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ITALIEN/518: Erinnerung an die COVID-19-Pandemie - fast 200.000 Tote in Italien (Gerhard Feldbauer)


Erinnerung an die COVID-19-Pandemie

In Italien zahlten 198.320 Tote den Preis für 30 Jahre neoliberale Politik - für soziale Kürzungen, Privatisierungen und Kapazitätsreduzierungen im Krankenhausbereich

von Gerhard Feldbauer, 17. März 2025


In Italien wurde in diesen Tagen an die vor fünf Jahren weltweit ausgebrochene Corona-Pandemie COVID-19 erinnert, von der das Mittelmeerland als eines der ersten Länder in Europa sehr früh und besonders stark betroffen war. Nachdem es im Februar 2020 die ersten Infizierten gab, hatte die Seuche bis zum 19. März bereits 3.405 Menschen dahingerafft, davon die meisten in der Lombardei, die ein Epizentrum wurde. Ende März gab es über 77.000 Infizierte, die Zahl der Toten hatte sich mit etwa 12.500 mehr als verdreifacht. Nach einer von der Nachrichtenagentur ANSA veröffentlichten amtlichen Statistik vom 3. März 2025 gab es in Italien bei COVID-19 insgesamt 198.320 Tote. Sie zahlten den Preis für 30 Jahre neoliberale Politik, für soziale Kürzungen, Privatisierungen und Kapazitätsreduzierungen im Krankenhausbereich, schätzte der Professor für Geschichte der Philosophie an der Universität von Urbino, Stefano G. Azzarà. Der damalige Bürgermeister von Palermo, der Antimafia-Kämpfer Leoluca Orlando, nannte die "unvorstellbare Explosion der Armut" einen Faktor, der die Zahl der Opfer in die Höhe trieb.

Hinter der Zahl der Toten verbargen sich unbeschreibliche Szenen, die sich nach dem Ausbruch abspielten. In der norditalienischen Stadt Bergamo konnten die Leichen nicht mehr bestattet werden, weil die Krematorien mit der Verbrennung nicht nachkamen. Zeitungsberichte zeigten Fotos von 13 mit Särgen beladenen Militärtransportern, die in der Nacht vom 18. auf den 19. März 2020 durch das Zentrum von Bergamo fuhren und die Toten außerhalb der Stadt vor den Friedhofsmauern abluden. Das Gesundheitssystem in vielen norditalienischen Provinzen war so überlastet, dass viele Patienten nicht oder nicht angemessen behandelt werden konnten und Klinikärzte genötigt waren, eine Auswahl bei der Behandlung vorzunehmen.

Die Regierung, die zu dieser Zeit von den äußert rechten Parteien Forza Italia (FI) und der Lega gebildet wurde, an der sich der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) und die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) beteiligten, ordnete an, Universitäten, Schulen und Kindergärten, auch Kinos, Theater und Museen landesweit zu schließen. Für bestimmte Fußballspiele wurden die Besuche untersagt oder eingeschränkt, die Öffnungszeiten von Läden und Restaurants begrenzt. Die bei Italienern beliebten Bars mussten um 18 Uhr schließen.

Während alle Bürger zu Hause bleiben sollten, ließ die Regierung gleichzeitig zu, dass Unternehmen ihre nicht wichtige Industrieproduktion, darunter in dem Weltraum- und Rüstungskonzern Leonardo, fortsetzen und die Arbeiter unnötigen Risiken aussetzen durfte. Erst nach Protesten der Gewerkschaften und Streiks der Arbeiter wurde eine Liste von Unternehmen erstellt, die weiter produzieren durften. Aus Angst, die Nahrungsmittelversorgung könnte zusammenbrechen, wurden Supermärkte gestürmt, was erst nachließ, als die Regierung versicherte, die Lebensmittelversorgung sei gesichert. Gegen die unzureichenden Schutzmaßnahmen, durch die sich ein Gefängnisinsasse in Modena infiziert hatte, kam es dort sowie in Frosinone, Neapel und insgesamt 27 Haftanstalten zu Häftlingsrevolten, bei denen ein Gefangener ums Leben kam. Erst unter der Regierung von Mario Draghi wurden zum 1. Mai 2022 die meisten COVID-Beschränkungen aufgehoben.

Dieser Notfall deckt die strukturellen Schwächen der kapitalistischen Gesellschaft auf, in der die politischen und Managemententscheidungen wesentlich von den wirtschaftlichen Interessen der herrschenden Klasse - die Produktion nicht stoppen, damit der Wettbewerb um Gewinne weitergehen kann - abhängen, so Professor Azzara, der darauf verwies, dass China, aus der Perspektive vieler noch weitgehend ein Entwicklungsland, die Coronaviruskrise tatsächlich besser und schneller gemeistert habe als Italien, ein führendes Industrieland. Die Lage in Italien war derart katastrophal, dass das Land als erster westeuropäischer Staat Kuba und China um Hilfe bat, die diese auch gewährten. Wie ANSA damals berichtete, traf aus Peking bereits am 18. März 2020 ein erstes neunköpfiges Team mit 31 Tonnen dringend benötigter Ausrüstung, darunter Beatmungsgeräte, Schutzbekleidung und -masken und Medikamente, in Rom ein. Die Güter wurden zum Teil von der chinesischen Regierung, zum Teil von Firmen gespendet. Eine zweite Maschine mit Personal und Ausrüstung landete am gleichen Tag in Mailand. Eine Gruppe der Mediziner aus China begab sich in das besonders schwer von der Virus-Epidemie betroffene Norditalien, machte sich vor Ort ein Bild von der Lage und konnte konkrete Ratschläge geben, wie der Pressesprecher des Croce Rossa Italiana, Marcello de Angelis, sagte, der betonte: "Die chinesischen Experten haben sehr viel Erfahrungen, die Italien jetzt dringend braucht. In der Epidemiebekämpfung hat China bislang beträchtliche Erfolge erzielt. Daher möchten wir mit den chinesischen Experten auf internationaler Ebene zusammenarbeiten."

Im März 2020 landete ein erstes Ärzteteam aus Kuba in Mailand. Die 51 Ärzte und Krankenschwestern unterstützten in der nördlichen Lombardei die örtlichen Behörden bei der Bekämpfung von COVID-19.

Die politischen Kräfte in Italien akzeptierten zwar mit großer Verlegenheit die Hilfe der sozialistischen Länder, aber die Diffamierungsmaschinerie ihres Mediensystems arbeitete kontinuierlich weiter, um zu verhindern, dass die Sympathien für China oder Kuba wachsen. Intellektuelle, Journalisten und Professoren fuhren fort, täglich weiter vor der "roten Gefahr" zu warnen und erklärten, dass China kein "Vorbild" werden dürfe, kommentierte Professor Azzara.

Inzwischen geht das Gerangel um die Schuldfrage über ungenügende Maßnahmen zur Abwehr und Bekämpfung der Pandemie weiter. Knapp vier Jahre nach Beginn von COVID-19 hat die Regierung von Ministerpräsidentin Meloni mit ihrer Mehrheit im Parlament einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der sich mit dem Vorgehen der damaligen Regierung unter Premier Giuseppe Conte, heute Vorsitzender von M5S, sowie dem damaligen Gesundheitsminister Roberto Speranza (PD) befassen soll.

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Quelle:
© 2025 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 21. März 2025

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