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PARTEIEN/238: Wahlkampf in Britannien - Clegg unter Dauerfeuer (SB)


Wahlkampf in Britannien - Clegg unter Dauerfeuer

Konversative britische Medien kommen den schwächelnden Tories zu Hilfe


Weniger als zwei Wochen vor den Parlamentswahlen in Großbritannien am 6. Mai sehen sich die Untertanen Ihrer königlichen Majestät Elizabeth II. diesmal überraschender Weise mit keiner Neuauflage des Dauerringens zwischen der Labour-Partei und den Konservativen konfrontiert. Diesmal halten die Liberaldemokraten kräftig mit. Ihr Parteivorsitzender, der 43jährige Nick Clegg, liegt in den Umfragen entweder vorn oder gleichauf mit David Cameron, dem gleichaltrigen Chef der Tories. An dritter Stelle läuft der 56jährige, etwas müde wirkende Labour-Vorsitzende Gordon Brown, der seit 1997 in der Downing Street - bis 2007 in Number 11 als Schatzmeister und seit dem Rücktritt Tony Blairs als Premierminister in Number 10 - residiert, den beiden Möchtegern-Erneuerern hinterher. Die unerwartet große Zustimmung, die Clegg im Wahlkampf genießt, hat bei den Tories einen regelrechten Schock ausgelöst, denn die Liberaldemokraten könnten ihnen den erwarteten Wahlsieg kosten. Deswegen blasen die konservativen Medien auf der Insel - die Zeitungsgruppen Mail und Telegraph sowie das gesamte Medienimperium News International von Rupert Murdoch mit den Zeitungen Times und Sun und dem Nachrichtensender Sky News - zum Großangriff auf Clegg, um diesen noch rechtzeitig vor dem Urnengang zu diskreditieren. Ob ihnen dies gelingen wird, ist eine andere Sache.

Im britischen Unterhaus sind 646 Sitze zu vergeben. Bis auf kleinere Regionalparteien in Nordirland, Schottland und Wales haben sich während der letzten Legislaturperiode Labours Sozialdemokraten mit 356, die Konservativen mit 198 und die LibDems mit 62 die allermeisten Sitze unter sich aufgeteilt. Wegen der Besonderheiten des britischen Wahlsystems, bei dem die Sitze einzeln gewonnen werden müssen - es gibt keine Listenplätze - und der erfolgreiche Kandidat nicht die absolute Mehrheit, sondern lediglich die meisten Stimmen braucht, hatten sich die oppositionellen Konservativen, die wirklich lange Zeit in den Umfragen weit vor der regierenden Labour-Partei lagen, gute Chancen auf eine deutliche Mehrheit im nächsten Parlament ausgerechnet. Bis vor wenigen Monaten gingen alle Beobachter von einer Abwahl Labours und von einer neuen Regierung unter der Leitung Camerons aus.

Doch in den letzten Monaten hat Labour in den Umfragen aufholen und den Vorsprung der Tories reduzieren können. Dies hängt weniger mit Browns behaupteter Meisterung der Finanz- und Wirtschaftskrise als vielmehr mit der Angst vieler Bürger vor den zu erwartenden Kürzungen der Staatsausgaben, welche die Tories, traditionell die Vertreter der Wohlhabenden, ungleichmäßig auf Kosten der unteren und mittleren Schichten vornehmen dürften, zusammen. Schon seit einigen Monaten wurde die Möglichkeit diskutiert, daß der erwartete Wahlsieg der Konservativen über Labour so gering ausfallen könnte, daß es ein hung parliament gibt, das heißt ein Unterhaus, in dem keine der beiden großen Parteien die absolute Mehrheit innehat. Das würde bedeuten, daß den Liberaldemokraten eventuell die Rolle des Züngleins an der Waage zukäme und von ihnen abhinge, wer demnächst in den Buckingham Palace fährt, um die Königin um den Regierungsauftrag zu bitten. Nicht zuletzt wegen dieses Szenarios sind Cameron und die Tories eine Allianz mit der Ulster Unionist Party (UUP) eingegangen, um sich für die nächste Legislaturperiode die Stimmen zumindest eines Teils der protestantischen Abgeordneten aus Nordirland zu sichern.

