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SPANIEN/026: Parlamentswahlen in Katalonien - Fluch oder Segen? (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Parlamentswahlen in Katalonien: Fluch oder Segen?

Von Krystyna Schreiber, 22. Dezember 2017



Bild: © Krystyna Schreiber

Lange Schlangen vor den Wahllokalen
Bild: © Krystyna Schreiber

Barcelona, Spanien - 22.12.2017. Wie zu erwarten, bleibt auch nach den Wahlen in Katalonien der Konflikt ungelöst. Allein an der Wahlbeteiligung konnte man sehen, wie stark die Frage der Unabhängigkeit mobilisiert, und am Ergebnis, wie sehr sie polarisiert. Mehr als 5,5 Millionen Wahlberechtigte waren gestern aufgerufen, ihr Votum über die Politik der letzten Monate der spanischen und katalanischen Führungen abzugeben. Fast 82 Prozent nahmen an der von Madrid auferlegten Regionalwahl teil, eine historische Rekordzahl.

Die Erwartungshaltung war in Spanien und im Ausland sehr hoch. Würde sich der Separatismus nach all dem, was der spanische Staat ihm entgegengesetzt hat, durchsetzen?

Die Antwort ist eindeutig. Tatsächlich haben die drei Unabhängigkeitsparteien ihre absolute parlamentarische Mehrheit von 2015 knapp bestätigen können (mit 70 von 135 Sitzen). Carles Puigdemont hat sich vom Exil aus durchgesetzt und fühlt sich in seiner Funktion als "rechtmäßiger Präsident" bestärkt. Zusammen mit seinem ehemaligen Partner, den Linksrepublikanern (Esquerra Republicana), und der linksradikalen CUP senden die Unabhängigkeitsparteien eine klare Botschaft an die spanische Regierung und den König, der die Politik des rechtskonservativen Partido Popular bisher lückenfrei unterstützt hat: "Ihr habt in Katalonien nichts mehr zu melden. Eure Strategie der Zwangsverwaltung, Drohungen und juristischen Verfolgung ist gescheitert".


Madrid hat alles gegeben - ohne Erfolg

Im Rückblick hatte das politische Establishment in Madrid wirklich alles getan, um einen Wahlsieg der Unabhängigkeitsgegner in Katalonien zu unterstützen. Katalonien hatte schon 2015 ein legales Parlament und eine legale Regierung mit einer parlamentarischen Mehrheit für die Unabhängigkeit. Diese Institutionen wurden "enthauptet", wie die Vizepräsidentin der spanischen Regierung, Soraya Sáenz de Santamaría, im Wahlkampf stolz erklärt hatte.

Die Spitzenkandidaten der größten Unabhängigkeitsparteien und Bürgerbewegungen konnten nicht am Wahlkampf teilnehmen, weil sie im Exil sind oder im Gefängnis sitzen. In den letzten Monaten hat die spanische Regierung sogar versucht, innerhalb des katalanischen Wirtschaftssektors Panik zu verbreiten, indem sie ein Dekret beschloss, das die Ummeldung von Unternehmenssitzen vereinfacht. Die öffentlich-rechtlichen Medien haben eine nie zuvor gesehene Zensur während des Wahlkampfs erfahren. Selbst alte Damen wurden von der Polizei auf der Straße angehalten, keine gelben Schals zu tragen, weil eine hochsensible Wahlkommission sämtliche Solidaritätsbekundungen mit den Inhaftierten aus dem öffentlichen Leben verbannen wollte.

Trotz allem haben die Befürworter der Unabhängigkeit ihre parlamentarische Mehrheit behauptet. Im Ausland sollte dieses Wahlresultat auch ein für alle Mal die Idee von einer "schweigenden Mehrheit" der Unabhängigkeitsgegner begraben. Dennoch haben die Befürworter wieder die 50-Prozent-Hürde verfehlt, auch wenn die Option der Unabhängigkeit in der katalanischen Gesellschaft mehrheitlich ist.


