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PARTEIEN/346: Justizskandal löst politische Krise in Irland aus (SB)


Justizskandal löst politische Krise in Irland aus

Zu große Nähe zwischen Exekutive und Judikative sorgt für Probleme


In Irland hat sich die politische Klasse in einen Justizskandal verheddert, der eines modernen demokratischen Rechtsstaats nicht würdig ist, sondern alle Merkmale einer Bananenrepublik aufweist. Es geht um überbordende Korruption bei der Polizei, in Irland Garda Síochána genannt, mit der aufzuräumen sich die gewählten Volksvertreter bislang unfähig bzw. unwillig zeigen. Justizministerin France Fitzgerald steht unter Verdacht, der Polizeiführung grünes Licht für eine Diffamierungskampagne der übelsten Sorte gegen den hauseigenen Whistleblower Maurice McCabe gegeben zu haben. Es drohen Neuwahlen zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, da Dublin gerade bei den Verhandlungen über den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union (EU) die Notwendigkeit der Errichtung einer neuen Zollgrenze zwischen der Republik Irland und dem Norden der Insel mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln verhindern will.

Ende 2012 haben die beiden Polizisten Maurice McCabe und John Wilson unabhängig voneinander Unregelmäßigkeiten in Verbindung mit der Handhabung der Verkehrssünderdatei intern zur Meldung gebracht. Es ging darum, daß Prominente - Politiker, Sportler, Medienpersönlichkeiten, Geschäftsleute et cetera -, die Freunde bei der Polizei hatten, ihre Punkte bei der zentralen Verkehrssünderdatei gestrichen bekamen oder ihre Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung wie etwa Trunkenheit am Steuer gar nicht offiziell registriert wurden. Statt dem Treiben ein Ende zu setzen, gingen die Verantwortlichen in die Offensive. Polizeipräsident Martin Callinan beschimpfte McCabe und Wilson öffentlich als Nestbeschmutzer, während Justizminister Alan Shatter den linken parteilosen Abgeordneten Mick Wallace, der die schmutzige Wäsche der Polizei en Detail durch entsprechende Auftritte im Parlament der Öffentlichkeit präsentierte, durch einen illegalen Rückgriff auf Behördeninformationen zu diskreditieren versuchte. Aufgrund der großen öffentlichen Empörung über den repressiven Umgang des Staats mit McCabe, Wilson, Wallace und dessen politischer Kampfgefährtin Clare Daly mußten Callinan und Shatter 2014 ihren Hut nehmen.

Seit etwa 2013 versuchen mehrere Untersuchungskommissionen und Parlamentsausschüsse der Sache auf den Grund zu gehen. Dabei stellte sich heraus, daß die Verhältnisse bei der irischen Polizei viel korrupter sind als gedacht. 2016 wurde bekannt, daß die Garda Síochána mehr als eine Million Strafzettel zuviel wegen angeblicher Verkehrsdelikte ausgestellt hatte. Geschwindigkeitsübertretungen wurden registriert, wo es keine gegeben hatte. Menschen landeten aufgrund erfundener Geschichten bzw. falscher Eintragungen im Register vor Gericht oder erhielten Punkte bei der Verkehrssünderdatei. Warum es dazu kam, ob die einzelnen Polizisten von oben unter Druck gesetzt wurden, die Statistiken zu schönen, oder einfach mehr Geld für nächtliche Überstunden, die sie gar nicht geschoben hatten, verdienen wollten, ist bis heute nicht klar. Fest steht, daß der irische Staat deswegen vor einer Prozeßlawine seitens der Geschädigten steht und Entschädigungsgelder in Milliardenhöhe entrichten muß. Wegen ihrer Unfähigkeit, im Leichenkeller der Garda Síochána aufzuräumen, mußte im Herbst 2017 Callinans Nachfolgerin Nóirín O'Sullivan ebenfalls ihre Beamtenlaufbahn frühzeitig beenden.

