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BERICHT/015: Irlands neuer Widerstand - Alte Nöte, junger Kampf (SB)


Irlands neuer Widerstand - Alte Nöte, junger Kampf

Wasserproteste in Irland zeigen nur die Spitze des allgemeinen Unmuts


Im Mittelpunkt der seit mehreren Jahren anhaltenden europäischen Finanzkrise steht aktuell Griechenland, dessen neue linke Syriza-Regierung, statt einfach weitere drastische Kürzungen bei den staatlichen Ausgaben vorzunehmen, zuerst etwas für Beschäftigung und Wirtschaftswachstum tun will. Auf den Widerspruch aus Athen reagieren die anderen Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU) - allen voran Deutschland, der größte Nutznießer des gemeinsamen Wirtschaftsraums - allergisch und drohen den Griechen mit dem Zwangsaustritt aus der Euro-Zone und der Rückkehr zur Drachme als Landeswährung.

Als Gegenmodell zum widerspenstigen Griechenland wird in den deutschen Medien sowie der internationalen Wirtschaftspresse Irland hochgehalten. Die Botschaft ist klar: Die Iren seien seit Ende 2010 den strengen Vorgaben der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) gefolgt, weswegen nach Jahren harter Entbehrungen ihre Volkswirtschaft wieder aufzublühen beginne; statt immer dagegen zu protestieren, müßten die Griechen nur die unappetitliche Medizin schlucken und die angeblich notwendigen "Reformen" umsetzen, dann entstünden an der Ägäis wieder "blühende Landschaften".

Ein Obdachloser im Schlafsack im Eingang eines leerstehenden Ladens an der Dubliner Einkaufsmeile Henry Street - Foto: © 2015 by Schattenblick

Immobilienspekulation und Obdachlosigkeit - Schattenseiten des "keltischen Phönix"
Foto: © 2015 by Schattenblick

Ihrerseits tut die irische Regierung, die seit Anfang 2011 aus der nationalkonservativen Fine Gael (FG) und der sozialdemokratischen Labour Party (LP) besteht, wirklich alles, um das Märchen vom "keltischen Phönix" zu verbreiten. Schließlich wird in Irland mit Neuwahlen - entweder im kommenden Herbst oder im Frühjahr 2016 - gerechnet. Das letzte, was Premierminister und FG-Vorsitzender Enda Kenny sowie seine Vizepremierministerin, Labour-Chefin Joan Burton, tun wollen, ist Solidarität mit der Syriza-Regierung von Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis zu zeigen, denn dies könnte den linken Kräften im eigenen Land - Sinn Féin, der Socialist Party (SP), der Alliance People Before Profit (PBP) und den vielen unabhängigen Politikern auf der nationalen sowie kommunalen Ebene - Auftrieb verleihen und die eigenen Erfolgsaussichten schmälern.

Entgegen des herrschenden medialen Eindrucks brodelt es in Irland gewaltig. Nach der erdrutschartigen Abwahl der letzten Regierung, einer Koalition aus nationalkonservativer Fianna Fáil und den Grünen, die 2008 unter massiven Druck seitens der EZB die umstrittene "Garantie" für die irischen Banken abgegeben hatte und sich deswegen zwei Jahre gezwungen sah, dem "Rettungspaket" der Troika zuzustimmen, haben die irischen Bürger aufgrund der Versprechen von Fine Gael und Labour eine andere Politik - mit mehr Transparenz und weniger Korruption - erwartet. Die Erwartungen sind schwer enttäuscht worden. Die FG-LP-Koalition hat aufgrund der von der Troika zwecks Schuldenabbau vorgeschriebenen Sanierung des öffentlichen Staatshaushalts drakonische Kürzungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales vorgenommen und gleichzeitig zahlreiche neue Steuer- und Gebührenerhöhungen verordnet. Gegen die Einführung der Universal Social Charge, eine Art Kopfsteuer, kam es bereits 2011 zu ersten landesweiten Massenprotesten.


