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PARTEIEN/258: Irlands Regierung von den Wählern heftig abgestraft (SB)


Irlands Regierung von den Wählern heftig abgestraft

Fine Gael und Labour nehmen Koalitionsgespräche auf


In Irland ist die Auszählung der Wahl von Freitag, dem 25. Februar, die am darauffolgenden Tag begonnen hatte, wegen des komplizierten Verfahrens nach dem Single Transferable Vote (STV), wonach die Zweit-, Dritt- und weiteren Stimmen der Kandidaten, welche die wenigsten Erststimmen erhielten, unter den erfolgreicheren Gegnern aufgeteilt werden, immer noch nicht abgeschlossen. Bisher sind 154 von 166 Sitzen im irischen Unterhaus, dem Dáil vergeben worden - 70 an Fine Gael, 36 an Labour, 18 an Fianna Fáil, 13 an Sinn Féin, 4 an das von der Socialist Party und der People Before Profit Alliance (PBPA) gegründete Wahlbündnis United Left Alliance (ULA) und 13 an parteilose Kandidaten, die sogenannten Independents.

In den drei Wahlkreisen Galway West, Laois-Offaly und Wicklow wird noch munter - oder auch nicht - weiter gezählt. Während in Galway West und Laois Offaly ein Endergebnis bis heute abend möglich erscheint, ist ein Ende der Zählerei in Wicklow nicht einmal in Sicht. Dort traten 24 Kandidaten an. Im Rathaus von Wicklow Town hatte man gerade die dreizehnte Zählung vollendet, als Dick Roche, Noch-Europa-Minister der zusammen mit den Grünen noch regierenden Partei Fianna Fáil Einspruch gegen seine Eliminierung inklusive der Aufteilung seiner Zweitstimmen einlegte und eine komplette Neuauszählung aller Erststimmen erwirkte.

Die Uneinsichtigkeit Roches in seine bevorstehende Abwahl - er steht derzeit auf dem zehnten Platz und hat rein rechnerisch nicht die geringste Chance auf einen der fünf Sitze im Wahlbezirk Wicklow - zeugt von jener Arroganz, die der seit 1997 zunächst mit den neoliberalen Progressive Democrats und nach deren Untergang bei der Wahl 2007 mit den Grünen regierenden Fianna Fáil die schlimmste Niederlage ihrer Geschichte beschert hat. Sie hat zum erstenmal überhaupt ihren angestammten Rang als größte Einzelfraktion im Dáil eingebußt. Die Zahl ihrer Abgeordneten ist von 71 auf voraussichtlich 20 zusammengeschrumpft. In der Hauptstadt Dublin, wo rund ein Drittel der Wähler Irlands lebt, hat Fianna Fáil nur noch einen einzigen Vertreter, Noch-Finanzminister Brian Lenihan. Der Absturz von Fianna Fáil, dessen geschichtliche Dimension einzigartig ist - der Historiker Diarmuid Ferriter zum Beispiel geht davon aus, daß sie nach der jetzigen Katastrophe niemals wieder ihre Vormachtstellung in der irischen Republik wird erreichen können - wird mathematisch gesehen nur noch von der Vernichtung der Grünen übertroffen, von deren sechs Abgeordneten kein einziger wiedergewählt wurde.

Von jener Regierung, die im September 2008 für die Verluste der irischen Banken nach dem Platzen der Immobilienblase auf der grünen Insel eine hundertprozentige Garantie abgegeben hat und im letzten November deshalb den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Europäische Zentralbank (EZB) und die Europäische Kommission ins Land holen mußte, um zwecks Abwendung des Staatsbankrotts mit deren Vertretern die Bedingungen eines sogenannten "Rettungspakets" in Höhe von 85 Milliarden Euro auszuhandeln, wird im 31. Dáil bis auf Lenihan und seinen Fianna-Fáil-Kollegen Eamon O'Cuív, Enkel des Parteiengründers Eamon De Valera, niemand mehr vertreten sein. Jenes "Rettungspaket" war bekanntlich an einem drastischen Plan zur Bilanzierung des irischen Staatshaushalts gekoppelt, der Ausgabenkürzungen und Steuererhöhunngen in Höhe von 15 Milliarden Euro über die kommenden vier Jahren vorsieht.

Durch die erdrutschartige Niederlage der Fianna-Fáil-Grünen-Koalition haben die irischen Wähler den Verantwortlichen in Washington, Frankfurt und Brüssel deutlich gemacht, was sie von dem "Rettungspaket" halten. Fine Gael und Labour, die bei der jüngsten Wahl ihre historisch jeweils besten Ergebnisse erzielten - die einstigen Bürgerkriegsgegner von Fianna Fáil sind erstmals stärkste Fraktion geworden, während die Sozialdemokraten erstmals stärkste Kraft in Dublin geworden sind - und die nun so schnell wie möglich eine Regierungskoalition bilden wollen, werden dies bei den bevorstehenden Verhandlungen in den kommenden Wochen über Maßnahmen zur Stabilisierung der Eurozone zu berücksichtigen haben.

Die Vorsitzenden von Fine Gael und Labour, Premierminister respektive Vizepremierminister in spe Enda Kenny und Eamon Gilmore, haben bereits vor der Wahl angesichts der Stimmung im Volk angekündigt, mit IWF, EZB und EU über die Höhe der Zinsen Nachverhandlungen zu führen. Bereits am 28. Februar hat der finnische EU-Währungskommissar Olli Rehn Entgegenkommen in dieser Frage signalisiert. Allgemein ist sogar damit zu rechnen, daß sich die Forderung Irlands, daß die am irischen Bankendesaster beteiligten großen europäischen Finanzinstitute auch einen Teil ihrer Außenstände abschreiben und sich auf einen sogenannten "Haarschnitt" einlassen sollen, auch durchsetzen lassen wird (in welchem Ausmaß ist natürlich unklar). Ansonsten droht die Gefahr, daß noch vor Ende dieses Jahres der irische Staat vor lauter Verbindlichkeiten in die Zahlungsunfähigkeit rutscht. Dies würde das Europrojekt insgesamt gefährden und käme für die größeren EU-Mächte deshalb nicht in Betracht.

Die historischen Erfolge der irischen Linken, nämlich die Stärkung von Sinn Féin, welche die Zahl ihrer Abgeordneten mehr als verdreifachen könnte, und die Wahrscheinlichkeit, daß die ULA zusammen mit einigen der meist linken neuen parteilosen Abgeordneten eine eigene Fraktion im Dáil bilden wollen, wird es Fine Gael schwierig machen, ihr geplantes Austeritätsprogramm mit voller Härte durchzudrücken. Hinzu kommt, daß Enda Kenny und Konsorten Rücksicht auf den kleineren Koalitionspartner Labour werden nehmen müssen, damit sich die Sozialdemokraten nicht gänzlich als Steigbügelhalter der neoliberalen Restauration dastehen. Ob sich Fianna Fáil jemals von ihrer niederschmetterden Niederlage wird erholen können, muß sich noch zeigen. Ihre Abgeordneten werden sich zunächst vermutlich in erster Linie mit Wundenlecken und Fehleranalyse beschäftigt sein, während der eigentliche Kampf um den politischen Kurs des Landes zwischen Fine Gael und Labour auf der anderen Seite und Sinn Féin, ULA und den Independents auf der anderen ausgetragen wird.

28. Februar 2011