Anfang 2017 wurde bekannt, daß O'Sullivan und die oberste Garda-Führung zwei Jahre zuvor versucht hatten, McCabes Glaubwürdigkeit zu untergraben, indem sie erfundene Geschichten über ihn in Umlauf brachten. Konkret wurde die jugendliche Tochter eines anderen Polizisten von ihrem Vater - offenbar im Auftrag von O'Sullivan und Konsorten - dazu gebracht zu behaupten, McCabe habe sie sexuell belästigt bzw. unsittlich angefaßt. Der Fall (sic) wurde offiziell in eine Sonderdatei der Polizei für mutmaßliche sexuelle Delikte aufgenommen und das Wissen über die Existenz der Eintragung gleich danach per Hörensagen in Umlauf gebracht. Nur die Tatsache, daß McCabe bei einer Vernehmung in diesem Zusammenhang das Gespräch heimlich aufnahm, hat ihn davor gerettet, völlig zu unrecht als Kinderschänder angeprangert und fertiggemacht zu werden.

Anfang 2017 sah sich die Regierung dazu gezwungen, eine neue Kommission unter der Leitung von Peter Charleton, Richter am Obersten Gerichtshof, mit der Untersuchung des aggressiv-defensiven Umgangs staatlicher Stellen mit McCabe, Wilson und anderen Whistleblowern zu beauftragen. Diese hat nun Erschreckendes herausgefunden. 2015 ließ Garda-Präsidentin O'Sullivan Justizministerin Fitzgerald per Email über die geplante "Verteidigungsstrategie" der Garda McCabe gegenüber, diesen als Pädophilen hinzustellen, informieren. Fitzgerald behauptet, sie habe den Eingang besagter Email lediglich registriert, sie jedoch nicht gelesen. Dagegen spricht die Tatsache, daß das explosive Schreiben ganze sieben Minuten nach seinem Eingang an Fitzgeralds politische Berater weitergeleitet wurde.

Seit Bekanntwerden der Existenz der Email Mitte November sieht sich Fitzgerald dem Vorwurf ausgesetzt, von der geplanten persönlichen und beruflichen Zerstörung eines Volkshelden rechtzeitig gewußt, aber nichts dagegen unternommen, sie vielleicht sogar gebilligt zu haben. In einer ersten Reaktion hat die linksnationalistische Sinn-Féin-Partei die Justizministerin zum Rücktritt aufgefordert und gegen sie im Parlament einen Mißtrauensantrag eingebracht, über den am morgigen 28. November abgestimmt werden soll. Die nationalkonservative Fianna-Fáil-Partei, die seit 18 Monaten die Minderheitsregierung der ebenfalls nationalkonservativen Fine-Gael-Partei um Premierminister Leo Varadkar im Amt hält, steht unter erheblichem öffentlichen Druck, für den Sinn-Féin-Antrag zu stimmen. Sollte der Antrag eine Mehrheit bekommen, womit derzeit alle rechnen, müßten das Parlament aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben werden, die dann entweder im Dezember oder Januar stattfänden.

Ein solches Szenario könnte Varadkar vermeiden, würde er Fitzgerald gegen ein neues Gesicht austauschen. Doch der 44jährige Shooting Star von Fine Gael ist erst wenige Monate im Amt. Im Sommer hat er den langjährigen Abgeordneten Enda Kenny als Parteivorsitzenden und Premierminister beerbt. Offenbar fürchtet sich Varadkar vor innerparteilichen Turbulenzen, sollte er auf Drängen der Opposition seine politische "Mutti" fallenlassen. Doch vielleicht steckt Varadkar tiefer im Garda-Sumpf als sein sorgfältig gepflegtes PR-Image als Sunny Boy vermuten läßt. Schließlich war Varadkar selbst Transportminister und damit für die Sicherheit auf den irischen Straßen zuständig, als 2012 der Skandal um Manipulationen bei der Verkehrssünderdatei losbrach. Aktuell führen Varadkar und Fianna-Fáil-Chef Mícheál Martin vertrauliche Gespräche, um einen Ausweg aus der Krise zu finden und Neuwahlen zu vermeiden. Zwar will laut Umfragen eine Mehrheit der irischen Bürger wegen der bevorstehenden Brexit-Verhandlungen Mitte Dezember in Brüssel keine Neuwahlen, doch mittelfristig könnten Fine Gael und Fianna Fáil einen hohen politischen Preis bezahlen, sollten sie, wie es derzeit aussieht, eine weitere Vertuschung der skandalösen Vorgänge bei der irischen Polizei vorziehen.

Fußnote:

Siehe hierzu im Schattenblick unter EUROPOOL/REPORT:

INTERVIEW/036: Irlands neuer Widerstand - Widerstand der Zukunft ...    Mick Wallace im Gespräch
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/euri0036.html

27. November 2017


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