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PARTEIEN/220: EU-Reformvertrag wird den Iren erneut vorgelegt (SB)


EU-Reformvertrag wird den Iren erneut vorgelegt

Zweite Abstimmung findet unter drastisch veränderten Bedingungen statt


Wie nicht anders zu erwarten war, wird den Bürgern der Irischen Republik der EU-Reformvertrag, den sie im letzten Juni mehrheitlich nicht angenommen haben, erneut vorgelegt werden, und zwar irgendwann im Herbst 2009. Dies wurde am 11. Dezember bei einem Abendtreffen der Premierminister aller 27 EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel prinzipiell beschlossen. Um den Iren das Abkommen schmackhaft zu machen, soll ihnen eine Reihe von Zugeständnissen gemacht werden. Die Chancen, daß der EU-Reformvertrag beim zweiten Mal durchkommt, sind groß, denn auch in Irland hat die internationale Finanzkrise die politischen Prioritäten verschoben.

Bisher ist der Vertrag von Lissabon in 25 von 27 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert worden. Nur noch in Irland und in Tschechien, wo sich Präsident Vaclav Klaus weigert, das Abkommen zu unterzeichnen, steht die Ratifizierung aus. Wenn es nach dem Willen des irischen Premierministers Brian Cowen geht, soll Irland eine Reihe von Garantien erhalten, welche die Bedenken seiner Bürger hinsichtlich des Reformvertrags zertreuen und für eine Mehrheit auf der Seite der Abkommensbefürworter sorgen sollen. Demnach sollen Irlands Neutralität, seine Steuerpolitik und sein Abtreibungsverbot nicht durch die weitere EU-Integration beeinträchtigt werden. Darüber hinaus soll es Nachbesserungen geben, um die sozialpolitischen Defizite des Abkommens, wenn nicht gänzlich aufzuheben, immerhin abzumildern.

Die große Frage lautet jedoch, welche Form diese Garantien erhalten sollen. Wenn es nach Berlin und Paris geht, soll es im Text des Reformvertrages keine Änderungen geben, denn dies würde eine erneute Ratifizierungsrunde in allen Mitgliedsstaaten, nicht nur in Irland, erforderlich machen. Wird Cowen jedoch nur mit Absichtserklärungen nach Hause zurückkehren, werden ihm die Vertragsgegner die Hölle heiß machen und zurecht behaupten, daß solche Bekundungen völkerrechtlich nichts wert sind. Folglich will die Regierung in Dublin mit den EU-Partnern rechzeitig bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Juni eine passende Ausformulierung besagter Garantien und eine juristisch überzeugende Form gefunden haben. In Irland sind die Abkommensgegner über den Kuhhandel, den Cowen und Außenminister Mícheál Martin in Brüssel eingegangen sind, entsetzt. Sie werfen der EU-Politelite Arroganz und Wortbruch vor, weil sie sich über das Nein der Iren zum Vertragswerk hinwegsetzt und von ihnen einen zweiten Gang zur Urne - diesmal bitte sehr mit einer Mehrheit für Ja - verlangt.

Doch inwieweit die Aktivisten des Anti-Lissabon-Lagers die Empörung über die erneute Abstimmung werden erfolgreich kanalisieren können, ist eine andere Frage. Erstens dürfte die Empörung gar nicht so groß sein, denn es hat von Anfang an praktisch festgestanden, daß man in Brüssel das Nein aus Irland nicht akzeptieren würde. Folglich war die jüngste in Brüssel getroffene Übereinkunft absehbar und stellt für niemanden eine wirkliche Überraschung dar. Zweitens haben seit Juni wirtschaftliche Turbulenzen die Irische Republik voll im Griff. Die Immobilienblase in Irland ist geplatzt, was zu einer schweren Krise im Bankensektor und in der Baubranche bei gleichzeitig drastisch sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Arbeitslosenzahlen geführt hat. Angesichts dieser bedrohlichen Entwicklung kann man davon ausgehen, daß vielen irischen Wählern der Mut zu einer allzu konfrontativen Position Irlands in der Frage des Lissabon-Abkommens fehlen wird und daß sie angesichts entsprechender Zugeständnisse seitens Brüssels ihr Heil im "gemeinsamen europäischen Haus" suchen werden. Angesichts dieser absehbaren Tendenz werden die Vertragsgegner ihre Bemühungen verstärken müssen, wollen sie den EU-Granden eine erneute Niederlage bereiten.

13. Dezember 2008