Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → REDAKTION

PARTEIEN/233: Wahlfieber heizt politische Krise in Nordirland an (SB)


Wahlfieber heizt politische Krise in Nordirland an

Oranierorden bastelt mit an der unionistischen Einheitsfront


In wenigen Stunden läuft die 48stündige Frist aus, welche die britischen und irischen Premierminister, Gordon Brown und Brian Cowen, der Führung der Parteien der nordirischen Koalitionsregierung gaben, ihren Streit über die Rückübertragung der Polizeigewalt für die Provinz von London an Belfast beizulegen. Als 2006 Dublin und London im Rahmen des St.-Andrews-Abkommens die Bildung einer interkonfessionellen Regierung für Nordirland unter Beteiligung der probritisch-protestantischen Democratic Unionist Party - damals noch unter der Leitung ihres Gründers Reverend Ian Paisley - und der katholisch-nationalistischen Sinn Féin praktisch erzwangen, basierte der Deal im wesentlichen auf folgendem Kompromiß: der politische Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) mußte den neuen Police Service of Northern Ireland (PSNI) anerkennen und sich zur Zusammenarbeit mit ihm bereiterklären, dafür würde der britischen Regierung die Verantwortung für die innere Sicherheit in der Provinz abgenommen und statt dessen einem neuen nordirischen Innenministerium übergeben werden. Und weil aufgrund der leidvollen geschichtlichen Erfahrungen weder die Unionisten noch die Irisch-Republikaner die Leitung dieses wichtigen Ministeriums in den Händen der anderen Seite sehen wollten, sollte David Ford, der Vorsitzende der neutralen Alliance Party, den neuen Posten übernehmen.

Innerhalb von drei Monaten hat Sinn Féin ihren Teil der Abmachung eingehalten, wofür sie sich viel Kritik seitens republikanischer Dissidenten, die jede Zusammenarbeit mit dem britischen Staat und jede Zementierung der Teilung Irlands ablehnen, hat anhören müssen. Fast drei Jahre später jedoch blockiert die DUP die Rückübertragung der Polizeigewalt und verlangt, daß vorher mehr gemacht werden muß, um "das Vertrauen der Bevölkerung" - gemeint ist hier ausschließlich die protestantische - zu gewinnen. Deswegen verlangt die DUP die Abschaffung jene Parades Commission, die im Rahmen des Karfreitagsabkommen von 1998 ins Leben gerufen wurde und die in den letzten Jahren die Routen der umstrittensten Umzüge des protestantischen Oranierordens neu hat festlegen lassen. Auf diese Weise sorgt die Parades Commission seit der Jahrtausendwende dafür, daß die allsommerliche Marschsaison der Oranier relativ friedlich bleibt. Die protestantischen Ordensbrüder, denen es leider unbedingt darum geht, vor allem mit den Umzügen durch katholische Viertel zu demonstrieren, wer immer noch im Nordosten der grünen Insel das Sagen hat, fühlen sich in ihren Rechten als treue Untertanen der britischen Krone jedoch beschnitten und drängen auf eine Korrektur. Ihrerseits lehnt Sinn Féin weitere Zugeständnisse ab und wirft dem Koalitionspartner Wortbruch und Blockadehaltung vor.

Der Grund für die Blockadehaltung der DUP ist einfach. Seit der Bildung der Koalition mit Sinn Féin sieht sie sich erstmals einer Konkurrenz am unionistischen rechten Rand, nämlich von der 2007 gegründeten Traditional Unionist Voice (TUV) unter der Leitung des einstigen Paisley-Kampfgefährten und DUP-Europaabgeordneten Jim Allister, ausgesetzt. Im Mai stehen Wahlen zum britischen Unterhaus an. Die DUP muß befürchten, daß ihre Stammwähler, sollte sie im Streit mit Sinn Féin einlenken und den Weg für die Rückübertragung der Polizeigewalt an Belfast freimachen, zur TUV überlaufen werden. Bei den Eurowahlen im letzten Sommer - für Nordirland gibt es drei Sitze - landete der DUP-Kandidat Jim Nicholson wegen der an die TUV verlorenen Stimmen hinter der Kandidatin der gemäßigten Ulster Unionist Party (UUP), Diane Dodds, auf dem zweiten Platz. Bei den Wahlen zum britischen Unterhaus, wo derzeit DUP neun Sitze, UUP einen, Sinn Féin 5 - aus ihrer prinzipiellen Ablehnung der Union Nordirlands mit Großbritannien nehmen die Irisch-Republikaner an den Beratungen des Londoner Parlaments niemals teil - und die gemäßigte, nationalist-katholische Social Democratic Labour Party (SDLP) 3 haben, müßten die Democratic Unionists befürchten, aufgrund der Wählerabwanderung zur TUV ihre Vormachtstellung gegenüber den Ulster Unionists einzubüßen.

