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INNEN/525: Europäische Asylagenda - Flüchtlingsschutz am Abgrund (spw)


spw - Ausgabe 3/2016 - Heft 214
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Europäische Asylagenda - Flüchtlingsschutz am Abgrund

von Marei Pelzer


Der Sommer der Migration 2015 war ein kurzes Aufflackern einer humanitären Flüchtlingspolitik Europas. Die Grenzen waren offen, den Schutzsuchenden wurde die Einreise in die Europäische Union ermöglicht und staatliche Flüchtlingsaufnahme unter dem Engagement unzähliger Ehren- und Hauptamtlicher in einem neuen Geist der Willkommenskultur tatkräftig angegangen. Nicht einmal ein Jahr später hat sich das Bild gewandelt: Die alten Rezepte der Abwehr und Abschottung werden nun noch konsequenter und rücksichtsloser durchgesetzt als in der Vergangenheit. Der EU-Türkei-Deal, der unter Bruch des europäischen und internationalen Flüchtlingsrechts die Abschiebung von Flüchtlingen in die Türkei vorsieht, ist ein Tiefpunkt europäischer Asylpolitik. Die Schließung der Balkanroute hat das Leid der Flüchtlinge - in Idomeni und anderen Orten in Griechenland - ins unermessliche gesteigert. Die Bundesregierung hat sich besonders für die sog. "europäische Lösung der Flüchtlingskrise" stark gemacht. Was Ende 2015 im Verhältnis zur Obergrenzen-Debatte und zur im Frühjahr 2016 erfolgten Schließung der Balkanroute humaner klang, erweist sich jedoch als ebenso inhuman und völkerrechtswidrig. Nachfolgend werden die aktuellen Strategien der europäischen Flüchtlingspolitik umrissen und aus menschenrechtlicher Sicht bewertet.

Der EU-Türkei-Deal

Am 18. März 2016 wurde der EU-Türkei-Deal geschlossen. Die Türkei soll als Türsteher der Europäischen Union fungieren, indem sie verhindert, dass Flüchtlinge "unkontrolliert" noch europäisches Territorium erreichen. Die zentralen Bausteine sind: Die Türkei nimmt alle Flüchtlinge zurück, die seit dem 20. März in Griechenland angekommen sind. Für jeden Syrer, der von der Türkei aus Griechenland zurückgenommen wird, hat sich die EU bereiterklärt, einen syrischen Bürgerkriegsflüchtling aus der Türkei aufzunehmen - bis zu 72.000 insgesamt. Zudem sichert die EU zu, sechs Milliarden Euro für die Flüchtlingsversorgung zur Verfügung zu stellen. Außerdem soll die - ohnehin politisch anvisierte - Einführung der visafreien Einreise für Türken in die EU vorverlegt werden. Doch an der Frage der Visafreiheit könnte der EU-Türkei-Deal letztlich scheitern, da die EU die Einführung der Einreisefreiheit von der Änderung der Antiterrorgesetzgebung in der Türkei abhängig macht - die Türkei dies jedoch ablehnt.

Aus flüchtlingsrechtlicher Sicht stellt der EU-Türkei-Deal die Grundprinzipien des internationalen Flüchtlingsschutzes offen infrage. Ein zentrales Recht der Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist der Schutz vor Refoulement, wie er in Art. 33 I GFK niedergelegt ist. Demnach dürfen Flüchtlinge in keinen Staat ab- oder zurückgeschoben werden, in dem ihnen Verfolgung oder aber eine Weiterschiebung in den Verfolgerstaat droht. Dass die Türkei kein Staat ist, in dem Flüchtlinge vor einer Zurückschiebung - etwa nach Syrien oder in den Irak - geschützt sind, haben Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch immer wieder dokumentiert. Zu hunderten wurden Syrer zurück nach Syrien geschickt. Dem EU-Türkei-Deal liegt jedoch die Annahme zugrunde, die Türkei sei ein Staat, in dem Flüchtlinge sicher seien - in den vorbereitenden Papieren der EU-Kommission wird betont, die Türkei sei als sicherer Drittstaat einzustufen, wenn einige Regularien angepasst seien. In einem Schreiben Anfang Mai 2016 hat die EU-Kommission die griechischen Behörden massiv unter Druck gesetzt, die Asylanträge von neu einreisenden Asylsuchenden mit der Begründung abzulehnen, sie seien aus dem "sicheren Drittstaat Türkei" eingereist.