Das unerwartete gute Abschneiden Cleggs bei der ersten Fernsehdebatte am 15. April, welche der LibDem-Chef nach allen Umfragen haushoch gewann, hat blanke Panik bei den Konservativen ausgelöst. Aus ihrer Sicht droht das Alptraumszenario, daß der britischen Parteienlandschaft eine radikale Veränderung bevorsteht und daß es künftig statt der beiden übergroßen Fraktionen Labour und Conservative im Unterhaus eine dreifache Aufteilung gibt, bei der diese ungefähr gleichauf mit den Liberal Democrats liegen. Diese Möglichkeit, die das Ende des Traums der Tories von einer konservativen Herrschaft über mehrere Legislaturperioden hinweg bedeuten würde, hat deren Freunde in den Medien auf den Plan gerufen.

Das mächtige rechte Kommentariat schickt sich nun an, so schnell wie möglich Clegg in den Augen der Wähler auf Normalmaß zu reduzieren und vielen Bürgern ihre Hoffnung auf ein Ende der alles überlagernden Dauerrivalität zwischen den Sozialdemokraten und den Tories auszutreiben. Es gibt auch handfeste Gründe für die Feindschaft der rechten Medien gegenüber Clegg, denn dieser war gegen den Irakkrieg, hat die "special relationship" Großbritanniens zu den USA als überholt und überbewertet bezeichnet, will das enorm teure u-boot-gestützte Atomwaffensystem Trident nicht modernisieren, sondern abschaffen, und tritt für eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union einschließlich der Einführung des Euros in Großbritannien anstelle des Pound Sterling ein.

Also wurde im Vorfeld der zweiten Fernsehbatte zwischen Brown, Cameron und Clegg am 22. April, diesmal zum Thema Außenpolitik, in der Presse das Feuer auf den liberaldemokratischen Hoffnungsträger eröffnet. Am selben Tag wartet die Daily Mail mit der Titelgeschichte auf, Clegg habe der Nation eine Nazi-Beleidigung zugemutet, nur weil er in einer Rede 2002 die Briten dazu aufgerufen hatte, ihr Verhältnis zu den Deutschen nicht ständig durch die Brille des Zweiten Weltkrieges zu betrachten. Insgesamt fand sich in dieser Ausgabe der Daily Mail sieben Artikel, in denen über Clegg und die Liberaldemokraten hergezogen und die Möglichkeit eines hung parliaments als wenig wünschenswert dargestellt wurde. Im Leitartikel stellte man Cleggs Patriotismus mit dem Hinweis, daß sein Vater Halbrusse, seine Mutter eine Niederländerin und seine Frau Spanierin ist, in Frage. Im Telegraph wurde versucht, Clegg den illegalen Umgang mit Parteispenden bzw. mit dem Spesensystem für Abgeordnete anzuhängen.

Nach Angaben des linksliberalen Guardian in der Ausgabe vom 23. April waren zwei Tage zuvor James Murdoch, Vorstandsvorsitzender von News International, und Rebekah Brooks, die ehemalige Chefredakteurin von The Sun, in die Redaktion der liberalen Tageszeitung Independent einmarschiert und haben den Chefredakteur Simon Kellner vor seinen Mitarbeitern regelrecht zur Sau gemacht. Anlaß der ungebetenen und unangenehmen Visite der beiden mächtigen News-International-Vorstandsmitglieder war eine an die Bürger Großbritanniens gerichtete Anzeigekampagne des Independent mit der Überschrift "Nicht Rupert Murdoch wird über den Ausgang dieser Wahl entscheiden, sondern Sie werden es". Im Guardian zitierte Oliver Burkeman einen verdutzten Journalistenkollegen vom Independent dahin gehend, daß der Auftritt von Murdoch jun. und Brooks etwas vom "wilden Westen" gehabt habe. Tatsächlich haben die Murdoch-Medien spätestens seit der Wahl Margaret Thatchers im Jahre 1979 die Regierungsbildung in Großbritannien bestimmt - man bedenke nur den erniedrigenden Flug des damaligen Oppositionsführers Blair nach Australien im Vorfeld der Wahl 1997, um Murdoch sen. seine Aufwartung zu machen und dessen öffentlichen Segen einzuholen. Die nächsten Tage werden zeigen, ob die Briten weiterhin gewillt sind, sich von den Interessen des "Dirty Digger" und von Mail-Herausgeber Paul Dacre beeinflussen zu lassen.

24. April 2010