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PARTEIEN/271: Irische Präsidentenwahl wird zur Schlammschlacht (SB)


Irische Präsidentenwahl wird zur Schlammschlacht

Seán Gallagher - "Parteiloser" Kandidat oder Fianna-Fáil-Cowboy?


Am Wochenende des 22./23. Oktober, wenige Tage vor der Präsidentenwahl in Irland am 27. Oktober, war die Welt für Seán Gallagher noch in Ordnung. Der 49jährige Geschäftsmann aus Cavan, der sich in den zurückliegenden Wochen im Wahlkampf erfolgreich als parteiloser Macher verkauft hatte mit dem Versprechen, sich als Präsident um das dringende Problem der Arbeitslosigkeit auf der grünen Insel kümmern zu wollen, lag in allen Umfragen deutlich vorne. Die Angriffe des zweitplatzierten, 70jährigen ehemaligen Telekommunikationsministers der sozialdemokratischen Labour Party, Michael D. Higgins aus Galway, hat er offenbar gekonnt abwehren können. Mit einem Umfragewert von 40 Prozent im Vergleich zu Higgins' 25 Prozent schien für ihn der Weg nach Aras an Uachtarán, dem Präsidentenpalast im Dubliner Phoenix Park, frei zu sein.

Am Montag, dem 24. Oktober, war in der Schlagzeile auf der Titelseite der Irish Times vom "klaren Vorsprung" Gallaghers die Rede, während die Wettquote für dessen Sieg auf der Website von paddypower.com bei 1/4, die von Michael D. bei 11/4 lag. In weniger als 18 Stunden sollte sich das Bild jedoch dramatisch verändern. Kurz nach Mitternacht lag Michael D. bei paddypower.com inzwischen vorne mit einer Wettquote von 8/11, während Gallagher mit "evens" - das heißt man bekäme seinen Einsatz lediglich verdoppelt zurück - zu Buche schlug. Für den Wechsel an der Spitze im Rennen um die irische Präsidentschaft sorgten Enthüllungen, die Gallaghers große Nähe zu Fianna Fáil belegten. Die nationalkonservative Partei war bei den Parlamentswahlen im vergangenen Februar wegen ihrer Klüngelei mit den Banken und der Baubranche und damit wegen ihrer großen Mitverantwortung für die geplatzte Immobilienblase mit dem Verlust von Zweidrittel ihrer Mandate im Unterhaus abgestraft worden.

In den vergangenen Tagen und Wochen waren immer mehr brisante Fakten bezüglich Gallaghers geschäftlicher und politischer Vergangenheit aufgetaucht. Doch obwohl Gallagher jahrelang im Parteivorstand von Fianna Fáil gesessen und als Eigentümer eines Kabelverlegungsunternehmens von der Immobilienblase profitiert hatte, gelang es ihm, die Legende aufzubauen, er sei wie viele andere auch einfach nur ein Parteisoldat niederen Ranges gewesen und habe geschäftlich lediglich eine kleine, aber doch erfolgreiche Firma geführt - was ihn früher für die Rolle als Juror der irischen Reality-Fernsehsendung Dragons Den empfohlen hatte und nun als Staatsoberhaupt eines in wirtschaftliche Nöte geratenen Landes empfehlen würde. Bei der letzten Fernsehdebatte zwischen sieben Präsidentschaftsbewerbern in der Sendung Frontline vom irischen Staatsrundfunk Raidío Teilifís Éireann hat Martin McGuinness, der auf Platz drei in den Umfragen liegende Kandidat der linksnationalistischen Sinn Féin, Gallaghers wunderschönes Märchenkonstrukt restlos zerschlagen.

Vor den Augen der Fernsehnation hat der ehemalige Kommandeur der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) Gallagher mit schweren Vorwürfen konfrontiert, wonach er 2008 einen Fianna-Fáil-Spendenabend im Dundalker Viersternehotel Crown Plaza mitorganisiert habe, bei dem die 35 Gäste jeweils 5000 Euro bezahlen mußten. Anschließend habe er von einem der Gäste, den er selbst eingeladen hatte, das Geld abgeholt und diesem dafür ein Andenkensfoto vom ihm an der Seite des damaligen Partei- und Regierungschefs Brian Cowen überreicht. Zunächst hat Gallagher in der Sendung alles bestritten. Später auf Drängen des Moderators Pat Kenny erinnerte er sich an die Umstände, doch mit seiner Erklärung, die offenbar als verzweifelter Gegenangriff gedacht war, manövrierte er sich in eine noch mißlichere Lage hinein. Der Spender sei im Treibstoffschmuggel - der um Dundalk herum an der Grenze zu Nordirland in größerem Maße vorkommt - aktiv und ein verurteilter Verbrecher dazu, von dem McGuinness' eigener Parteifreund Gerry Adams, der Präsident von Sinn Féin, ein Büro für die Teilnahme an den Parlamentswahlen im vergangenen Februar gemietet hätte, so Gallagher. Gleichwohl bestritt er, zum Zeitpunkt des Fianna-Fáil-Spendenabends etwas von den kriminellen Aktivitäten des Mannes gewußt zu haben (Inzwischen hat sich der Spender als Hugh Morgan identifiziert, der ein ganz legales, erfolgreiches Treibstoffhandelsunternehmen betreibt und lediglich vor vielen Jahren wegen eines minderschweren Falls von Steuerhinterziehung verurteilt worden war).

