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PARTEIEN/230: Sexskandale bringen Nordirlands Politik in Schwung (SB)


Sexskandale bringen Nordirland Politik in Schwung

Unionistische Moralapostel stolpern über eigene Heuchelei


Traditionell liefert die Politik in Nordirland wenig Anlaß zur Heiterkeit. Zu ernst und zu bitter war die Konfrontation zwischen den pro-britischen Protestanten, die dank ihrer guten Verbindungen zur politischen und militärischen Elite in London erfolgreich die Abspaltung der sechs nordostirischen Grafschaften von Restirland bei dessen Entlassung aus dem Vereinigten Königreich 1922 bewirkt hatten, und den pro-irischen Nationalisten, die wie ihre Brüder im Süden dem Traum einer freien und ungespaltenen grünen Insel nachhingen. Bekanntlich entlud sich die Konfrontation Ende der sechziger Jahre in einem blutigen Bürgerkrieg, der 3600 Menschen das Leben kostete und erst 1998 mit dem Karfreitagsabkommen beigelegt werden konnte. Seitdem streiten sich Unionisten und Nationalisten über die Auslegung des Friedensabkommens, das sie zur Zusammenarbeit im neuen Parlament in Belfast zwingt.

Seit 2007 regiert die Democratic Unionist Party (DUP) des einstigen freipresbyterianischen Haßpredigers Ian Paisley mit Sinn Féin, dem politischen Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), zusammen. 2008 trat Paisley mit 82 Jahren von der politischen Bühne ab, einerseits aus Altersgründen, andererseits weil die eigene Parteibasis seinen jovialen Umgang mit seinem Stellvertreter, dem Sinn-Féin-Vizepräsidenten Martin McGuinness, der jahrezehntelang von der britischen Presse und protestantischen Scharfmachern zum "Terrorpaten" der IRA schlechthin hochstilisiert wurde, krummnahm. An Paisleys Stelle trat sein langjähriger Stellvertreter Peter Robinson, der seitdem eifrig um einen kühlen und unfreundlichen Ton gegenüber den Koalitionspartnern von Sinn Féin bemüht gewesen ist. Diese Haltung des DUP-Chefs und seiner Parteikollegen, die sich ihrerseits Sorgen um den Verlust protestantischer Wähler an die Gegner des Karfreitagsabkommens, verkörpert durch die neue Splittergruppierung Traditional Unionist Voice (TUV), machen, hat dazu geführt, daß seit Monaten in Belfast politischer Stillstand herrscht. Anlaß ist die Weigerung der DUP, ihre 2006 im Rahmen des St.-Andrews-Abkommen gemachte Zusage, die Verantwortung für die nordirische Polizei vom britischen Innenministerium an ein entsprechendes neues Ressort in Belfast übertragen zu lassen, einzuhalten. Aufgrund dieser Zusage hatte sich Sinn Féin erstmals zur Zusammenarbeit mit den nordirischen Sicherheitsbehörden bereiterklärt. Dafür hat sie ihrerseits viel Kritik seitens republikanischer Hardliner einstecken müssen, weshalb sie auf Einhaltung der gemachten Vereinbarung seitens der DUP pocht.

Sahen Anfang Dezember die Chancen für eine rasche Lösung dieses Streits ziemlich schlecht aus, so haben sich die Dinge in den letzten Wochen dramatisch verändert, und zwar aufgrund zweier Sexkandale, von denen der zweite für Heiterkeit, Spott, Schadenfreude und jede Menge schlüpfriger Witze beiderseits der inneririschen Grenze sorgt. Im ersteren Fall wurde kurz vor Weihnachten öffentlich der Vorwurf erhoben, daß Liam Adams, der Bruder des Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams, die eigene Tochter Aine Tyrell von 1977 bis 1984, als diese noch minderjährig war, sexuell mißbraucht hätte. Statt sich der nordirischen Polizei zu stellen, flüchtete Liam Adams in die Republik. Daraufhin haben die Behörden im Norden einen Antrag auf Auslieferung gestellt. Inzwischen stellt sich heraus, daß auch der Vater von Gerry und Liam Adams seine Kinder körperlich mißhandelte, einige von ihnen sogar sexuell. Gerry Adams wehrt sich energisch gegen den Vorwurf, nicht genug zum Schutz seiner Nichte getan zu haben, und behauptet, noch als Sinn Féin und die nordirische Polizei sozusagen miteinander auf Kriegsfuß standen, mit ihr zu den Behörden gegangen zu sein. Die Verfehlungen des eigenen Vaters aus Scham mitverheimlicht zu haben, räumt er dagegen freimütig als Fehler ein.