Verlierer und Gewinner auf beiden Seiten

Innerhalb der beiden Lager, also pro-Einheit und pro-Unabhängigkeit, hat es auch interessante Verschiebungen gegeben. Die linksradikale CUP, die bis jetzt für viele Unabhängigkeitsbefürworter der Garant eines klaren Separationskurses war, hat viele Stimmen an ERC verloren. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Wähler eine starke Front gegen die pro-spanische Partei Ciutadanos, die als radikalste "Artikel 155"-Partei gilt, aufbauen wollten.

Auch die Linksrepublikaner, die als Favoriten ins Rennen gingen, erlangten weder den erhofften Sieg als meist gewählte Liste Kataloniens noch als stärkste Partei im Unabhängigkeitsblock, obwohl ihr Spitzenkandidat, Oriol Junqueras, im Gefängnis sitzt.

Tatsächlich ging es vielen Menschen bei diesen Wahlen an erster Stelle um die Ablehnung von Madrids brutalem Eingriff in die katalanischen Institutionen, den selbst spanische Juristen als verfassungswidrig bezeichnet haben. Dabei war es entscheidend, einerseits Ciutadans einen Sieg als meist gewählte Liste zu erschweren und andererseits ihren Präsidenten als Institution, die für die Katalanen eine enorme Rolle für ihr Selbstverständnis spielt, zu verteidigen. Die Tatsache, das Puigdemonts Partei eher bürgerlich konservative Politik vertritt und die Frage, ob er sein Amt in Spanien überhaupt mit einem laufenden Haftbefehl gegen ihn antreten kann, waren erstmal zweitrangig.

Allerdings hätte ein Sieg einer Einheitsliste der Unabhängigkeitsbefürworter der Chefin von Ciutadans, Inés Arrimadas, zumindest argumentativ den Wind aus den Segeln genommen. Bereits in der letzten Legislaturperiode erwies es sich für den Unabhängigkeitsblock als Schwäche, dass die CUP sich nicht an einer gemeinschaftlichen Liste beteiligt hatte.

Inés Arrimadas konnte ihrerseits gestern ein historisches Ergebnis für ihre Partei sichern als meist gewählte Liste Kataloniens. Hier behaupten Analysten, dass dieser Stimmenzuwachs vor allem Ergebnis der Polarisierung der Unabhängigkeitsgegner ist. Ciutadans hatte am stärksten für die Anwendung der Zwangsverwaltung plädiert und ist eine wesentlich attraktivere Alternative zum von Korruption zerfressenen Partido Popular.

Was wiederum Puigdemonts Sieg aufwertet, ist die Tatsache dass sich Ciudadans eine pompöse Wahlkampagne leisten konnte, dessen Finanzierung auch außerhalb Spaniens inzwischen von alternativen Medien näher unter die Lupe genommen wird. Im Gegensatz dazu werkelten Puigdemonts Anhänger unter schwierigsten Umständen und ohne institutionelle Unterstützung in einem grauen Untergeschoss an seinem Comeback.

Aber unabhängig davon, wie die Befürworter der Einheit den Erfolg von Arrimadas auszulegen versuchen, Ciutadans, die katalanischen Sozialisten (PSC) und der Partido Popular können trotz der Unterstützung aus Madrid, trotz der Kontrolle der katalanischen Institutionen und Finanzen, trotz Panikmache und Wegsperren von Spitzenkandidaten der Unabhängigkeitsbewegung, keine regierungsfähige Mehrheit stellen. Zudem musste der Partido Popular zugunsten von Ciutadans stark bluten. Rajoys Strategie scheint in Katalonien nicht aufzugehen.

