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PARTEIEN/361: Nordirland - Gesprächsbereitschaftssignale ... (SB)


Nordirland - Gesprächsbereitschaftssignale ...


Aus Nordirland kommen positive Signale der Bereitschaft zur Wiederbelebung des regionalen Parlaments in Belfast und Neuauflage der interkonfessionellen Regierung zwischen pro-britischen Protestanten und nationalistischen Katholiken. Gerade in den letzten Wochen hat Arlene Foster, Chefin der erzkonservativen Democratic Unionist Party (DUP) und einstige Erste Ministerin Nordirlands, jeweils erstmals einem gälischen Fußballspiel beigewohnt sowie Gespräche - getrennt natürlich - mit den Vertretern der LGBT-Gemeinde sowie der Muslime in Nordirland geführt. Die Schritte wurden von Sinn Féin begrüßt, die bekanntlich im Januar 2017 ihre Koalition mit der DUP nicht zuletzt wegen deren kompromißloser Haltung in der Frage der Gleichberechtigung der gälischen Sprache sowie der Ehe für alle abgebrochen hatte.

Ein weiteres Dauerstreitthema zwischen Unionisten und Nationalisten ist die Aufarbeitung der nordirischen "Troubles", die zwischen 1968 und 1998 3500 Menschen das Leben kosteten sowie Zehntausende physisch verletzt oder psychisch traumatisiert zurückließen. In diesem Zusammenhang hat am 6. Juli der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson einen umstrittenen Vorstoß gewagt. Der 42jährige Unterhausabgeordnete für den Bezirk South Staffordshire, dem starke Ambitionen auf das Amt des Premierministers und den Vorsitz der konservativen Partei Großbritanniens nachgesagt werden, hat in einem Gastbeitrag für das Boulevardblatt "The Sun" eine Generalamnestie für alle - Soldaten, Polizisten, Loyalisten oder IRA-Kämpfer - die während des Bürgerkrieges in Nordirland schwere Straftaten begangen haben, ins Gespräch gebracht. Auch wenn Downing Street in einer ersten Reaktion die Initiative Williamsons verworfen hat, bietet die Idee einer Generalamnestie einen vernünftigen Ausweg aus der Bezichtigungsorgie, die bis heute jeder Versöhnung in Nordirland im Wege steht.

Infolge des Karfreitagsabkommens, mit dem 1998 Nordirlands Parteien mit Hilfe der Regierungen in Dublin und London sowie unter Vermittlung der USA das Blutvergießen beendet haben, wurde zwecks Aufarbeitung der vielen ungelösten Fälle das sogenannte Historical Enquiries Team (HET) beim Police Service of Northern Ireland (PSNI) eingerichtet. Dessen Arbeit war von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn die Wunden waren zu frisch. Die Unionisten hofften, daß die HET die Verwicklung namhafter Sinn-Féin-Politiker wie Gerry Adams und Martin McGuinness in irgendwelche Greueltaten der IRA nachweisen würde, während sich die Nationalisten davon Aufklärung über das wahre Ausmaß der engen Zusammenarbeit der britischen Armee und der nordirischen Polizei mit der loyalistischen Ulster Defence Association (UDA) und Ulster Volunteer Force (UVF) versprachen.

In den ersten Jahren nach dem Abschluß des Karfreitagsabkommens war ein wesentliches Bestreben der Politik, vor allem die IRA, aber auch UDA und UVF dazu zu bringen, sich von ihren umfangreichen illegalen Waffenarsenalen zu trennen, um den Frieden dauerhaft zu machen. Zu diesem Zweck hat die Regierung Tony Blairs Hunderten von nordirischen "Terroristen", die 1998 im Zuge des Friedensvertrages frühzeitig aus dem Gefängnis freigelassen worden waren, geheime Briefe zukommen lassen, die sie vor juristischen Schritten absicherten. 2014 löste das Bekanntwerden dieser Briefe an die sogenannten "On the runs" eine heftige Kontroverse aus. Wegen eines solchen Dokuments war der Prozeß gegen den Ex-IRA-Mann John Downey, dem der Mord an vier britischen Soldaten beim Hyde-Park-Bombenanschlag 1982 zur Last gelegt wurde, spektakulär geplatzt.

Blair verteidigte die Maßnahme mit dem Hinweis, ohne sie hätte man die IRA möglicherweise nicht dazu gebracht, 2005 den bewaffneten Kampf formell zu beenden und abzurüsten. 2014 kam es zu einem weiteren heftigen Streit, als Gerry Adams wegen des Verdachts, als IRA-Kommandeur von Belfast 1972 die Ermordung von Jean McConville, einer armen verwitweten Mutter von zehn Kindern, wegen Spitzeltätigkeit für die britische Armee angeordnet zu haben, für mehrere Tage verhaftet und vernommen wurde. Vor dem Hintergrund größter Unzufriedenheit seitens der Unionisten und Nationalisten - jeweils aus diametral entgegengesetzten Gründen - mit der bisherigen Aufarbeitung der Troubles wurde das HET im selben Jahr praktisch aufgelöst.

Seitdem streiten sich die Politiker beider Seiten um die sogenannten "legacy issues", während die Opferfamilien größte Schwierigkeiten haben, sich überhaupt Gehör zu verschaffen. Bei der DUP und in konservativen Kreisen Großbritanniens herrscht die Ansicht vor, die bisherige Bearbeitung der vielen ungelösten Mordfälle verlaufe einseitig, da gegen ehemalige Soldaten und Polizisten ermittelt werde, während mutmaßliche Straftäter aus den Reihen der IRA wegen der "On the run"-Briefe nicht belangt werden könnten. Deshalb gab es in letzter Zeit eine starke öffentliche Kampagne der britischen Boulevardpresse, die laufenden Ermittlungen gegen Soldaten und Polizisten einzustellen und keine neuen aufzunehmen. Dagegen wehrt sich Sinn Féin mit dem Argument, London und die Unionisten wollten die unangenehmenen Wahrheiten der Zusammenarbeit des britischen Staates mit den loyalistischen Paramilitärs für immer unter den Teppich kehren.

Ungeachtet der gegenseitigen Vorwürfe hat niemand von den etablierten Parteien oder den britischen und irischen Sicherheitsapparaten ein Interesse daran, die dunkelsten Kapitel der Troubles - etwa die Verwicklung der britischen Armee in die Autobombenanschläge von Dublin und Monaghan 1974 mit 33 Toten und mehr als 300 Verletzten - zu beleuchten. Da sich im Grunde alle schuldig gemacht haben, steht es keiner der Streitparteien zu, über die andere zu richten. Von daher ist der Vorschlag von Gavin Williamson zu begrüßen. Man könnte jedoch vielleicht den nachvollziehbaren Einwänden der Opferfamilien gerecht werden, wenn man die Amnestie jeweils mit der Bereitschaft der früheren Täter, vor einer Wahrheitskommission auszusagen, koppeln würde. Eine solche Einrichtung wäre sicherlich sinnvoll und trüge vielleicht dazu bei, daß Katholiken und Protestanten in Nordirland nicht nur das eigene Leid, sondern auch das des Gegners wahrnehmen.

8. Juli 2018


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