Demonstranten halten Transparente mit den Aufschriften 'We Won't Pay' und 'Ayrfield & Rathvale Says No To Water Charges' hoch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Wasserprotestler an der Tonlegee Road im Dubliner Nordosten
Foto: © 2015 by Schattenblick

Als die irische Immobilienblase vor sieben Jahren platzte, gingen die daran beteiligten Banken und Bauunternehmen auf der Insel quasi alle pleite. Die Baubranche brach vollkommen zusammen. Die Steuereinnahmen des Staates, die sich zuletzt übermäßig aus der Eigenheimfinanzierung gespeist hatten, gingen drastisch zurück. Eine Abwärtsspirale aus Massenentlassungen, fehlender Kaufkraft, Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst und Steuererhöhungen brachte die Binnennachfrage zum Erliegen. Wegen Perspektivlosigkeit haben seitdem rund 350.000 junge, gutausgebildete Iren - bei einer Gesamtbevölkerung von nur 4,5 Millionen - ihre Heimat Richtung Großbritannien, USA, Kanada und Australien verlassen. Nur deshalb konnte die amtierende Regierung Ende Mai verkünden, die Arbeitslosigkeit sei zum ersten Mal seit Jahren wieder knapp unter die magische Grenze von 10 Prozent gesunken. Jene Statistik ist ein schwacher Trost angesichts grassierender Armut, steigender Kriminalität, einer nie dagewesenen Selbstmordrate, immer sichtbarerer Obdachlosigkeit in den Großstädten und einer Heroin-Plage.

Während das einfache Volk durch die Verstaatlichung der Schulden der Banken und der großen Bauunternehmen die Kosten für die Krise, die der Chef der Irischen Zentralbank Patrick Honohan im März bei einem Auftritt vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß auf 100 Milliarden Euro beziffert hat, aufgebürdet bekam, kamen bis auf wenige Ausnahmen - bestes Beispiel Seanie Fitzpatrick, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Anglo-Irish Bank, dem aktuell wegen Finanzschiebereien der Prozeß gemacht wird - die Verantwortlichen ungeschoren davon. Dagegen regt sich nun im wachsenden Ausmaß Widerstand in Irland. Auslöser der neuen Protestwelle ist die Entscheidung der Regierung in Dublin vor zwei Jahren - wiederum auf Geheiß der Troika - den Kommunen die Verantwortung für die Wasserversorgung zu entziehen und sie einer neuen Nationalbehörde namens Irish Water (auf Gälisch Uisce Éireann) zu übertragen.


Vereinzelte Demonstranten mit griechischer Staatsflagge und 'We Won't Pay'-Plakaten - Foto: © 2015 by Schattenblick

Irlands Austeritätsgegner solidarisieren sich mit den Griechen
Foto: © 2015 by Schattenblick

Bisher wurde die Wasserversorgung in Irland durch einen prozentualen Anteil an den Einnahmen aus den Umsatz- und Mineralölsteuern finanziert. Also kann nicht behauptet werden, die Iren würden oder wollten nicht für ihr Wasser bezahlen. Was die Menschen in Irland auf die Barrikaden bringt, ist die Tatsache, daß Irish Water mittels Wasserzähler erstmals den tatsächlichen Verbrauch der Privathaushalte kontrollieren und die abzuführenden Gebühren entsprechend berechnen wird. Man befürchtet, daß die Regierung entgegen allen Dementis die Privatisierung von Irish Water plant, daß dann die Wassergebühren in die Höhe schießen und daß die versprochene Verbesserung der Trinkwasserqualität oder Erneuerung des maroden Leitungssystems auf der Strecke bleiben werden. Hierfür sprechen die Erfahrungen, welche die Menschen in Großbritannien seit rund 20 Jahren in selbigem Zusammenhang machen.

Hinzu kommt, daß die Gründung von Irish Water und das Programm zur landesweiten Installation von elektronischen Wasserzählern - unter dem Bürgersteig vor jedem Haus - nur so strotzt vor jener Klüngelei, die Irland 2008 erst in die Krise gestürzt hat. Als Chef von Irish Water hat die Kenny-Regierung John Tierney eingesetzt, der als Oberstadtdirektor von Dublin in einen der umstrittensten, letztlich gescheiterten Immobiliengeschäfte der Nuller-Jahre, die Bebauung des Geländes des ehemaligen Staatsbetriebs Irish Glass Bottle in den Docklands der irischen Hauptstadt durch Branchenriese Bernard McNamara für knapp eine halbe Milliarden Euro, verwickelt gewesen ist. Statt auf das Angebot von Siemens, Irland umsonst flächendeckend mit Wasserzählern made in Germany auszustatten, hat Irish Water den Auftrag dazu politisch vernetzten Amigos der irischen Wirtschaftselite zugeschanzt. Den größten Einzelauftrag, für den Großraum Dublin, erhielt die Firma Siteserv, die Denis O'Brien, Irlands reichster Mann, dessen dubiose Verbindungen zu Fine Gael legendär sind, 2012 aus der Konkursmasse der irischen Bad Bank IBRC (Irish Banking Resolution Corporation) gekauft hatte. Um diesen Deal tobt in Irland eine politische Kontroverse, die zwischendurch alle Anzeichen einer Verfassungskrise angenommen hat.


