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PARTEIEN/246: Irland droht Verlust der finanziellen Souveränität (SB)


Irland droht Verlust der finanziellen Souveränität

Dublin bringt sich mit chaotischer Informationspolitik in Mißkredit


Die katastrophale Informationspolitik der derzeitigen Regierung Irlands, welche die schwere Finanzkrise auf der grünen Insel erheblich verschärft, hat sich am Wochenende des 13. und 14. November erneut mehr als deutlich manifestiert. Nachdem sich am 12. November aufgrund anhaltender Turbulenzen am Markt für irische Staatsanleihen die Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens am Rande des G20-Gipfels im südkoreanischen Seoul zur Abgabe einer hundertprozentigen Garantie für die Schulden der Republik Irland und ihres krisenerschütterten Bankensektors veranlaßt sahen, meldeten am nächsten Tag die BBC, Bloomberg, die Financial Times und das Wall Street Journal, Dublin würde sich in den nächsten Tagen gezwungen sehen, ein Hilfspaket aus dem Rettungsfonds der Europäischen Union zu beantragen. Unterfüttert wurden die Medienberichte von Angaben irgendwelcher Insider in Dublin, Berlin, Frankfurt und Brüssel, wonach auf der internationalen Ebene entsprechende Vorkehrungen für den Fall bereits getroffen bzw. geklärt würden.

Auf dererlei Horrormeldungen angesprochen, beteuerte am Abend des 14. November Justizminister Dermot Ahern in der allwöchentlichen Politsendung "The Week in Politics" des ersten Fensehprogramms des irischen Rundfunks Radio Teilifís Éireann (RTÉ), es handele sich hier um reine "Fiktion"; dahinter stecke nichts als "Spekulationen". Am 15. November stellte sich jedoch heraus, daß es am besagten Wochenende sehr wohl Gespräche zwischen Spitzenbeamten der Finanzministerien in Dublin und Berlin, der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankurt, der Europäischen Kommission in Brüssel und des Internationalen Währungsfonds (IWF) über die Handhabung für den Fall gegeben hat, sollte eine Inanspruchnahme des EU-Rettungsfonds seitens der irischen Regierung unausweichlich werden. Die Tatsache, daß diese Diskussionen stattfanden, während Ahern gleichzeitig öffentlich ihre Existenz erfolglos zu bestreiten versuchte, steht exemplarisch für das Mißmanagement der Finanzkrise durch die irische Regierung. Einerseits wird alles schöngeredet, und Beschwichtigungen gibt es am laufenden Band, während bis heute eine genaue Aufstellung über die Verbindlichkeiten des irischen Bankensektors fehlt, die das Land in den Konkurs zu stürzen drohen. Angesichts des beispiellosen wie peinlichen Eiertanzes wundert es nicht, daß die Zinsen für irische Staatsanleihen seit einiger Zeit kontinuierlich ansteigen und Ende letzter Woche die astronomische Höhe von neun Prozent erreichten - auch wenn sie inzwischen auf knapp über acht Prozent leicht zurückgefallen sind.

Da stellt sich gleichzeitig die Frage, warum sich angesichts eines Wochenendes, an dem eine angsteinflössende Meldung zum Stand der irischen Wirtschaft die nächste jagt, ausgerechnet der Justizminister am sonntäglichen Abend in die RTé-Sendezentrale im Dubliner Vorort Donnybrook begeben mußte. Wo waren Finanzminister Brian Lenihan und Taoiseach (Premierminister) Brian Cowen? The two Brians, wie das unglücklich Duo inzwischen genannt wird, hatte Besseres zu tun, als den Ruf der Nation gegenüber internationalen Märkten zu verteidigen, nämlich zusammen mit den Kollegen im Wahlkreis Donegal South-West Wahlkampf für die eigene Partei Fianna Fáil ("Soldaten des Schicksals") zu machen. Dort findet am 25. November eine Nachwahl zum irischen Parlament Dáil statt. Derzeit hat die regierende Koalition aus Fianna Fáil und den Grünen, unterstützt von einigen unabhängigen Abgeordneten, eine Mehrheit von lediglich drei Stimmen. Verliert Fianna Fáil die Nachwahl in Donegal South-West, schrumpft die Regierungsmehrheit auf zwei Stimmen, was die bevorstehende Verabschiedung des Haushalts für 2012 und des Vierjahresplan, mit dem bis Ende 2014 das Haushaltsdefizit von derzeit 32 auf 3 Prozent reduziert werden soll, schwierig machen könnte.