Damit fordert die Kommission zum Bruch nicht nur des internationalen, sondern auch des europäischen Asylrechts auf. Dies kann nur als skandalös bezeichnet werden - ist doch die Kommission eigentlich die "Hüterin der Verträge", also die europäischen Instanz, die die Einhaltung des Unionsrechts überwachen und nicht dessen Missachtung vorantreiben soll.

Konkret geht es insbesondere um Art. 38 der EU-Asylverfahrensrichtlinie. Dieser Artikel regelt die Voraussetzungen, unter denen ein Drittstaat als sicher eingestuft werden darf. Ein Staat darf dann nicht als "sicherer Drittstaat" eingestuft werden, wenn in diesem Staat kein Asylverfahren vorgesehen ist, das zu einem Schutzstatus im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention führen kann (Art. 38 I e). Dies ist in der Türkei jedoch nicht der Fall. Die Türkei kennt nur einen "temporären Schutz", jedoch keinen Flüchtlingsstatus. Erst vor Kurzem hat die Türkei überhaupt erst so etwas wie eine Asylgesetzgebung eingeführt - allerdings unter striktem Ausschluss eines echten Flüchtlingsschutzes. Die temporäre Schutzform sieht keine langfristige Integration der Flüchtlinge in die Türkei vor. Die Betroffenen haben viele der in der GFK verankerten Rechte - etwa das auf sozialrechtliche Gleichbehandlung mit Inländern oder das Recht auf Freizügigkeit - nicht. Dass sich die Türkei der GFK nicht verpflichtet fühlt, liegt auch daran, dass sie sich völkerrechtlich gar nicht vorbehaltlos an diese gebunden hat. Sie hat die GFK nur mit dem sog. "geographischen Vorbehalt" unterzeichnet. D.h. die GFK gilt in der Türkei nur für europäische Flüchtlinge, nicht jedoch für Flüchtlinge aus anderen Teilen der Erde - etwa Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea, Somalia etc. - also nicht für all diejenigen, die derzeit die wesentlichen Flüchtlingsgruppen ausmachen.(1) Die Türkei gewährt also weder im rechtlichen Sinne einen Flüchtlingsschutz gemäß der GFK, noch achtet sie de facto die daraus resultierenden Rechte. Daher darf Griechenland die Schutzsuchenden nicht in die Türkei zurückschicken.

Art. 38 EU-Asylverfahrensrichtlinie

(1) Die Mitgliedstaaten können das Konzept des sicheren Drittstaats nur dann anwenden, wenn die zuständigen Behörden sich davon überzeugt haben, dass eine Person, die um internationalen Schutz nachsucht, in dem betreffenden Drittstaat nach folgenden Grundsätzen behandelt wird:

a) keine Gefährdung von Leben und Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung;

b) keine Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU zu erleiden;

c) Wahrung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung nach der Genfer Flüchtlingskonvention;

d) Einhaltung des Verbots der Abschiebung, wenn diese einen Verstoß gegen das im Völkerrecht festgelegte Verbot der Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung darstellt, und

e) Möglichkeit, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen und im Falle der Anerkennung als Flüchtling Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu erhalten.


Der EU-Türkei-Deal stellt keine "Lösung der Flüchtlingskrise" dar - er missachtet auf eklatanter Art und Weise die Rechte der Flüchtlinge.

Abgesehen davon ist die bessere finanzielle Unterstützung der Flüchtlingshilfe in der Türkei und anderen Erstaufnahmestaaten ein dringendes Gebot der Stunde. Bereits 2014 und 2015 war etwa das World Food Programm der UN, das u.a. für die Versorgung von Millionen von Syrern verantwortlich ist, massiv unterversorgt. Die europäischen Staaten und andere Industrienationen ließen Appelle der UN immer wieder ungehört. Ein humanitärer Skandal, der endlich beendet werden muss.

