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AUSSEN/078: Die EU muß sich für den Frieden in Kolumbien einsetzen (VOZ)


VOZ de la Nueva Colombia-Grupo de Información Alternativa
Stimme des Neuen Kolumbien - Alternative Infogruppe - 09.08.2007

OFFENER BRIEF
Die Europäische Union muss sich für die Wahrheit und den Frieden in Kolumbien einsetzen

PDA/Alemania


Wir fordern die EU und ihre Mitgliedsstaaten auf, nicht zur Legitimierung eines Demobilisierungsprozesses beizutragen, der die Rechte der Opfer mißachtet.

Am 3. Oktober 2005 hat der Rat der Europäischen Union seine Position gegenüber dem so genannten Demobilisierungsprozess der paramilitärischen Gruppen in Kolumbien festgelegt. Zwei Jahre später haben sich die anfänglichen Befürchtungen bestätigt, dass dieser Prozess die tatsächliche Auflösung der paramilitärischen Gruppen nicht garantiert. Ebenso wenig gewährleistet er die Rechte der Opfer auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung. Derzeit bereitet die EU eine Aktualisierung ihrer Position hinsichtlich des Demobilisierungsprozesses vor. Wir erklären dazu:

Die Nicht-Wiederholung der Verbrechen muss gewährleistet sein. Die Strukturen der Paramilitärs wurden nicht aufgelöst, das belegen Verbrechen zahlreicher Gruppen in vielen Regionen Kolumbiens, von denen sich manche als "neue Gruppen" bezeichnen. Dies wird unter anderem im letzten Bericht der Beobachtungsmission "MAPP" der Organisation Amerikanischer Staaten unterstrichen. Seit Dezember 2002 haben die paramilitärischen Selbstverteidigungsgruppen der AUC mehrfach den von ihnen erklärten, einseitigen Waffenstillstand verletzt. Mehr als 3.000 Personen wurden Opfer dieser Verbrechen, die bisher straflos geblieben sind. MenschenrechtsverteidigerInnen erhalten nach wie vor Drohungen von paramilitärischen Gruppierungen, ebenso hält die soziale Kontrolle von Paramilitärs über Gemeinden an. Die Paramilitärs haben ihre Reichtümer und Einkommensquellen behalten, darüber hinaus gibt es Erkenntnisse, dass sie weiterhin Drogengeschäfte betreiben.

Das wirkliche Ausmaß des Paramilitarismus muss aufgeklärt werden. Im Rahmen des "Parapolitik-Skandals" wird gegen 34 der Regierung nahe stehende derzeitige und ehemalige Kongressabgeordnete ermittelt, 20 von ihnen befinden sich derzeit in Haft. Ebenfalls sind hochrangige ehemalige Regierungsangestellte bzw. Lokalpolitiker in Haft oder auf der Flucht vor der Justiz, darunter auch der ehemalige Direktor des Inlandsgeheimdienstes DAS (Departamento Administrativo de Seguridad). Der interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof hat in seinen Urteilen zu Massakern in Kolumbien den kolumbianischen Staat wegen seiner langjährigen und systematischen Verbindungen zwischen staatlichen Streitkräften und paramilitärischen Gruppen verurteilt. Weder diese Verbindungen noch die Rolle des kolumbianischen Staates bei der Ausbreitung des Paramilitarismus werden im Demobilisierungsprozess untersucht. Außerhalb Kolumbiens laufen gegen mehrere multinationale Konzerne Untersuchungen wegen Finanzierung des Paramilitarismus.

Das Recht auf Wahrheit muss gewährleistet werden: Es gibt weder Garantien dafür, dass die Wahrheit geschützt und bewahrt wird, noch dafür, dass die kolumbianische Gesellschaft sie erfährt. So besteht die Gefahr, dass die Wahrheitsfindung lediglich auf die Abhandlung in einem abstrakten Bericht beschränkt bleiben wird. Es wird dafür geworben, dass Gemeinden, die Zielscheibe von Verbrechen waren, sich mit Demobilisierten versöhnen und mit ihnen zusammenarbeiten, ohne dass die Wahrheit ans Licht gebracht oder um Vergebung für die Vergehen gebeten wurde. Die Führer der Paramilitärs rechtfertigen ihre Verbrechen, sie bieten keine Garantien für die Nicht-Wiederholung und zeigen keinerlei Zeichen der Reue.

