behielt sie lange Zeit mehrere Gefolgsleute des früheren AN-Bürgermeisters Giovanni Alemanno im Amt. In Rom wollte sie eine Strasse nach dem langjährigen MSI-Führer, dem früheren Staatssekretär des "Duce" und verurteilten Kriegsverbrecher, Giorgio Almirante, benennen, was scharfe antifaschistische Proteste verhinderten.

Nach drei Monaten machtbesessenem Streit zwischen Di Maio und Salvini um den Posten des Premiers kam ein Kompromiss zustande. Staatspräsident Sergio Mattarella akzeptierte, den der M5S nahestehenden parteilosen Wirtschaftsprofessor Giuseppe Conte zum Regierungschef zu berufen. Salvini wurde Innenminister, Di Maio Wirtschafts- und Arbeitsminister, beide Vizepremiers. Mit der Lega kam eine seit ihrer Geburt 1991 offen rassistische und sich ohne Abstriche zum Erbe des Mussolini-Faschismus bekennende Partei an die Regierung.

Diese demagogisch als "gelb-grün" apostrophierte Regierung kopiert "in beängstigender Weise den historischen Faschismus", schätzt der Philosophie-Professor und antifaschistische Publizist, Giuseppe Aragno, im Gespräch mit dem Autor ein. "Dieser Salvini, der die Faschisten der Casa Pound die Drecksarbeit verrichten lässt, der Bürgerwehren zur Jagd auf Migranten aufstellt, verkörpert die aus dem Sqadrismus (Terror) Mussolinis bekannte Schlägerseele". Die Schützenhilfe der M5S für die Lega erinnere "an typische Stützen, der sich der aus den Reihen der Sozialisten kommende Mussolini bediente", so Aragno.

Eine der ersten Maßnahmen Salvinis war, eine »Volkszählung« unter den geschätzten 120.000 bis 180.000 Sinti und Roma im Land anzukündigen, um sie aus Italien zu vertreiben. Damit knüpfte der Vizepremier, wie das linke Manifesto schrieb, an den Antiziganismus der Nazis an, der »zu den widerwärtigsten und niederträchtigsten Formen des Rassismus« gehöre. Das kommunistische Internetportal Contropiano erinnerte daran, dass die Nazis neben der »Endlösung der Judenfrage« die »Lösung« des »Zigeunerproblems« durch Vernichtung in den Konzentrationslagern Dachau, Flossenbürg und vor allem Auschwitz betrieben.

Die Politik Salvinis, der als der eigentliche Regierungschef gilt, ist seitdem durch einen permanenten Bruch der Verfassung, die Ausschaltung der Justiz als unabhängiger Staatsgewalt und einen Demokratie-Abbau, beginnend in Medien wie der Rundfunk- und Fernsehanstalt RAI und der Nachrichtenagentur ANSA, beide staatliche Institutionen, gekennzeichnet. Den Migranten wird die Schuld für die wirtschaftliche und soziale Misere Italiens angelastet, sie werden als Kriminelle diffamiert und aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Seit Juni gab es zahlreiche rassistische Mordanschläge. Migranten werden aus ihren Wohnunterkünften vertrieben, und ihnen werden Sozialleistungen gestrichen oder gekürzt.

Die Aufnahme von Flüchtlingen, die vor Krieg, Terror und Verfolgung fliehen, ist auf ein Minimum reduziert worden. Hilfsschiffe mit Geretteten dürfen italienische Häfen nicht mehr anlaufen. "Diese Regierung hat keine Antworten auf die Probleme des Landes, sie schürt den Krieg zwischen den Armen, schafft neue Rassengesetze, mit ihrer Ablehnung der Schwangerschaftsunterbrechungen und der Scheidung führt sie das Land ins Mittelalter zurück", schätzt Giuseppe Aragno ein.

Vorerst letzter Akt dieser Schritt für Schritt vor sich gehenden Installierung eines an Mussolini orientierten faschistischen Regimes war Anfang Dezember die Durchpeitschung eines von Salvini vorgelegten sogenannten Sicherheitsdekrets durch die Mehrheit der Regierung im Parlament. Mit dem von Experten als verfassungswidrig eingeschätzten, nun zum Gesetz erhobenen Erlass wird de facto das in der Verfassung verbürgte Asylrecht beseitigt. Salvini will danach 490.000 Migranten, die sich angeblich »illegal in Italien aufhalten« würden, abschieben lassen. Die Brisanz dieser Entwicklung liegt darin, dass sie im Rahmen des Parlaments vor sich geht, so den Schein "demokratischer Legitimität" erhält und über den ungeheuer gewachsenen modernen Medieneinfluss, verkörpert durch das Fernsehmonopol Berlusconis, zu einem Konsens mit dem Faschismus führt.