Notfall-Umsiedelung - verweigerte Solidarität

Ein anderer Baustein im Umgang mit der Flüchtlingskrise sollte die Einführung eines Notfall-Umsiedlungsmechanismus (Emergency Relocation) innerhalb der EU sein. Entsprechende Beschlüsse fielen im zuständigen Ministerrat der EU im September 2015 - und zwar gegen die Stimmen von Ungarn, Tschechien und der Slowakei.(2) Darin ist vorgesehen, dass 120.000 Asylsuchende, die in Griechenland oder Italien angekommen sind, nach einer festen Quote auf die restlichen EU-Mitgliedstaaten verteilt werden. Nur wenige Hundert konnten seit September tatsächlich umverteilt werden. Dies ist ein Armutszeugnis für die Haltung der meisten europäischen Regierungen gegenüber dem Leid der Flüchtlinge. Besonders seit der Schließung der Balkanroute hat sich die humanitäre Situation in Griechenland dramatisch verschlechtert. Die Räumung des Grenzlagers in Idomeni hat das Elend der Flüchtlinge aus der medialen Wahrnehmung der europäischen Öffentlichkeit verdrängt - nicht jedoch die dramatische Lage der Flüchtlinge verbessert. UNHCR warnte Ende Mai vor den katastrophalen Zuständen in den Lagern, wohin die Flüchtlinge aus Idomeni verbracht worden sind. Vielfach sei die hygienische Situation schlecht und nicht einmal eine ausreichende Nahrungsversorgung sichergestellt.

Das unsolidarische Verhalten vieler EU-Staaten bei der Flüchtlingsaufnahme muss sich ändern. Allerdings hat sich der Umverteilungsmechanismus bislang nicht als taugliches Mittel erwiesen. Als offenkundiger Einwand ist zu bemerken, dass er nicht funktioniert. Die Zahlen sind viel zu niedrig. Außerdem sind die Hotspots, in denen die zu verteilenden Flüchtlinge in Griechenland oder Italien registriert werden, höchst problematische Einrichtungen. Auf den griechischen Inseln sind es in Wirklichkeit Haftlager, die keinerlei menschenrechtlichen Mindeststandards genügen. Auch Kinder werden dort massenhaft inhaftiert. Die Verhältnisse in den Hotspots sind schlicht inakzeptabel.

Die Reform des Dublin-Systems

Lange Zeit hielt die EU-Kommission an der Idee fest, das geltende Dublin-System komplett durch einen Verteilungsschlüssel - entsprechend dem Vorbild des Relocation-Mechanismus - zu ersetzen. Doch eine zu große Zahl an Mitgliedstaaten hat sich massiv gegen diesen Vorschlag gestellt, der vor allem von der deutschen Bundesregierung und dem Europäischen Parlament unterstützt worden ist.

Nachdem die EU-Kommission am 6. April 2016 ihre Reformagenda zum gesamten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem in einer Mitteilung veröffentlichte,(3) legte sie am 4. Mai 2016 einen Entwurf zur Reform der Dublin-III-Verordnung(4) vor. Entgegen der ursprünglichen Ankündigungen soll das bisherige Dublin-System nicht vollständig durch einen Verteilungsschlüssel ersetzt werden. Eine Umverteilung von Asylsuchenden aus den Erstaufnahme-Staaten der EU ist nur dann vorgesehen, wenn diese Staaten mehr als 150 Prozent einer - rein rechnerischen - Quote erfüllt haben. Steigen also die Zahlen an den Außengrenzen der EU an, soll der Verteilungsschlüssel automatisch zur Anwendung kommen. Problematisch ist hieran, dass bei der Verteilung die Interessen und Wünsche der Flüchtlinge keine Rolle spielen sollen. Eine rein schematische Verteilung verhindert, dass die Bezüge, die Flüchtlinge bereits zu einem Mitgliedstaat haben, berücksichtigt werden können. Nur die Familienzusammenführung wäre in diesem System gewährleistet.

