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PARTEIEN/320: Brexit - Theresa May muß das Parlament konsultieren (SB)


Brexit - Theresa May muß das Parlament konsultieren

Zwischen EU-Befürwortern und -Gegnern verhärten sich die Fronten


Die Regierung in London kann nicht, wie ursprünglich geplant, von sich aus Artikel 50 des Lissaboner Vertrags aktivieren, um somit den Prozeß des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union einzuleiten: Diesen Schritt kann nur das Parlament beschließen. Das hat am 24. Januar der Oberste Gerichtshof mit acht zu drei Stimmen unter Verweis auf die Schwere der anvisierten Änderung des Verhältnisses des Vereinigten Königreichs zum europäischen Festland entschieden. Um ihren Zeitplan, Artikel 50 bis Ende März zu aktivieren, doch noch einzuhalten, will die Regierung der alleinregierenden Konservativen unter Premierministerin Theresa May dem Parlament in den nächsten Tagen einen Gesetzesentwurf darüber zur Abstimmung vorlegen. Doch da fangen schon die Probleme an.

Es gilt als einigermaßen sicher, daß die britischen Abgeordneten mehrheitlich keine Brexit-Anhänger sind, sondern ihr Land lieber in der EU sähen. Dennoch gibt es derzeit keine Mehrheit, die bereit ist, den Ausgang der Volksbefragung vom 23. Juni öffentlich in Frage zu stellen. Dies liegt einerseits am Respekt vor der damaligen Entscheidung, andererseits an der begründeten Angst der Politiker, von der Boulevardpresse als EU-hörige Volksverräter an den Pranger gestellt zu werden oder vor Schlimmerem. Schließlich wurde die oppositionelle Labour-Abgeordnete Jo Cox, die sich für den Verbleib in der EU und die Integration von Kriegsflüchtlingen aus Syrien stark gemacht hatte, wenige Tage vor dem Plebiszit auf offener Straße von einem Rechtsradikalen erschossen.

Die Mitglieder des britischen Unterhauses sind in drei Gruppen gespalten. Die radikalen Brexit-Befürworter sind hauptsächlich bei der konservativen Fraktion anzusiedeln, die über 329 Sitze verfügt. Die acht Abgeordneten der reaktionären protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) und der Einzelvertreter der UK Independence Party (UKIP) können auch zu dieser Gruppe der "Little Englanders" gezählt werden. Bei der oppositionellen Labour Partei, die 231 Sitze hat, sind die EU-Skeptiker nicht besonders stark vertreten. Die allermeisten Sozialdemokraten gehören den beiden anderen Gruppen an: Sie plädieren entweder für den Verbleib in der EU oder befürworten einen sanften Brexit, der vor allem die weitere Teilnahme Großbritanniens am europäischen Binnenmarkt sichern soll. Die Abgeordneten der anderen Fraktionen - der Scottish National Party (SNP) mit 54 Sitzen, der Liberaldemokraten mit sieben, der walisischen Nationalisten Plaid Cymru mit drei sowie aus Nordirland Sinn Féin mit vier und der Social Democratic Labour Party (SDLP) mit drei Sitzen - lehnen einen "harten Brexit" strikt ab.

Doch gerade die radikale Trennung ist es, welche Premierministerin May bei einer Grundsatzrede am 17. Januar im Lancaster House in Aussicht gestellt hat. Die Position, die May dabei bezog, dürfte nicht zuletzt durch Äußerungen des neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump beeinflußt gewesen sein. Am 15. Januar - gerade fünf Tage vor der feierlichen Amtseinführung als Nachfolger Barack Obamas - hatte der New Yorker Baulöwe im gemeinsamen Interview mit Rupert Murdochs Sunday Times und der Bild-Zeitung aus dem Hause Axel Springer den Brexit als großartige Sache gepriesen, die EU als Vehikel ausschließlich deutscher Interessen kritisiert und mit Blick auf den möglichen Sieg Marine le Pens vom rechtsgerichteten Front National bei der französischen Präsidentenwahl in diesem Sommer den Austritt weiterer Länder aus dem europäischen Staatenverbund prognostiziert. Am 27. Januar hat Trump May demonstrativ als ersten ausländischen Staatsgast im Weißen Haus empfangen. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz bekannte sich das Duo zum Ziel der Aufrechterhaltung der angloamerikanischen Führerschaft in der internationalen Politik.

An Stelle der anderen 27 EU-Staaten wollen die Brexiteers den Handel Großbritanniens zu den USA und den Ländern des britischen Commonwealth, allen voran zur aufstrebenden Supermacht Indien, ausbauen. Um Londons Rüstungsexport an die sunnitischen Petromonarchien anzukurbeln, erhöht das britische Militär in letzter Zeit seine Präsenz am Persischen Golf deutlich, richtet dort erstmals seit Jahrzehnten neue Stützpunkte ein und betreibt Säbelrasseln gegenüber dem "Mullah-Regime" des schiitischen Irans. Mit Drohungen versucht May, auch die Noch-EU-Partner zu Zugeständnissen über den Zugang Großbritanniens zum europäischen Binnenmarkt zu bewegen. Doch hier handelt es sich um einen Bluff.

Wirtschaftsexperten gehen davon aus, daß ein Ausbau der Handelsbeziehungen zu den USA das britische Bruttoinlandsprodukt bestenfalls um zwei Prozent erhöhen würde, während der "harte Brexit", das heißt der Ausschluß nicht nur aus dem EU-Binnenmarkt, sondern auch aus der Europäischen Zollunion, zu der Norwegen und die Schweiz gehören, zu einem Rückgang um ganze 30 Prozent führen könnte. Dieses Schreckensszenario treibt die Brexit-Gegner um und veranlaßt sie zu neuen Anstrengungen gegen den EU-Austritt. Rund ums Parlament laufen bereits fieberhafte Diskussionen unter den Brexit-Gegnern, ob und wie sie versuchen sollen, die Aktivierung des Artikel 50 zu verhindern, oder wie sie Einfluß auf die Verhandlungen zwischen London und Brüssel nehmen können, damit am Ende ein für beide Seiten akzeptabler Modus vivendi gefunden werden kann. Die SNP-Führung in Edinburgh droht ihrerseits mit einer erneuten Volksbefragung über die Unabhängigkeit Schottlands, sollte die May-Regierung das Vereinigte Königreich tatsächlich aus dem europäischen Binnenmarkt führen.

28. Januar 2017


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