Die Enthüllung, daß Gallagher früher als Spendengeldeintreiber für Fianna Fáil tätig war, hat bei fünf Präsidentschaftskandidaten, dem Studiopublikum und vermutlich sämtlichen Zuschauern daheim für hellste Empörung gesorgt. Gerade Gallaghers hilflose Beteuerungen, er wisse nicht, ob er den Briefumschlag beim Spender persönlich abgeholt habe oder nicht, bevor er ihn an die Parteizentrale weiterreichte, erinnerten alle Beobachter fatal an ähnliche, legendär gewordene Szenen der vergangenen Jahre, in denen sich gestandene Fianna-Fáil-Größen wie die früheren Premierminister Cowen, Bertie Ahern und Charlie Haughey auf Befragung im Parlament oder vor richterlichen Untersuchungskommissionen nicht entsinnen konnten, Gelder von Bauunternehmern in Empfang genommen zu haben oder worüber sie sich bei Golfausflügen mit Möchtegernfinanzgenies wie Sean Fitzpatrick, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der inzwischen pleitegegangenen Anglo Irish Bank, unterhalten hatten. Somit hatte McGuinness nicht ganz Unrecht mit der Feststellung, die von ihm aufgedeckte "schändliche" Spendenaffäre beweise, daß Gallagher "bis zum Hals" in jenem Korruptionssumpf stecke, der "die Wirtschaft des irischen Volks zerstört" habe.

Gleich am nächsten Tag, bei einem Auftritt in Kennys allmorgendlicher Radiosendung bei RTÉ 1, versuchte Gallagher, den einst sicher geglaubten und nun stark gefährdeten Wahlsieg doch noch zu retten, indem er sich zum Opfer einer "Schmutzigen-Tricks-Kampagne" und eines "Überfalls" der politischen Gegner hochstilisierte. Die Sinn-Féin-Führung hätte beschlossen, ihn politisch zu vernichten, nachdem er vor einer Woche alle, die Informationen über die Mörder von Garda Jerry McCabe besäßen, aufrief, sich bei der Polizei zu melden. Der Polizeidetektiv war 1996 bei einem Banküberfall in Adare in der Grafschaft Limerick von Mitgliedern der IRA erschossen worden. Der Vorfall hat damals hohe Wellen geschlagen. Vor rund einer Woche hat McCabes Witwe Anne den Sinn-Féin-Kandidaten McGuinness bezichtigt, die Identität der beiden noch nicht gefaßten Täter zu kennen, einen davon sogar vor Jahren vor der Flucht nach Spanien im sicheren Versteck an der Grenze zu Nordirland besucht zu haben, und deshalb für das Amt des irischen Präsidenten vollkommen ungeeignet zu sein.

Ob der Einsatz Gallaghers im Mordfall McCabe der Auslöser des spektakulären Vorstosses von McGuinness gewesen ist, läßt sich schwer nachweisen. Fest steht, daß ein eventueller Sieg Gallaghers bei der Präsidentenwahl für Sinn Féin eine schwere strategische Niederlage bedeuten würde, hatte sie doch speziell ihren stellvertretenden Vorsitzenden McGuinness ins Rennen geschickt, um die formelle Nicht-Teilnahme von Fianna Fáil auszunutzen und den vielen enttäuschten Anhängern der fast untergegangenen Volkspartei eine neue politische Heimat anzubieten. Durch die Enthüllung der Spende Hugh Morgans haben Sinn Féin und McGuinness mit großer Wahrscheinlichkeit die Wahl Gallaghers zum nächsten irischen Präsidenten und mit ihr eine allzu rasche Erholung Fianna Fáils von der Wahlkatastrophe im Frühjahr verhindert. Michael D., die linke Galionsfigur der irischen Sozialdemokraten, wird sich beim politischen Arm der angeblich nicht mehr existierenden IRA bedanken müssen.

25. Oktober 2011