Der Blick vom nördlichen Ufer des Liffey aus auf das Dubliner Stadtratsgebäude am südlichen Wood Quay - Foto: © 2015 by Schattenblick

Sitz des Dublin City Council, den Aktivisten der Bewegung "Help the Hidden Homeless" Anfang März kurzfristig besetzten
Foto: © 2015 by Schattenblick

Aufgrund hartnäckiger Recherche der unabhängigen Abgeordneten Catherine Murphy ist bekannt geworden, daß die IBRC Siteserv vor dem Verkauf an O'Brien von Schulden in Höhe von 119 Millionen Euro befreit - und sie damit dem ohnehin hoffnungslos überforderten Steuerzahler aufgezwungen - hat. Entgegen früherer Beteuerungen von Finanzminister Michael Noonan liefen die zuständigen Beamten in seinem Ministerium Sturm gegen den angebahnten Verkauf von Siteserv an O'Briens Unternehmen Millington, nicht nur weil dessen Angebot, 45 Millionen Euro, deutlich unter dem der Mitbewerber lag, sondern weil Irlands größter Medienunternehmer selbst bei IBRC mit mehr als 315 Millionen Euro in der Kreide stand. Darüber hinaus bekamen die Vorstandsmitglieder des formal in Konkurs befindlichen Siteserv fünf Millionen Euro, um den Deal durchzuwinken - was man nur als krassen Fall von Bestechung interpretieren kann. Ende Mai hat O'Brien eine gerichtliche Verfügung und die Androhung teurer Diffamierungsklagen genutzt, um die irische Presse an der Berichterstattung über eine Rede Murphys im irischen Parlament zur Siteserv-Affäre zu hindern. Auch wenn die ursprüngliche Verfügung inzwischen gelockert wurde, hat der Vorgang bei vielen irischen Bürgern die Frage aufkommen lassen, ob sie noch in einem Rechtsstaat oder doch in einer Kleptokratie leben.

Gegen jene Entwicklung Richtung Oligarchie richten sich die vielen Aktionen, die derzeit in Irland gegen Obdachlosigkeit, gegen die Installation von Wasserzählern und gegen die Austeritätspolitik von Dublin und Brüssel insgesamt stattfinden. In Irland erlebt der zivile Ungehorsam Hochkonjunktur. Die irische Polizei, die Garda Síochána, hat sich zu einer Schutztruppe von Irish Water, Siteserv, GMC Sierra und allen anderen Unternehmen degradieren lassen, die gegen den Willen der Bevölkerung Wasserzähler einbauen wollen und in den einzelnen Siedlungen immer wieder aufgrund der Blockadeaktionen von einfachen Hausfrauen, Rentnern, Schulkindern, Obdachlosen und Arbeitern an dem Vorhaben scheitern. Ob es nun um die vorübergehende Besetzung des Sitzes der Dubliner Stadtverwaltung im Protest gegen Wohnungsnot oder nachbarliche Solidaritätsaktionen zur Verhinderung der Zwangsräumung von Familien durch den Gerichtsvollzieher mit Hilfe von der Bank geschickter "privater Sicherheitsleute" oder den massenhaften Boykott der brieflichen Aufforderung zur Eintragung in der Liste der "Kunden" von Irish Water geht, wehren sich die Menschen in Irland gegen die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung in einem Ausmaß, das man sehr lange nicht mehr gesehen hat. Damit besinnen sich die Iren auf alte Werte. Schließlich stammt das Begriffspaar Boykott/boykottieren von Captain Charles Boycott, Gutsverwalter der Ländereien des 3. Earl of Erne im Westen Irlands, der 1880 wegen wiederholter Menschenschinderei von der ländlichen Bevölkerung der Grafschaft Mayo durch eine konsequente Kampagne der Nicht-Kooperation und Kontaktverweigerung zur Ausreise nach England gezwungen wurde.


Statue von James Larkin im Mittelstreifen der O'Connell Street gegenüber dem berühmten General Post Office (GPO) im Herzen Dublins - Foto: © 2015 by Schattenblick

Irlands großer Gewerkschafter und Revolutionär "Big Jim" Larkin ruft noch heute seine Landsleute zum Kampf gegen das Kapital auf
Foto: © 2015 by Schattenblick

13. Juni 2015


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