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MELDUNG/038: Varoufakis entschlossen, ein Europa der Menschen aufzubauen (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Varoufakis entschlossen, ein Europa der Menschen aufzubauen
Varoufakis stellt am 9. Februar in Berlin die neue Bewegung "Demokratie in Europa" vor

von Gabriela Amaya, 10. Januar 2016


Madrid - 10.01.2016. Letzten Juli trat Varoufakis von seinem Posten als Finanzminister zurück, um zu verhindern, ein Hindernis für eine Einigung zwischen Griechenland und Europa zu werden, zumindest erklärte er das zu diesem Zeitpunkt. Der wahre Grund aber, wie er später zugab, war, dass er nicht mit dem dann folgenden Deal einverstanden war. Seit der Unterwerfung der griechischen Regierung an die Forderungen der Troika, ist nur noch wenig zu sehen von den Projekten des zurückgetretenen Ministers, welche er denen vorschlug, die dann Griechenland ein drittes Rettungspaket aufzwangen, mit Bedingungen, die sogar noch zerstörerischer waren als das ursprünglich geplante.

Aber nun hat der Griechische Wirtschaftswissenschaftler die Präsentation eines pan-Europäischen Projektes angekündigt: DiEM 25 (Die "Demokratie in Europa" Bewegung 2025).

In dem Entwurf des Manifestes bedeutet der Titel, DiEM25: entweder wird die Europäische Union demokratisiert oder sie wird disintegrieren. Und die Stellungnahme der Mission ist sogar noch deutlicher: Europa demokratisieren oder die Europäische Union abschaffen!

In dem sechs Seiten langen Entwurf, der hier[1] (auf englisch) abgerufen werden kann, fertigt Varoufakis eine Analyse der Situation Europas an und was das Projekt versucht, zu tun.

Das Projekt versucht, seine Ziele bis 2025 zu erreichen. Zehn Jahre, um Europa von einem "Wir, die Regierungen" und einem "Wir, die Technokraten" zu einem Europa des "Wir, die Menschen in Europa" zu wandeln.


Eine Bewegung mit einer neuen Sensibilität

Nach Erklärungen von Varoufakis ist es das Ziel, die Europäische Linke zu vereinigen, und einige haben bereits ihr Interesse ausgedrückt, der Bewegung beizutreten.

Auf der anderen Seite, in Übereinstimmung mit der Sprache, der Sensibilität von Teilen des Dokumentes und einigen Beispielen, die dort gegeben werden, wird allerdings ein Projekt gestartet, das sehr viel weiter geht. Nicht nur, dass es über die Grenzen hinweg entstanden ist - als eine Massnahme des historischen Momentes, in dem wir leben - sondern es basiert auch auf anderen Werten, die alten Definitionen von rechts und links hinter sich lassend. Zum Beispiel geht es weit über politische und ökonomische Dinge hinaus. Es setzt Leben und Freiheit der Menschen als den wichtigsten Wert, echte und partizipatorische Demokratie als grundlegend, es basiert auf und ist geboren von der Basis, es setzt sich für die Freiheit des Ausdruckes, der Künste, etc. ein.

Auf Seite fünf des Manifestes zur Demokratisierung Europas heisst es:

Wir sind inspiriert von einem Europa des Verstandes, der Freiheit, Toleranz und Vorstellungskraft, das ermöglicht wird durch umfassende Transparenz, wirkliche Solidarität und authentische Demokratie. Wir streben an:

  • Ein demokratisches Europa, in welchem die politische Autorität von souveränen Europäer_innen stammt.
  • Ein vereinigtes Europa, dessen Bürger_innen so viel miteinander gemein haben zwischen den Ländern wie auch innerhalb von ihnen.
  • Ein dezentralisiertes Europa, das die Zentralmacht nutzt, um Demokratie an Arbeitsplätzen, in Städten, Regionen und Staaten zu maximieren.
  • Ein soziales Europa, das erkennt, dass für die Freiheit nicht nur die Freiheit vor Einmischungen nötig ist, sondern auch die basalen Güter, die die Menschen frei von Not und Ausbeutung machen.
  • Ein pluralistisches Europa der Regionen, Ethnien, Glaubensrichtungen, Nationen, Sprachen und Kulturen.
  • Ein transparentes Europa, in welchem alle Entscheidungen unter dem Blick der Bürger_innen stattfinden.
  • Ein kultiviertes Europa, welches kulturelle Diversität nutzbar macht und nicht nur sein unschätzbares kulturelles Erbe feiert, sondern auch die Arbeit von Europas andersdenkenden Künstlern, Musikern, Schriftstellern und Poeten.
  • Ein realistisches Europa, das Nutzen aus den vorhandenen Mitteln zieht.
  • Ein produktives Europa, das Invesitionen dem gemeinsamen und umweltfreundlichen Wohlstand zuführt.
  • Ein technologisches Europa, neue Technologien in den Dienst der Solidarität einsetzend.
  • Ein Geschichte-achtendes Europa, das eine freundliche Zukunft anstrebt, ohne sich vor seiner Vergangenheit zu verstecken.
  • Ein kreatives Europa, das die innovativen Kräfte der Vorstellungskraft seiner Bürger_innen frei entfalten lässt.
  • Ein freiheitliches Europa, in welchem Europäer_innen in weniger stereotype Rollen hineingeboren werden, Möglichkeiten bekommen ihr Potential zu entwickeln und frei sind ihre Partner im Leben, in der Arbeit und der Gesellschaft zu wählen.