Während in der nordirischen Öffentlichkeit viel Sympathie und Mitleid angesichts der schrecklichen Probleme der Familie Adams vorherrscht, gilt der Sexskandal im Hause Robinson als größter politischer Klamauk, den man jemals erlebt hat. Im Mittelpunkt des Interesses steht Iris Robinson, Ehefrau des DUP-Chefs und - bis vor wenigen Tagen - wie er Abgeordnete im Regionalparlament in Belfast und im Londoner Unterhaus. Darüber hinaus war Iris Robinson - ebenfalls bis vor kurzem - Mitglied des Kommunalrats im Belfaster Stadtteil Castlereagh. In dieser Position hat sie im Sommer 2008 nicht nur Kirk McCambley, den Sohn eines kurz zuvor verstorbenen Familienfreundes, zum Sieg bei der Ausschreibung für den Betrieb eines neuen Cafés in einem Naturpark verholfen und für die Finanzierung des Geschäftprojektes durch zwei Darlehen ihr befreundeter Bauherrn im Höhe von 80.000 Euro gesorgt, sondern auch den damals 19jährigen Mann zum Liebhaber genommen. Als McCambley Ende des selben Jahres die Affäre mit seiner fast 30 Jahre älteren Gönnerin abbrach, fordert diese - gekränkt natürlich - das Geld ummittelbar zurück. Die anschließenden Streitereien waren es, welche aus der kleinen Affäre einen Staatsakt machen sollten.

Als über Weihnachten Kardinal Cathal Daly, Primat von All-Irland, starb, fehlte Peter Robinson, der erste Minister Nordirlands bei den Trauerfeierlichkeiten. Als Ausrede hieß es, er müsse sich um Familienprobleme kümmern. Das Problem war das drohende Bekanntwerden des Ehebruchs von Iris mit ihrem Toyboy eineinhalb Jahr zuvor. Am 5. Januar stand eine große Enthüllungsdokumentation der Redaktion Spotlight beim Fernsehsender BBC Northern Ireland an. Am Vortag lud Robinson ausgewählte Korrespondenten zu sich ein und berichtete in eher abstrakten Worten vom Vorgefallenen. Er erklärte, er habe von der ganzen Geschichte erst erfahren, als seine Frau im Frühjahr 2009 versucht habe sich umbringen, und bat um Nachsicht, denn er und Iris wollten ihre Ehe retten, letztere habe sich deshalb bereits in Behandlung wegen Depressionen begeben.

Nach der Ausstrahlung der Spotlight-Dokumentation ist Iris Robinson von allen politischen Ämtern zurückgetreten. Wenige Tage später hat Peter Robinson - in Absprache mit Sinn Féin übrigens - vorübergehend seine Stelle als Erster Minister geräumt. Für sechs Wochen soll die DUP-Kollegin Arlene Foster Robinson ersetzen. Während dieser Zeit soll geklärt werden, ob sich der DUP-Chef nach Bekanntwerden des Fehlverhaltens seiner Gattin in Bezug auf die Vergabe der Restaurant-Lizenz und auf die Beschaffung der 50.000 Pfund für McCambley an das Gesetz gehalten hat. Von der Antwort auf diese Frage hängt seine politische Karriere ab.

In der Zwischenzeit, will die DUP - wiederum unter der Leitung von Robinson - mit Sinn Féin eine Lösung in der Frage der Übertragung der Polizeigewalt für Nordirland von Belfast und die Gründung und Besetzung eines neuen nordirischen Innenministeriums finden. Die neue Kompromißbereitschaft der DUP leitet sich aus deren Befürchtung ab, die Sinn Féin könnte sich ansonsten aus der Koalition zurückziehen, was Neuwahlen für das Parlament in Belfast erforderlich machen würde. Angesichts des Sexskandals um die Robinsons, der die bibeltreuen DUP-Wähler enorm schockiert hat, käme eine solche Wahl für die einstige Paisley-Truppe höchst ungelegen, weshalb man dieses Szenario unbedingt vermeiden will. Auch menschlich kommen sich die politischen Akteure Nordirlands - nach dem Motto "Wir sind alle Sünder" - näher. Am 17. Januar gab Peter Robinson überraschend bekannt, er habe am Tag davor erstmals die Hand von Martin McGuinness geschüttelt, nämlich als dieser ihm Mut in schwierigen Zeiten zusprach.

18. Januar 2010