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MELDUNG/031: Vorratsdatenspeicherung stößt auch in Österreich auf Bedenken (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 5. Juli 2013

Vorratsdatenspeicherung stößt auch in Österreich auf Bedenken



Berlin (DAV). Die EU-Staaten sind aufgerufen, die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie umzusetzen. Diese stößt aber vielfach - unter anderem in Deutschland - auf Bedenken. Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) teilt die grundsätzlichen Vorbehalte gegen eine flächendeckende und anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Der Verfassungsgerichtshof in Wien hat einen Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), zur Frage der Grundrechtskonformität der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie gefasst.

Der Verfassungsgerichtshof in Wien begründet seinen Beschluss in erster Linie mit Zweifeln an der Gültigkeit der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie insbesondere unter dem Aspekt einer Unvereinbarkeit mit der EU-Grundrechtecharta (Schutz personenbezogener Daten). Zudem genießt in Österreich der Datenschutz Grundrechtsschutz.

"Es ist zu begrüßen, dass sich der EuGH nunmehr mit der Frage erneut befassen muss", so Rechtsanwältin Dr. Regina Michalke, vom DAV-Ausschuss Gefahrenabwehrrecht. Der DAV habe in der Vergangenheit immer wieder seine Zweifel an der Richtlinie geäußert. Anzustreben sei, dass die Mindestumsetzungspflichten erneut kritisch unter die Lupe genommen werden. Unabhängig von der Frage, dass die Richtlinie schon jetzt verpflichtend sei. "Wir sollten nicht darauf warten, dass nationale Verfassungsgerichte die nationalen Umsetzungen in Zweifel ziehen", betont Michalke.

Der DAV begrüßt, dass der Dauerbrenner "Vorratsdatenspeicherung" nicht mehr Gegenstand des Wahlprogramms von CDU und CSU ist.

In der Anlage finden Sie Einzelheiten zu den Ausführungen des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht des Deutschen Anwaltvereins.

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Ausschuss für Gefahrenabwehrrecht des DAV

Vorlagebeschluss des Verfassungsgerichtshofs Wien vom 28.11.2012 zur Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung

Der Verfassungsgerichtshof Wien hat am 28.11.2012 einen Vorlagebeschluss [1] an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Frage der Grundrechtskonformität der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie [2] gefasst. In bei dem Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren hatten die Kärntner Landesregierung wie auch Bürger mit unterschiedlicher Begründung geltend gemacht, dass die Datenspeicherungspflicht nach § 102 a des Österreichischen Telekommunikationsgesetzes (TKG 2003) in Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie das Grundrecht auf Datenschutz verletze (§ 1 DSG 2000) und gegen die Artikel 7, 8, 11 und 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoße.

Der Verfassungsgerichtshof begründet seinen Beschluss in erster Linie mit Zweifeln an der Gültigkeit der Vorratsspeicherungsrichtlinie insbesondere unter dem Aspekt einer Unvereinbarkeit mit Art. 8 der Grundrechte-Charta ("Schutz personenbezogener Daten"). In diesem Zusammenhang weist das Gericht auf die hohe Eingriffsintensität der Vorratsdatenspeicherung und deren große Streubreite gerade auch im Hinblick auf Personen, die keinen Anlass für die Speicherung gäben. Hinzu käm en das Risiko der missbräuchlichen Verwendung zu anderen als den gesetzlich vorgesehenen Zwecken, die Gefahr der unzulässigen Informationsverschaffung über private Lebensverhältnisse sowie generell Zweifel an der Eignung zur beabsichtigten Zielerreichung.

Zum anderen verweist der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss auf das mit Verfassungsrang ausgestattete österreichische Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 DSG, das die Grenze für Eingriffe in das Datenschutzrecht enger ziehe als dies nach Art. 8 Abs. 2 EMRK der Fall sei. Damit könne - so der Verfassungsgerichtshof - der Fall eintreten, dass der österreichische Gesetzgeber gezwungen würde, eine europäische Richtlinie umsetzen zu müssen, die mit dem geltenden Grundrecht nicht vereinbar sei. Hier stellen sich nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs Fragen nach dem "Verhältnis des Grundrechts zum Unionsrecht einschließlich des Sekundärrechts, zur EMRK und zu den Verfassungen der Mitgliedsstaaten".

Der Verfassungsgerichtshof Wien hat mit dieser Begründung dem EuGH (sinngemäß) unter anderem folgende Fragen vorgelegt:

lis 9 - Sind die Art. 3 bis 9 der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie mit den Art. 7,8 und 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar? - Kann ein höheres Schutzniveau in den Verfassungen der Mitgliedsstaaten - z.B. wie in Österreich im Datenschutzrecht - dazu zwingen, die einschlägige Garantie der Grundrechte-Charta so auszulegen, dass der Grundrechtestandard der mitgliedstaatlichen Verfassungen nicht unterschritten wird? - Können aus der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK Aspekte für die Auslegung des Art. 8 der Grundrechte-Charta gewonnen werden?

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs Wien betrifft das Urteil des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung aus 2009 [3] nicht die verfahrensgegenständlichen Fragestellungen, da in dieser Sache nicht auf eine mögliche Verletzung der Grundrechte in Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie geklagt wurde, sondern allein die Wahl der Rechtsgrundlage zur Debatte stand.

Aufgrund des Vorlagebeschlusses des Verfassungsgerichtshofs Wien bleibt das österreichische Ausgangsverfahren so lange ausgesetzt, bis der EuGH über die Vorlage entschieden hat. Die Vorratsdatenspeicherung bleibt in Österreich ungeachtet des Vorlagebeschlusses bis auf weiteres in Kraft.

Falls der EuGH die Unvereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie mit der Europäischen Grundrechte-Charta bestätigt, wäre jede Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedsstaaten rechtswidrig.

Über die Frage der Vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie mit der Grundrechte-Charta hinaus kommt dem Vorlagebeschluss wegweisende Bedeutung auch im Hinblick auf die bislang nicht abschließend geklärte Frage zu, welcher Beurteilungsmaßstab an die Auslegung einer EU-Richtlinie anzulegen ist, wenn das innerstaatliche Verfassungsrecht bzw. die europäische Menschenrechtskonvention des Europarats ein höheres Schutzniveau gewährleistet als der unmittelbare Rechtsbestand der EU.

Der DAV begrüßt die Entschließung des Verfassungsgerichtshofs Wien, weil hiermit auch den Bedenken des DAV [4] gegen eine flächendeckende und anlasslose Vorratsdatenspeicherung aus deutscher Sicht Rechnung getragen wird.


[1] Beschluss vom 28.11.2012, Az.: G 47/12-11, G 59/12-10, G 62, 70, 71/12-11:
http://www.verfassungsklage.at/public/files/vorratdatenspeicherung_vorlage_eugh_g47-12.pdf

[2] Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsdatenspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt und verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG.

[3] vom 10.02.2009, Rs. C-301/06, Irland/Europäisches Parlament u. Rat, Slg. 2009, I-00593

[4] http://anwaltverein.de/downloads/Stellungnahmen-11/2012-01-05-STN-12012fin.pdf

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 30/13 vom 5. Juli 2013
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2013