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PARTEIEN/254: Schwere politische Krise erschüttert Irland (SB)


Schwere politische Krise erschüttert Irland

Fianna Fáil kommt aus dem Abwärtstrend nicht heraus


Zu der wirtschaftlichen Krise, von der sich Irland seit Herbst 2008 und dem Platzen der Immobilienblase auf der Insel heimgesucht sieht, kommt dieser Tage eine politische hinzu, die sich von der Schwere her in der Geschichte der irischen Republik nur mit der sogenannten Arms Crisis 1970, als sich Premierminister Jack Lynch dazu veranlaßt sah, Finanzminister Charles Haughey und Landwirtschaftsminister Neil Blaney wegen der illegalen Beschaffung von Waffen für nationalistische Kräfte in Nordirland zu entlassen, vergleichen läßt. In den letzten Tagen erfolgten die Ereignisse dermaßen überstürzt, daß alle, Wähler, Kommentatoren und Politiker, nicht richtig zu wissen scheinen, wo ihnen der Kopf steht.

Als im vergangenen Dezember die seit 2007 regierende Koalition aus der nationalkonservativen Partei Fianna Fáil und den Grünen den Haushalt für 2011 dem Parlament vorlegte, war ihr Ende schon besiegelt. Die öffentliche Empörung über die im November mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Kommission der Europäischen Union und der Europäischen Zentralbank (EZB) in Höhe von 85 Milliarden Euro war enorm und der Gedanke an dem damit einhergehenden Verlust staatlicher Souveränität für die meisten Iren schwer tragbar. In den Umfragen fielen die Popularitätswerte der Regierungsparteien ins Bodenlose. Besonders Premierminister Brian Cowen, der bis zuletzt behauptet hatte, das Land würde den Weg aus der Krise allein finden, internationale Hilfe würde sich als unnötig erweisen, machte eine ganz unglückliche Figur.

Hatten die Grünen noch im November durch die Drohung, sonst aus der Regierung auszutreten, von Cowen die Zusage, vorgezogene Parlamentswahlen für Frühling 2011 auszuschreiben, erzwungen, so versuchte der Premierminister die Entscheidung über das Datum solange wie möglich hinauszögern, in der Hoffnung, die Umfragewerte für sich und seine Partei würden sich irgendwann einmal verbessern. Zu den Verzögerungstaktiken gehörte eine überflüssige Debatte darüber, ob man parallel mit der Parlamentswahl einen Volksentscheid über die Abschaffung des Senats durchführen sollte. Die Vorbereitung hierfür hätte Cowen vielleicht ein paar zusätzliche Monate verschafft.

Bei den Hinterbänklern von Fianna Fáil rumorte es über Weihnachten und Neujahr, denn laut Umfragen drohte die traditionell größte Fraktion im irischen Parlament bei den Wahlen mindestens die Hälfte ihrer Sitze zu verlieren. Wegen der Aussicht, entweder bei der Wahl durchzufallen oder sich mit einigen Jahren in der Opposition abfinden zu müssen, kündigten mehrere ältere Minister ihren Rücktritt aus der Politik an. Innerhalb der parlamentarischen Fraktion von Fianna Fáil schienen jedoch die meisten der Meinung zu sein, daß es für einen Austausch an der Spitze der Partei zu spät war und daß ein Wechsel des Vorsitzenden nichts bringen würde.

Doch als Mitte Januar die Details einer bis dahin geheim gebliebenen Runde Golf mit anschließendem Abendessen, die Cowen mit Sean Fitzpatrick, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der inzwischen pleitegegangenen Anglo Irish Bank, im exklusiven Golfhotel Druids Glen südlich von Dublin im Juli 2008 gespielt hatte, war die öffentliche Aufregung verheerend. Schließlich befand sich Anglo zu jenem Zeitpunkt in größter finanzieller Not, wie sich später herausstellen sollte. Cowen behauptete, Fitzpatrick und er hätten weder auf dem Golfplatz noch beim Dinner über die damaligen Probleme von Anglo, sondern lediglich über die wirtschaftliche Großwetterlage geplaudert. Niemand glaubte ihm das. Wegen der Kontroverse um seine Person rief Cowen zu einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz auf, die er am 18. Januar gewann. Als einziger Gegenkandidat war Mícheál Martin angetreten, der nach der Niederlage als Außenminister zurücktrat.

Vom Sieg offenbar berauscht, wollte Cowen am nächsten Tag eine schnelle Kabinettsumbildung durchführen, um den zurückgetretenen Martin sowie die nach der Wahl aus der Politik ausscheidenden Minister Dermot Ahern (Justiz), Noel Dempsey (Transport und Infrastruktur) und Mary Harney (Gesundheit) durch neue Gesichter zu ersetzen. Es gibt sogar den Verdacht, er hätte seine Wiederwahl als Parteivorsitzender durch die Aussicht auf die Neuverteilung von Ministerposten erzielt. Wie dem auch sei. Die Grünen, die Cowen in der Sache der Kabinettsumbildung im dunkeln gelassen hatte, legten sich quer und ließen den Plan scheitern. Doch der Premierminister hatte die Rücktrittsgesuche bereits Präsidentin Mary McAleese vorlegen lassen. Die Kabinettsposten mußten deshalb an die verbliebenen Minister verteilt werden. Wegen des öffentlichen Unmuts über die mißglückte Kabinettsumbildung sah sich Cowen gezwungen, sich am 20. Januar auf den 11. März als Datum für die Parlamentswahlen festzulegen und am 22. Januar als Parteivorsitzenden von Fianna Fáil doch noch seinen Hut zu nehmen.

Die Abstimmung über den Fianna-Fáil-Vorsitz fand am heutigen 26. Januar statt. Wie erwartet hat Mícheál Martin ihn gewonnen. Sein größter Konkurrent Brian Lenihan hatte sich in letzter Zeit von seinen Aufgaben als Finanzminister überfordert gezeigt. Der Führungswechsel bei Fianna Fáil fand vor einem absolut chaotisch politischen Hintergrund statt. Wegen der Sprunghaftigkeit und des mangelnden Kommunikationswillens Cowens waren die Grünen am 23. Januar aus der Koalition ausgestiegen. Um schnellstmögliche Wahlen zu ermöglichen - momentan gilt der 25. Februar als aussichtsreichstes Datum -, wird derzeit das Finanzgesetz, das dem von drakonischen Sozialkürzungen und Steuererhöhungen gekennzeichneten Haushalt 2011 eine rechtliche Grundlage verschafft, im Eilverfahren durch das Parlament gejagt. An dieser Schmierenkomödie nehmen die Oppositionsparteien, die nationalkonservative Fine Gael und die sozialdemokratische Labour teil, obwohl sie angeblich das Maßnahmenpaket ablehnen. Eine Oppositionspolitik, die diesen Namen verdient, leistet im Parlament derzeit lediglich die linksnationalistische Sinn Féin, die anstelle von Kürzungen mit einem Konjunkturprogramm die Wirtschaft ankurbeln und die hohe Arbeitslosigkeit bekämpfen will.

26. Januar 2011