Die EU-Kommission plant außerdem eine massive Verschärfung des geltenden Dublin-Systems, das weiterhin neben dem Verteilungsschlüssel inklusive des "Einreise-Kriteriums" zur Anwendung kommen soll. Sie will die Regelungen, die im bisherigen System eine humanitäre Korrektur des Dublin-Systems ermöglichen, abschaffen. Und zwar soll künftig kein Zuständigkeitswechsel mehr durch den Ablauf der im Dublin-Verfahren vorgesehenen Fristen erfolgen. Bislang musste ein Mitgliedstaat, der eine Dublin-Abschiebung durchsetzen möchte, dabei bestimmte Fristen einhalten. Für die Einleitung des Dublin-Verfahrens hat er - je nachdem - zwei oder drei Monate Zeit.(5) Für die spätere Abschiebung sind i. d. R. sechs Monate vorgesehen. Werden diese Fristen nicht eingehalten, geht die Zuständigkeit auf den Staat, in dem sich der Flüchtling aufhält, über.

Wenn dieser Mechanismus nun abgeschafft wird, hätte dies dramatische Folgen für den Flüchtlingsschutz. Der effektive Zugang zum Asylverfahren würde so ausgehebelt. Denn die Fristen und der Zuständigkeitswechsel haben die Funktion, eine schnelle Klärung herbeizuführen und einen effektiven Zugang zum Asylverfahren zu gewährleisten. Fällt dies weg, dann hat dies zur Folge, dass Asylsuchende, die in Deutschland sind und bei denen eine Dublin-Überstellung scheitert, dennoch keinen Zugang zum Asylverfahren haben. Sie wären nur noch Geduldete und würden in der ständigen Angst leben, doch noch nach Bulgarien, Ungarn oder Italien abgeschoben zu werden. Letztendlich wären sie sog. "refugees in orbit" - also schutzbedürftige Flüchtlinge, die keinen Zugang zum Flüchtlingsschutz haben. Im Staat, in dem sie sich aufhalten, wird ihnen das Asylverfahren verwehrt. In dem Staat, der laut Dublin für sie zuständig ist, haben sie keine Überlebenschancen.

Eine weitere Verschärfung engt humanitäre Spielräume ein. Die Selbsteintritts-Klausel, wonach ein jeder Mitgliedstaat die Zuständigkeit für ein Asylverfahren an sich ziehen kann,(6) soll auf die Anwendung auf familiäre Konstellationen beschränkt werden. Bislang stand die Ausübung des Selbsteintrittsrechts im Ermessen des jeweiligen Staates. In Deutschland wurde es vor allem auf besonders schutzbedürftige Gruppen angewandt. Stellt sich die Lage in einem Mitgliedstaat als besonders problematisch dar - z.B. seit 2014 in Bulgarien - konnte das Bundesamt flexibel mit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts reagieren und zumindest die besonders Schutzbedürftigen von Abschiebungen ausnehmen. Wenn die Kommission nun den Anwendungsbereich der Klausel auf familiäre Fälle beschränken möchte, schließt sie gruppen- oder länderbezogene Lösungen aus humanitären Gründen aus.

Diese geplante Verschärfung des Dublin-Systems würde den Druck auf die Flüchtlinge und die sie unterstützenden Strukturen massiv verschärfen. Die EU würde eine äußerst hohe Zahl an irregulären Flüchtlingen produzieren, die innerhalb ihrer Grenzen ohne Schutzstatus umherirren. Der verwehrte Schutz verhindert auch die Integration in den Aufenthaltsländern. Nur mit einem legalen Rechtsstatus haben die Betroffenen die Möglichkeit, in den Ländern Fuß zu fassen - sich eine Perspektive aufzubauen, zu arbeiten und Teil der Gesellschaft zu werden.

Sanktionen als Leitmotiv weiterer Reformansätze

Welche Maßnahmen die Kommission darüber hinaus plant, hat sie in ihrer Mitteilung vom 6. April deutlich gemacht: die Reformen sollen vor allem dem Ziel dienen, Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge in EU-Mitgliedstaaten festzusetzen und dies mit Zwang durchzusetzen. Wer weiterwandert - etwa weil er Kontakte oder Freunde in einem anderen Land hat - soll sanktioniert werden. Die Asylsuchenden sollen umgehend in den für sie zuständigen Staat abgeschoben werden. Dort sollen sie lediglich ein Schnellverfahren durchlaufen - und zwar ohne automatische aufschiebende Wirkung, sollte ein Rechtsbehelf gegen einen negativen Bescheid eingelegt werden. Außerdem sollen Abgeschobene, bei einer angeblich drohenden "Gefahr des Untertauchens" Bewegungseinschränkungen innerhalb des zuständigen Mitgliedstaates oder Haft auferlegt bekommen, materielle Aufnahmebedingungen sollen auf Sachleistungen beschränkt werden können.