An der Basis der Sterne-Bewegung wächst jedoch der Widerstand gegen die Regierung mit der Lega, der sich bereits in Parteiaustritten zeigt. Die Basis ist enttäuscht, dass Di Maio ein halbes Jahr nach dem Eintritt in die Regierung nicht in der Lage ist, auch nur eines der Wahlversprechen - ein Mindesteinkommen, Verbesserung der Renten und Steuererleichterungen - zu verwirklichen. Bei der Abstimmung über das "Sicherheitsdekret" kam es erstmals offen zum Eklat. 14 M5S-Abgeordnete blieben der Abstimmung fern, auch im Senat gab es Ablehnung. Mit der Drohung, bei einer Ablehnung sei »mit der gemeinsamen Regierung Schluss«, hatte Salvini, verbunden mit der Vertrauensfrage, die Zustimmung der M5S durchgesetzt.

Fürs erste hat die Drohung gewirkt, aber wie die römische Zeitung La Repubblica schrieb, dürfte es spätestens nach den EU-Wahlen im Mai 2019 mit der Koalition zu Ende sein. Am 13. Dezember korrigierte das Blatt und schrieb, Salvini erwäge bereits "im März vorgezogene Wahlen". Meinungsumfragen sagen der Lega dabei eine Verdoppelung ihrer Stimmen auf rund 34 Prozent voraus, während M5S unter die 30 Prozent-Marke sinken würde. Für den Lega-Chef wäre der Weg an die Spitze der Regierung frei.

Ein solches Wahlergebnis könnte sich auf die EU-Wahlen auswirken, wo Salvini mit Frankreichs Chefin des faschistischen Rassemblement National (früher Front National), Marie Le Pen, im Oktober ein Bündnis verkündete, das als Kern einer Allianz über die sogenannten Visegrád-Staaten (Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei) alle neofaschistischen Wählerpotentiale Europas einbeziehen und ihm die Führung der EU sichern soll.

Der Ablenkung von diesen brandgefährlichen rechtsextremen Zielen dient die Zuspitzung der Konfrontation mit Brüssel über die steigende Staatsverschuldung und den Fiskalpakt durch das Duo Salvini-Di Maio, den Brüssel deckelt. Jüngstes Manöver ist der Vorschlag Salvinis zur Schaffung einer (auch hier dem Geist Mussolinis entsprechenden) Achse mit Berlin zur Unterordnung der EU unter eine deutsch-italienische Vorherrschaft. Das zielt darauf ab, die deutsche Regierung vor den Karren einer rechtsextrem ausgerichteten Brüsseler Union zu spannen und Salvinis Kumpanen in der AfD Auftrieb zu verschaffen. In diesem abgekarteten Spiel haben inzwischen auch »führende Kreise der Padrone« (sprich des Kapitals), wie La Repubblica vermeldete, die Seiten gewechselt. Standen sie vorher zur PD-geführten Regierung, ist der Verband der Großindustriellen Confindustria jetzt für eine von Salvini dominierte Regierung.

Es gibt von der linken, antifaschistischen Basis und die Verfassung verteidigenden Kräften ausgehenden Widerstand gegen die faschistische Entwicklung. Immer wieder gehen Zehntausende auf die Strasse und sagen dem Rassismus den Kampf an. Ein Höhepunkt war im September die Demonstration von über einhunderttausend Menschen unterschiedlichster politischer Anschauungen von Perugia nach Assisi, die gemeinsam forderten, dem menschenfeindlichen Kurs der Regierung Einhalt zu gebieten. Aber die Opposition bleibt tief gespalten und ohne eine gemeinsame Orientierung.

Es gilt noch immer, was Antonio Gramsci 1926 in seiner antifaschistischen Bündniskonzeption vom "Historischen Block" formulierte: Ein breite Allianz aller nationalen Kräfte zu schaffen. "Um diese Regierung zu stoppen und zu Fall zu bringen, muss dem Land die Linke zurückgegeben werden, die unerlässlich ist, um eine breite antifaschistische, antineoliberale Front zu bilden", so Aragno, der zur Leitung der Potere al Popolo gehört.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2018

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