Ada Colau, Bürgermeisterin von Barcelona, ist Teil des Projektes

Ada Colau, die im Juni 2015 gewählte Bürgermeisterin von Barcelona, die den Graswurzel-Bewegungen im Zuge der Finanzkrise in Spanien entstammt, ist Teil des Projektes und wird eine wichtige Rolle bei dessen Präsentation und in der Bewegung einnehmen.

Für Varoufakis ist Colau ein Beispiel für Europa. In einem Interview, das er der Spanischen Zeitung El País vor ein paar Tagen gab, sagte er: "Ada Colau ist ein Beispiel für einen Teil der Politik, der nicht von den Raubtieren gefressen wurde ... sie ist wichtig, ein Beispiel für Europa. Sie hat gezeigt, dass man Politik machen kann, wenn man mit Verstand die ökonomischen Mächte konfrontiert."

Am 14. Oktober 2015 twitterte die Bürgermeisterin: "Treffen mit Yanis Varoufakis, um über Städte und Demokratie zu sprechen. Ein anderes Europa ist möglich und wir werden es von unten aufbauen."

Nun nehmen die Worte Colau's an die Medien vor den Kommunalwahlen, in welchen sie gewählt worden war, eine andere Bedeutung an. Auf die Frage nach ihrer Position hinsichtlich der Unabhängigkeit Kataloniens, hatte sie gesagt: "Ich kämpfe nicht für die Unabhängigkeit, weder die Katalanische, noch die Spanische. Ich bin hier, um die Grenzen einzureissen, weil diese nur für die Armen existieren."

Darüberhinaus scheint es, dass politische Figuren aus einer Vielzahl von Ländern sich an dem Projekt beteiligen, welches sich formierte, um die von Deutschland aufgezwungene Politik zu konfrontieren.


Symbolik bei der Präsentation von DiEM 25

Die Vorstellung von DiEM25 wird am 9. Februar in Berlin stattfinden, im Herzen Deutschlands, von wo aus die Politik diktiert wird, aufgrund welcher die Bevölkerungen Europas leiden, vor allem die des Südens.

Und sie wird in der Volksbühne[2] stattfinden, die sich alternativen Autoren widmet und am Rosa-Luxemburg Platz gelegen ist.

Varoufakis Erklärungen nach war die Präsentation eigentlich für letzten November vorgesehen, aber die Pariser Anschläge zwangen zu einer Verzögerung wegen der Schwere der Ereignisse und um zu vermeiden, dass die Neuigkeit nicht genug Aufmerksamkeit bekommt.

Wir wissen nicht, ob dies der Anfang eines wahrhaften Aufbaus eines Europas der Menschen und ein Vorgesang der lang ersehnten universellen menschlichen Gemeinschaft sein wird, aber der Versuch ist es wert.


Übersetzung aus dem Englischen: Johanna Heuveling


Über die Autorin

Die spanische Redakteurin Gabriela Amaya koordiniert das Pressenza-Büro in Madrid. Sie arbeitete bei verschiedenen Radiosendern und in Zeitungsredaktionen und entschied sich vor einigen Jahren, ihre journalistische Arbeit der internationalen Nachrichtenagentur für Frieden und Gewaltlosigkeit zur Verfügung zu stellen. Außerdem ist sie in verschiedenen Kollektiven und Plattformen engagiert, die sie mit dem Schreiben von Artikeln unterstützt.


Anmerkungen:
[1] https://www.dropbox.com/s/y4iy9p6qeq39s1y/Preliminary%20Manifesto%206.0.pdf?dl=0
[2] https://www.volksbuehne-berlin.de/praxis/diem_25/?id_datum=10015


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2016

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