Auch anerkannte Schutzberechtigte sollen an der Weiterreise in andere EU-Staaten gehindert werden - die Pflicht zur Rückübernahme soll nun auch für internationale Schutzberechtigte gelten. Eine "irreguläre Weiterwanderung" könnte zu einer Überprüfung der Schutzbedürftigkeit und gegebenenfalls zum Entzug des Schutzstatus führen, so will es die Kommission. Darüber hinaus solle die Daueraufenthaltsrichtlinie so verändert werden, dass die Fünfjahresfrist jeweils erneut zu laufen beginnt, sobald ein anerkannter Schutzberechtigter den zuständigen Mitgliedstaat ohne Erlaubnis verlässt. Erst dann kann derjenige sich unter bestimmten Voraussetzungen in einem anderen Mitgliedsland niederlassen.

Die Kommission will zudem Schutz in Europa nur noch auf Zeit gewähren - nur so lange, wie das Risiko der Verfolgung oder sonstige drohende Gefahren von Menschenrechtsverletzungen fortbestehen. Regelmäßige Überprüfungen - ob der Schutz noch zu gewähren ist - würden eine extreme Verunsicherung der Flüchtlinge bedeuten. Dabei dient der Flüchtlingsschutz eigentlich einer dauerhaften Integration von Flüchtlingen.

Dem aktuell vorherrschenden Geist von Abwehr entspricht ein Vorschlag der Kommission, wonach sie eine Rechtsgrundlage für eine gemeinsame Liste "sicherer Herkunftsländern" schaffen will, um Schutzsuchende aus den entsprechenden Ländern möglichst in Schnellverfahren abzulehnen und abzuschieben.

Fazit

Beim genaueren Hinsehen erweisen sich die "Reformvorschläge" der Kommission als Programm zur Schwächung von Flüchtlingsrechten in Europa. Obwohl sich gezeigt hat, dass das Dublin-System grundlegend funktionsuntüchtig ist, wird nur an den Symptomen herumgedoktert - zu Lasten der Schutzsuchenden. Statt mit einer "großen europäischen Lösung" sind die Vorstöße der Kommission und der unsägliche EU-Türkei-Deal ein Angriff auf die Grundfesten des Flüchtlingsschutzes. Es bleibt zu hoffen, dass es zu einer Rückbesinnung an die hoffnungsvollen Signale des Sommers der Migration 2015 kommt. Hierzu bedarf es entschlossenen Widerspruch gegen derlei inhumane Politik.


Marei Pelzer ist Rechtspolitische Referentin der Organisation PRO ASYL. Als Juristin ist sie spezialisiert auf Fragen des europäischen Flüchtlingsrechts und die Umsetzung von Menschenrechten in Deutschland. Für PRO ASYL ist sie Mitherausgeberin des Grundrechte-Reports. Sie ist zugleich Mitglied im Vorstand der Stiftung PRO ASYL.


Anmerkungen

(1) Die Türkei hat nicht das Zusatzprotokoll von 1967 zur GFK unterzeichnet, wonach sich Staaten verpflichten, den Schutz aus der GFK unabhängig von der Herkunft des Flüchtlings zu gewährleisten.

(2) Beschluss (EU) 2015/1601 des Rates vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland.

(3) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Reformierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und Erleichterung legaler Wege nach Europa, COM (2016) 197 final.

(4) COM (2016) 270 final.

(5) Bei Vorliegen eines Eurodac-Treffers (also in einem anderen Mitgliedstaat erhobenen Fingerabdruck) sind zwei Monate, ansonsten drei Monate Zeit, vgl. Art. 21 und Art. 23 Dublin-III-Verordnung.

(6) Vgl. Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung. Nach dieser Regelung ist das Selbsteintrittsrecht derzeit unabhängig von bestimmten Voraussetzungen.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 3/2016, Heft 214, Seite 33-37
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2016

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