Derzeit spricht alles dafür, daß der Senator Pierse Doherty von Sinn Féin den Sitz gewinnen wird. Er hatte am 2. November vor dem High Court in Dublin Erfolg mit seiner Klage gegen die Regierung, die sich geweigert hatte, einen Termin für die Nachwahl in Donegal South-West anzusetzen, obwohl die Menschen dort seit der Wahl ihres bisherigen Parlamentsabgeordneten Pat "The Cope" Gallagher von Fianna Fáil ins EU-Parlament im Juni 2009 ohne Vertretung im Dubliner Unterhaus sind. Die Reaktion von Cowen und Konsorten auf die Entscheidung des High Court war wiederum bezeichnend dafür, wie Fianna Fáil, die praktisch seit der Gründung der Republik für sich beanspruchen, die einzigen wahren irischen Patrioten im politischen System zu sein, die Parteiinteressen über die der Nation stellen. Vor Wochen hatte die Regierung für Mitte November eine Offenlegung der Staatsfinanzen einschließlich des Haushalts und des Vierjahressanierungsplans angekündigt. Woche für Woche war die Summe, um die die staatlichen Ausgaben im kommenden Jahr gekürzt werden sollten, von Anfangs drei Milliarden Euro auf zuletzt sechs Milliarden Euro gestiegen.

Angesichts einer solchen Salami-Taktik an der Informationsfront - die schlechten Nachrichten portionsweise durchsickern zu lassen - waren die Zustimmungswerte für Fianna Fáil in den Umfragen eingebrochen. Die lange Zeit als unumstößlich geltende Theorie, wonach die erfolgreiste politische Partei Irlands einen festen Sockel an Wählern von rund 22 Prozent habe, wurde zur Makulatur. Bei den jüngsten Umfragen lag Fianna Fáil bei 18 Prozent - einem historischen Tiefstand. Fänden derzeit Parlamentswahlen statt, würde vermutlich über die Hälfte der FF-Abgeordneten ihre Sitze verlieren und müßte sich dem großen Heer der Arbeitslosen - derzeit rund 10 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung - anschließen. Deswegen geht bei der Regierung die Angst um und deswegen wollen Fianna Fáil und Grüne solange wie möglich regieren, in der Hoffnung, daß sich bis 2012 - die letzten Wahlen waren 2007 - die Lage verbessert hat.

Wie dem auch sei. Die Entscheidung der Cowen-Regierung, nach dem überraschenden juristischen Sieg Pierse Dohertys die Vorlage des Haushalts und des Vierjahresplans bis nach der Nachwahl in Donegal South-West, und zwar bis Anfang Dezember zu verschieben, war nicht nur leichtfertig, sondern auch grenzenlos dumm. Inzwischen hat Dublin dies eingesehen, den Termin erneut korrigiert und ihn auf nächste Woche gelegt. Daß die Kurskorrektur Briain O'Dohmnaill, Fianna Fáils Kandidaten bei der Nachwahl, vor der Niederlage bewahren wird, ist zu bezweifeln. Zu groß ist die Empörung im ganzen Land einschließlich Donegal South-West über die ständig steigenden, letztlich unabsehbaren Kosten des Bankenrettungsplans von Cowen und Lenihan vom letzten Herbst.

Gerade die staatliche Garantie zur Übernahme sämtlicher Verbindlichkeiten der Pleitebank Anglo-Irish sowie der beiden Finanzhäuser Allied Irish Bank und Bank of Ireland ist das große Problem, nicht die Reduzierung der staatlichen Ausgaben. Diese Verbindlichkeiten - derzeit geschätzt auf mindestens 65 Milliarden Euro - entstanden während der Jahre des sogenannten Keltischen Tigers und sind das Ergebnis einer gigantischen Immobilienblase, welche führende Politiker von Fianna Fáil und ihre Amigos bei besagten Banken und der Bauindustrie zu verantworten haben. Es besteht der dringende Verdacht, daß diese Verstrickungen die Grenzen des Legalen überschritten, was wiederum erklärt, warum Cowen, der, bevor er 2008 Nachfolger Bertie Aherns wurde, selbst jahrelang Finanzminister war, und die anderen großen Tiere von Fianna Fáil nur scheibchenweise und nur unter größtem Druck - wenn überhaupt - mit der Wahrheit herausrücken. Es ist eine Ironie des Schicksals, daß gerade in Donegal South-West über die Zukunft Fianna Fáils entschieden werden könnte - ist doch das dünnbesiedelte Donegal im äußersten Nordwesten mit mehr als 150 die Grafschaft mit der höchsten Anzahl sogenannter "zombie estates", d. h. Wohnsiedlungen, die auf Pump gebaut, nur teilweise fertiggestellt wurden und wegen eingebrochener Nachfrage wahrscheinlich abgerissen werden müssen.

15. November 2010