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PARTEIEN/245: Verhandelt London mit den IRA-Dissidenten? (SB)


Verhandelt London mit den IRA-Dissidenten?

Neue Anschlagsreihe in Nordirland - kehren die Troubles zurück?


In Nordirland machen in den letzten Wochen und Monaten die republikanischen Splittergruppen Real IRA, Continuity IRA und Oglaigh na hÉireann (Frewillige Irlands) durch Bombenanschläge verstärkt auf sich aufmerksam. Bisher haben die Anschläge keine Todesopfer gefordert, entweder weil die Bomben entschärft werden konnten oder nicht gezündet bzw. lediglich Sachschaden an Polizeiwachen und Militärstützpunkten angerichtet haben, nachdem man rechtzeitig die Gegend um das jeweilige Ziel räumen konnte. Setzt sich die Anschlagsreihe fort, besteht die Gefahr, daß probritische, paramilitärische Gruppierungen in der Provinz wie die Ulster Defence Association (UDA) und die Ulster Volunteer Force (UVF) ihren Waffenstillstand aufkündigen und die sogenannten Troubles, die man mit dem Karfreitagsabkommen vom 1998 beigelegt zu haben glaubte, wieder von vorne losgehen.

Um dies zu verhindern, hat Sinn Féin, der politische Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), die sich seit 1997 im Waffenstillstand befindet und 2005 ihren bewaffneten Kampf offiziell für beendet erklärte, den Kameraden von einst Gespräche angeboten. Doch derzeit ist unklar, inwieweit die republikanischen Dissidenten auf das Angebot eingehen werden. Die Aktivisten der Real IRA, der Continuity IRA und Oglaigh na hÉireann werfen Sinn Féin vor, durch die Beteiligung an einer nordirischen Regierung an der Seite der probritischen Democratic Unionist Party (DUP) die republikanischen Ideale verraten zu haben. Diese sehen die politische Wiedervereinigung Irlands und den kompletten Abzug aller britischen Streitkräfte von der Insel vor.

Auf der Seite der Sinn Féin und der IRA ist man vor Jahren zu der Einsicht gelangt, erstens daß die britische Armee mit militärischen Mitteln nicht entscheidend zu besiegen ist und zweitens daß eine Fortsetzung des bewaffneten Kampfs im irisch-republikanischen Sinne kontraproduktiv wäre, da er lediglich die Vorbehalte der eineinhalb Millionen nordirischen Protestanten gegenüber einem wiedervereinigten Irland zementierte. Deswegen hat am 8. August der Sinn-Féin-Parteivorsitzende Gerry Adams den republikanischen Dissidenten vorgeworfen, durch ihre Aktionen den unionistischen Hardlinern in Nordirland und konservativen Kräften in Großbritannien, die eine Wiedervereinigung Irlands kategorisch ablehnen, in die Hände zu spielen. Nach der Explosion einer 100-Kilo-Bombe vor einer Polizeiwache in Derry am 3. August hatte Martin McGuinness, der Sinn-Féin-Vizepräsident und Stellvertretende Premierminister Nordirlands, die Verantwortlichen "eine Schande für das irische Volk" genannt. Im Frühjahr 2009, nachdem IRA-Dissidenten zwei britische Soldaten erschossen hatten, hatte McGuinness die Schützen als "Landesverräter" bezeichnet.

Am 12. August hat McGuinness für Furore gesorgt, als er in einem BBC-Interview erklärte, die Regierungen Großbritanniens und Irlands führten bereits Geheimgespräche mit den Vertretern der republikanischen Splittergruppen, um diese zum Gewaltverzicht zu bewegen. Aus Dublin und London kamen sofort offizielle Dementis. Doch McGuinness dürfte wissen, wovon er spricht. Schließlich war er während der Troubles als IRA-Kommandeur von Derry immer wieder an irgendwelchen Geheimverhandlungen mit dem britischen Sicherheitsapparat beteiligt. Im besagten Interview mit BBC Ulster bewertete McGuinness die Gesprächsbereitschaft zumindest von Teilen der republikanischen Dissidenten als Indiz dafür, daß auch diese allmählich die Kontraproduktivität ihres Kurses erkennen. Seit einiger Zeit gibt es einen erbitterten Streit um die Art und Weise, wie rund 40 gefangene Mitglieder der Real IRA und der Continuity IRA im Gefängnis Maghaberry nahe Belfast behandelt werden. Sollte durch besagte Geheimgespräche eine Lösung dieses Problems gefunden werden, bestünden gute Chancen, daß die Aktivitäten der republikanischen Dissidenten stark zurückgehen.

14. August 2010