Die Wahlen zum EU-Parlament im Sommer 2009 lieferten den Unionisten - DUP, UUP und TUV gemeinsam - aus einem anderen Grund Anlaß zur Sorge. Aufgrund der Aufsplittung der unionistischen Stimmen errang zum erstenmal in der Geschichte ein Kandidat der katholischen Minderheit, in diesem Fall war es Sinn Féins Bairbre de Brún, den ersten Platz. Sollte Sinn Féin aus den Wahlen zur nordirischen Regionalversammlung, die 2011 anstehen, erneut als stärkste Einzelpartei hervorgehen, hätte sie gemäß dem Karfreitagsabkommen Anspruch auf den Posten des Ersten Ministers Nordirlands, was für die Unionisten das absolute Alptraumszenario wäre, vergleichbar dem, als müßten stramme CDU/CSU- Politiker mit ansehen, wie Mitglieder der Roten Armee Fraktion im Bundestag Plätze auf der Regierungsbank einnehmen.

Damit es hierzu nicht kommt - traditionell erringt das protestantische Lager bei Wahlen knapp unter fünfzig Prozent der Stimmen, während das katholische stets knapp unter 45 liegt -, sind fieberhafte Bemühungen im Gange, welche die Suche nach einem Ausweg aus der derzeitigen politischen Krise erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen werden. Mitte Januar sorgte die Nachricht für Empörung, hochrangige Vertreter der DUP und der UUP seien wenige Tage zuvor nach England zu Geheimgesprächen mit Owen Cameron, dem Nordirland-Sprecher der britischen Konservativen, denen gute Chancen auf einen Sieg bei den Unterhauswahlen im Mai eingeräumt werden, geflogen. Man vermutet, daß es bei den Gesprächen um eine Maximierung des protestantischen Sitzeanteils bei den Unterhauswahlen in Nordirland und eventuell um irgendeinen krummen Deal zwischen den Unionisten und den britischen Konservativen ging.

Gordon Brown warf dem Tory-Chef David Cameron vor, sich unzulässig in die Nordirland-Politik eingemischt, die eigene Regierung hintergangen und den Friedensprozeß in Gefahr gebracht zu haben. Alastair McDonnell, der SDLP-Vizechef, warnte die Tories sogar davor, die "orange card" zu spielen - eine Erinnerung an die Aufwiegelung der protestantischen Bevölkerung Nordirlands Anfang des 20. Jahrhunderts durch die britischen Konservativen unter der Leitung von Sir Randolph Churchill gegen die Autonomiepläne der damaligen liberalen Londoner Regierung für ganz Irland. Damals wurde die Saat jener Gewalt, welche den Nordosten der grünen Insel seitdem kennzeichnet, gelegt. Aus Protest gegen die Geheimgespräche sind drei aussichtsreiche Kandidaten der Konservativen in Nordirland für die Unterhauswahl im Frühsommer, welche die Tories dort gemeinsam mit der UUP bestreiten wollen, zurückgetreten.

Inzwischen stellte sich heraus, daß führende Mitglieder von DUP und UUP bereits vor Weihnachten einer Einladung des Oranierordens gefolgt waren, sich darüber auszutauschen, wie man rechtzeitig zu den nächsten Wahlen - ob nun zum britischen Unterhaus oder auch zur nordirischen Versammlung sei dahingestellt - eine einheitliche unionistische Front bilden könnte. An dem Treffen Anfang Dezember in Schomburg House, dem Hauptquartier des Oranierordens in Belfast, nahmen auf Seite der DUP der Parteichef und Erste Minister Peter Robinson sowie der Vizeparteichef Nigel Dodds und von der UUP Parteichef Sir Reg Empey und David McSharry, die beide Abgeordnete im nordirischen Parlament sind, teil. Den Vorsitz bei dem Treffen hatten Robert Saulters, Grand Master des Oranierordens, und Drew Nelson, Grand Secretary, inne. Am Abend des 28. Januar hat "Hearts and Minds", das führende Politmagazin des Fernsehsenders BBC Northern Ireland, über die sonderbare Begegnung berichtet. Demnach sollen Robinson und Empey zum Beispiel darüber diskutiert haben, ob die DUP bei den britischen Unterhauswahlen in den beiden Wahlkreisen Fermanagh/South Tyrone und South Belfast keine Kandidaten aufstellt. Dies würde der UUP gute Chancen einräumen, im ersteren Wahlkreis Michelle Gildernew von Sinn Féin und im letzteren den bereit erwähnten SDLP-Vizechef McDonnell zu besiegen und deren Sitze zu erobern.

In Reaktion auf die "Hearts and Minds"-Sendung weigerte sich der Oranierorden mit dem Hinweis, das ganze sei privat gewesen, die Begegnung zu kommentieren - was den konspirativen Charakter des Treffens lediglich bestätigte. In Anspielung auf das Treffen tat am Nachmittag des 29. Januar, als die letzten Stunden der Verhandlungen in Belfast zu Minuten zusammenschrumpften, der Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams die Vorstellung als aberwitzig ab, daß die DUP als Belohnnung dafür, der Rückübertragung der Polizeigewalt von London zugestimmt zu haben, demnächst wieder grünes Licht für Oraniermärsche entlang der Garvaghy Road in Portadown oder durch das katholische Nordbelfaster Viertel Ardoyne erteilen könnte. Zum Stand der Verhandlungen war laut einem Online-Bericht des staatlichen irischen Rundfunks RTÉ zuletzt zu vernehmen, DUP und Sinn Féin hätten sich im Prinzip in der Frage der Polizei und Justiz geeinigt, hinsichtlich der Themen Parades Commission und die Gleichberechtigung der gälischen Sprache sei jedoch immer noch keine Lösung in Sicht.

29. Januar 2010