Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → REDAKTION

PARTEIEN/210: Ian Paisley spannt ganz Irland auf die Folter (SB)


Ian Paisley spannt ganz Irland auf die Folter

Springt der DUP-Chef über den eigenen Schatten?


In zwei Tagen, am 26. März nämlich, soll ein wahrhaft historisches Ereignis in Belfast stattfinden. An jenem Vormittag sollen die 108 am 7. März gewählten Abgeordneten des Regionalparlamentes im Schloß Stormont zur konstituierenden Sitzung zusammenkommen und über die Bildung einer neuen Regionalexekutive abstimmen. Gemäß dem Wahlausgang stehen der probritisch-protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) des Reverend Ian Paisley mit 36 Sitzen als größter Fraktion das Amt des Ersten Ministers sowie drei weitere Kabinettsposten zu. Die Position des Stellvertretenden Ersten Ministers und zwei weitere Plätze am Kabinettstisch hätte Sinn Féin, der politische Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) und die zweitgrößte Fraktion mit 28 Sitzen, zu besetzen. Die ebenfalls probritische Ulster Unionist Party (UUP) - 18 Sitze - und die katholisch-nationalistische Social Democratic Labour Party (SDLP) - 16 Sitze - wären mit zwei respektive einem Ministerium vertreten.

Doch bislang weiß niemand außer DUP-Chef Ian Paisley vielleicht, ob es hierzu kommen wird. 2005 hat die IRA ihr Waffenarsenal unter der Aufsicht einer internationalen Kommission außer Dienst gestellt und offiziell das Ende ihres bewaffneten Kampfes gegen die britischen Staatsorgane erklärt. Ende Januar hat sich Sinn Féin auf einem Sonderparteitag formell zur Zusammenarbeit mit der neuen nordirischen Polizeibehörde, dem Police Service of Northern Ireland (PSNI), bereit erklärt. Somit sind alle wichtigen Forderungen der DUP erfüllt worden. Dennoch fällt die Vorstellung einer interkonfessionellen Regierung in Belfast, die von Paisley und dem Sinn-Féin-Vizepräsidenten Martin McGuinness, dem einstigen Kommandeur der IRA in der Stadt Derry, angeführt werden soll, den Menschen in ganz Irland schwer. Trotz unzähliger Versöhnungsgesten seitens Sinn Féins wurden deren Vertreter bis vor kurzem von der DUP als "Terrorpaten" und "Mörder" beschimpft. Bis heute hat es wegen der Verweigerung der DUP keinerlei direkte Gespräche oder Verhandlungen zwischen beiden Parteien gegeben. Dennoch sollen sie in weniger als 48 Stunden politische Hochzeit feiern? Auf der Insel sind natürlich alle gespannt, ob es tatsächlich zur anvisierten "Vernunftehe" kommt.

Für den Fall, daß sich DUP und Sinn Féin bis zum 26. März nicht einigen, hat der britische Nordirlandminister Peter Hain damit gedroht, das Parlament aufzulösen und die Provinz weiterhin aus London - jedoch künftig unter Einbeziehung der Regierung der Republik Irland - kommissarisch zu verwalten. Hain macht geltend, daß wegen des Parteienhickhacks in Belfast die im Zuge des Karfreitagsabkommens von 1998 geschaffenen Institutionen - Regionalexekutive sowie Nord-Süd-Rat - seit 2002 blockiert sind. Dennoch bekamen die Abgeordneten bisher ihre Diäten jeden Monat vollständig ausgezahlt. Verständigt man sich nicht auf eine Regierungsbildung in Belfast, werden die neuen Institutionen "für lange Zeit" eingemottet und die Diäten gestrichen, so die unverhohlene Drohung Hains.

Um einen Kompromiß zu finden, reisten Vertreter von DUP und Sinn Féin - getrennt natürlich - am 22. März zu letzten Gesprächen nach London. Dort trafen sie Premierminister Tony Blair und dessen designierten Nachfolger, Schatzmeister Gordon Brown. Von letzterem wollten sie erfahren, mit welchen finanziellen Anreizen sie im Falle einer Einigung rechnen können. Nach dem Treffen in Number 11 Downing Street, dem Amt- und Wohnsitz des britischen Finanzministers, hieß es, Brown habe den nordirischen Politikern angeboten, in den kommenden vier Jahren über einen Etat von rund 100 Milliarden Euro verfügen zu können. Damit soll Brown sein Offerte im Vergleich zu früher um drei weitere Milliarden Euro erhöht haben. Interessant an letzterer Summe ist die Tatsache, daß Presseberichten zufolge drei Viertel davon aus der Staatskasse der Republik Irland stammen sollen - was eine erste große Investition Dublins nördlich der inneririschen Grenze darstellte und als ein deutlicher Schritt Richtung Wiedervereinigung der Insel zu sehen wäre.

Bis zuletzt hat sich Paisley nicht in die Karten schauen lassen. Viele Beobachter gehen davon aus, daß der 80jährige Pfarrer, der die DUP vor rund 40 Jahren quasi als Ein-Mann-Partei gründete, seine politische Karriere mit dem Aufstieg zum nordirischen Regierungschef krönen will. Die Familie steht sogar in Verhandlungen über eine Filmbiographie eventuell mit Liam Neeson, der, obwohl Katholik, wie Big Ian ebenfalls aus der protestantischen Hochburg Ballymena stammt, in der Hauptrolle. Bedenkt man Paisley jahrzehntelange Verteufelung von allem, was mit dem Katholizismus, dem irischen Nationalismus und der Republik im Süden zu tun hat, so gibt es sicherlich nicht wenige DUP-Mitglieder, die es nicht akzeptieren werden, daß ihr Idol auf die verhaßten Gegner von "Sinn Féin/IRA" zugeht. Auch in der DUP-Führung gibt es noch einige Stimmen, die gegen eine Regierungsbildung mit den irischen Republikanern sprechen. Doch dazu könnte es in den nächsten Stunden kommen. Sollte Paisley, dessen Hetztiraden in den sechziger Jahren gegen die damals erste, überaus vorsichtige Annäherung von Belfast und Dublin mit zum Ausbruch des blutigen, dreißigjährigen Bürgerkrieges beigetragen haben, tatsächlich eine Regierung mit Sinn Féin bilden, käme das auf der Insel einem politischen Erdbeben gleich. Man darf gespannt sein...

24. März 2007