Entgegen der Erwartungen haben auch die katalanischen Sozialisten nur einen Sitz hinzugewinnen können, obwohl ihre Mutterpartei in Spanien, die PSOE, sich aktiv am Wahlkampf beteiligte. Auch der Weg der goldenen Mitte, den die linke Liste En Comú Podem (Gemeinsam schaffen wir's) mit dem Spitzenkandidaten Xavier Domènech erneut zu gehen versuchte, ist für immer weniger Wähler eine Option in der aktuellen Situation. Dieser Stimmenverlust in der Mitte zeugt noch mehr von der starken Polarisierung der katalanischen Gesellschaft und dass es eben keine normalen Regionalwahlen waren.


Was bringt der Sieg den Unabhängigkeitsbefürwortern?

Noch in der Wahlnacht rief Carles Puigdemont seinen Anhängern zu: "Niemand wird dieses Resultat ignorieren können. Die Republik Katalonien hat gegen die Monarchie des Artikels 155 gewonnen".

Doch selbst wenn die Unabhängigkeitsbewegung erstmal aufatmen kann, hat man im Gegensatz zum Wahlsieg im Jahr 2015 auch sehr viel verloren. Die pro-Unabhängigkeitspolitiker werden einiges in die Waagschale legen müssen, um die katalanische Selbstverwaltung wieder auf den Stand vor September 2017 zu bringen, bevor der spanische Finanzminister Cristobal Montoro die Kontrolle über die Ausgaben der Generalitat übernahm, damit kein "einziger Euro in ein illegales Referendum fließt".

Madrid wird auch weder die Unabhängigkeit noch ein vereinbartes Referendum verhandeln. Das ist inzwischen Fakt. Der Antikatalanismus ist zudem größer denn je unter den Wählern des Partido Popular und wird besonders nach dem gestrigen Sieg der Unabhängigkeitsoption keinen Zentimeter rücken. Rajoy hatte schon vorsorglich im Wahlkampf mit einer erneuten Anwendung des Artikels 155 gewarnt. Die Frage ist, ob man in Madrid jetzt genug politische Intelligenz beweist und erkennt, dass die Strategie der Zwangsmaßnahmen nur noch mehr Instabilität verursacht, die sich langfristig weder Spanien noch der Euro leisten können.

Die Unabhängigkeitsbefürworter werden wohl auch Zugeständnisse machen müssen, um die inhaftierten Dirigenten aus dem Gefängnis zu holen oder aus dem Exil. Allerdings wurde noch am Wahltag bekannt, dass die spanische Militärpolizei, die Guardia Civil, sogar die letzte Diada-Demonstration vom 11. September für ein Delikt der Rebellion hält, was eine neue Flut von Klagen bedeuten könnte.

Schon vor Tagen verkündete der verantwortliche Richter Pablo Llarena, dass er das bereits bestehende Makroverfahren gegen die katalanischen Exminister und die inhaftierten Aktivisten auf weitere Führungspersönlichkeiten der Unabhängigkeitsbewegung ausweitet. Es ist also eher mit einer Zunahme der juristischen Verfolgung zu rechnen als mit einer Freilassung der bereits Inhaftierten. Spätestens nach dem gestrigen Wahlergebnis müsste aber die spanische Regierung versuchen, ihre Klagen zurückziehen, um das Klima für einen glaubwürdigen politischen Dialog zu schaffen.

Sollte die spanische Regierung jedoch trotz des Wahlsiegs der Unabhängigkeitsparteien in Katalonien weiter autoritär agieren, haben die Unabhängigkeitsbefürworter umso mehr Argumente auf ihrer Seite. Sie haben der Welt bereits gezeigt, dass sie trotz Prügel, Drohungen, Zwangsverwaltung und juristischer Verfolgung die Stirn bieten können. Und Rajoy geht langsam aber sicher die Munition aus.


Über die Autorin

Krystyna Schreiber ist eine deutsche Journalistin und Autorin, die seit 2002 in Barcelona lebt. Sie arbeitet für internationale Medien und veröffentlicht Bücher, u.a. über die aktuelle politische Situation in Katalonien. Für "Die Übersetzung der Unabhängigkeit" wurde sie vom Institut der Regionen Europas mit dem Journalistenpreis 2016 ausgezeichnet.


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2017

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