Das Recht auf Gerechtigkeit muss garantiert werden: Das so genannte "Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden" wird laut offiziellen Angaben auf nur 2.695 Paramilitärs von den insgesamt 31.671 Demobilisierten anwendbar sein. Die anderen 28.976 kommen in den Genuss von de-facto Amnestien, die in Bestimmungen außerhalb des "Gesetzes Gerechtigkeit und Frieden" festgelegt sind. Das Verfassungsgericht hat das Gesetz an die Bestimmungen der Verfassung und der von Kolumbien unterzeichneten internationalen Verträge angepasst. Die Regierung hat jedoch einen Teil des Verfassungsgerichtsurteils später durch ein Dekret rückgängig gemacht. Die dem kolumbianischen Justizsystem zugewiesenen Mittel sind unzureichend in Anbetracht des enormen Umfangs an Verbrechen, die untersucht und bestraft werden müssen. Die Opfer, ihre Angehörigen und ihre AnwältInnen sind permanenten Drohungen ausgesetzt, mehrere von ihnen wurden bereits ermordet.

Das Recht auf Entschädigung muss gewährleistet sein einschließlich der Rückgabe der zwischen 2,6 und 6,8 Millionen Hektar Land, von dem mehr als drei Millionen Menschen gewaltsam vertrieben wurden die meisten im Rahmen von paramilitärischen Aktivitäten. Aktuell werden im Kongress zwei Gesetzesvorhaben diskutiert, die den Tätern die Legalisierung dieses geraubten Landes erleichtern würden (ley de tierras und ley para el saneamiento de titulación de propiedades inmuebles). Bisher wurden nur einige wenige tausend Hektar Land zurückgegeben.

Durch eine Strategie des Terrors haben die Paramilitärs Vermögen angehäuft sowie legale und illegale Wirtschaftszweige unter ihre Führung gebracht. Die anhaltende Kontrolle über diese Reichtümer stellt ihre Kriegsbeute dar. Seitens der kolumbianischen Regierung gibt es keine wirksamen und konkreten Maßnahmen, die gewährleisten, dass die Paramilitärs diese Vermögen abgeben, um sie im Rahmen der vorgesehenen Mechanismen für die Entschädigung der Opfer zur Verfügung zu stellen.

Wir stellen deshalb fest, dass der aktuelle Prozess das Konzept von Recht und Unrecht banalisiert und nicht darauf ausgerichtet ist, den Rechtsstaat wiederherzustellen, weder auf juristischer noch politischer Ebene, ja nicht einmal symbolisch. Damit der Demobilisierungsprozess der Paramilitärs zu einem Beitrag zum Frieden werden kann, fordern wir als unterzeichnende Organisationen die EU und ihre Mitgliedsstaaten nachdrücklich auf:

o Den Demobilisierungsprozess der paramilitärischen Gruppen unter den Bedingungen, wie sie in den letzten zwei Jahren deutlich wurden, weder politisch noch finanziell zu unterstützen; und auch nicht zu einer administrativen Entschädigung der Opfer beizutragen, die den Staat und die Paramilitärs aus ihrer Pflicht nimmt.

o Sich im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit auf die Seite der Opfer zu stellen und dazu beizutragen, dass deren Schutz gewährleistet und ihre Würde geachtet wird. Sowie sich gegen eine Versöhnung einzusetzen, bei der die Opfer unter Druck gesetzt und die Macht der Täter gefestigt und die Rechte der Opfer negiert werden.

o Ihre Unterstützung für das Verfassungsgericht und den Obersten Gerichtshof zum Ausdruck zu bringen, damit deren unabhängige Amtsausübung garantiert bleibt.

o Von der kolumbianischen Regierung einzufordern, dass die Rechte der Opfer auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung ebenso garantiert werden wie die tatsächliche Auflösung der paramilitärischen Strukturen. Es muss ein wirksamer und unabhängiger Mechanismus geschaffen werden, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.

o Sich gegenüber dem kolumbianischen Staat nachdrücklich dafür einzusetzen, dass die gesamte Wahrheit über die Verantwortung von Staatsbediensteten und staatlichen Institutionen ans Licht gebracht wird und dass alle staatlichen Institutionen vollkommen von Verbindungen zu Paramilitärs gesäubert werden.

Brüssel, den 2. August 2007


Der Brief wird mit den Unterschriften auch dem deutschen Aussenministerium übergeben werden.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 09.08.2007
Redaktion: Pancho Koflas
VOZ de la Nueva Colombia-Grupo de Información Alternativa
Stimme des Neuen Kolumbien - Alternative Infogruppe vom 20.06.2007
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2007