Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → REPORT

INTERVIEW/007: James Lindsay zur Gestaltung der US-Außenpolitik (SB)


Interview mit James Lindsay am 28. Juni in Dublin


Hauptveranstalter des Summit Against Violent Extremism (SAVE) Ende Juni in Dublin war neben Google Ideas der New Yorker Council on Foreign Relations (CFR), der seit seiner Gründung 1921 bis heute als Stichwortgeber und Ideenfabrik der US-Außenpolitik fungiert. Als Gastgeber der Konferenz trat deshalb neben Google-Chef Eric Schmidt, Google-Ideas-Leiter Jared Cohen und Jane Rosenthal vom New Yorker Tribeca Film Festival CFRs Vizepräsident James M. Lindsay auf. Der 1959 in Massachusetts geborene Lindsay, der unter Bill Clinton dem Nationalen Sicherheitsrat als Director for Global Issues and Multilateral Affairs angehörte, zählt zu führenden Köpfen der außenpolitischen Elite Amerikas. Er ist der Autor zahlreicher Bücher, Artikel und Analysen und betreibt das unter Beobachtern der diplomatischen Szene vielgelesene Blog "The Water's Edge". Seine Gastkommentare zum aktuellen geopolitischen Geschehen erscheinen regelmäßig in Zeitungen wie die New York Times, die Washington Post und die Los Angeles Times.

In den USA rechnet man Lindsay zur außenpolitischen Fraktion der Pragmatiker, auch Realisten genannt. 2001 traten er und Michael O'Hanlon mit dem Buch "Defending America: The Case for Limited National Missile Defense" für ein begrenztes Raketenabwehrsystem ein. Das 2003 erschienene, von ihm und Ivo Daalder verfaßte "America Unbound: The Bush Revolution in Foreign Policy", eine Generalabrechnung mit dem von Hubris gekennzeichneten, zum Scheitern verurteilten Unilateralismus à la George Bush jun., Dick Cheney, Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz wurde von der international angesehenen Politzeitschrift Economist zum Buch des Jahres gekürt. 2008 leitete Lindsay, der auch Experte auf dem Feld der nuklearen Abrüstung ist, die vom Pentagon mit 7,6 Millionen Dollar ausgestattete Minerva Research Initiative zum Thema "Climate Change, State Stability and Political Risk in Africa." Am 28. Juni stellte sich James Lindsay dem Schattenblick für ein längeres Interview zur Verfügung.

James Lindsay - Foto: © 2011 by Schattenblick

James Lindsay
Foto: © 2011 by Schattenblick

Schattenblick: Welchen Nutzen hat der Gipfel gegen gewalttätigen Extremismus für die Außenpolitik der USA und ihre Formulierung?

JL: Eines der größten und dringlichsten Probleme auf dem Feld der nationalen Sicherheit und des Heimatschutzes nicht nur in den USA, sondern auch für die westlichen Demokratien insgesamt ist das des sogenannten Homegrown Terrorist, der danach strebt, Verluste in großer Zahl zu produzieren. Das Problem ist bedeutend und ohne entsprechende Gegenmaßnahmen könnte es zum Blutvergießen in einem Ausmaß führen, das wir uns derzeit gar nicht vorstellen können. Das nennen wir die Demokratisierung von Gewalt, daß sich immer mehr Leute das Wissen aneignen, wie man größere und verheerendere Schäden anrichtet. Wie die Ereignisse vom 11. September 2001 in New York, vom 11. März 2003 in Madrid und vom 7. Juli 2005 in London zeigen, stehen die westlichen Gesellschaften hier vor einer gewaltigen Herausforderung. Sowohl in den USA als auch in den anderen westlichen Staaten gibt es eine Tendenz, sich erst dann mit einem Problem zu befassen, nachdem es sich manifestiert hat und die Bomben losgegangen sind. Von daher besteht der eigentliche Zweck des Summit Against Violent Extremism darin, Wege auszuloten, die von ihrer Natur her präventiv sind. Mit anderen Worten, wie lassen sich junge Leute vom gewalttätigen Extremismus abhalten, damit sie ihn nicht zur eigenen Sache machen, und, falls sie das bereits getan haben, wie man sie wieder auf einen friedlichen Weg zurückführen kann. So könnte man den der Konferenz zugrunde liegenden Ansatz beschreiben.

Die Diskussionen auf der Konferenz über den gewalttätigen Extremismus haben die Erkenntnis zutage gefördert, daß bei der Bewältigung dieses Problems nicht nur staatliche Stellen gefragt sind, sondern auch zivilgesellschaftliche Gruppen, Stiftungen wie der CFR und Konzerne wie Google eine größere Rolle spielen müssen. Ich würde sogar weitergehen und sagen, daß der Staat beim Versuch, junge Menschen vor der Radikalisierung zu bewahren, aufgrund fehlenden Vertrauens für die Führungsrolle gänzlich ungeeignet ist. An diesem Punkt kommen die ehemaligen Gewaltextremisten ins Spiel, denn sie verfügen über die notwendige Glaubwürdigkeit, um junge Leute vom Eintritt in eine Neonazi-Gruppe oder eine islamistische Kampftruppe oder was auch immer abzuhalten. Von der Konferenz erhoffen wir uns daher, eine bessere Idee zu bekommen, wie die verschiedenen Akteure am besten zusammenarbeiten und ihre verschiedenen Ansätze koordinieren können.

SB: Eines der Hauptthemen auf der Konferenz ist zweifelsohne die Radikalisierung unter jungen Muslimen. Doch spätestens seit dem 11. September 2001 steht der begründete Vorwurf im Raum, die islamische Radikalisierung in Pakistan und zahlreichen anderen Ländern werde maßgeblich von Personen und Institutionen - darunter eventuell auch staatliche - in Saudi-Arabien, einem der wichtigsten Verbündeten der USA, gefördert und finanziert. Demnächst jähren sich die Flugzeuganschläge zum zehnten Mal und dennoch hat man den Eindruck, die USA hätten gegen dieses Problem nichts unternommen. Täuscht dieser Eindruck oder läßt Washington Riad einfach gewähren? Sind vielleicht die außenpolitischen Interessen der USA und Saudi-Arabiens in dieser Angelegenheit schlicht unvereinbar?

Pressekonferenz am 27. Juni zum Auftakt des Summit Against Violent Extremism (SAVE) mit Jane Rosenthal vom Tribeca Film Festival, Jared Cohen von Google Ideas, James Lindsay vom CFR und Google-Chef Eric Schmidt - Foto: © 2011 by Schattenblick

Pressekonferenz am 27. Juni zum Auftakt des Summit Against Violent
Extremism (SAVE) mit Jane Rosenthal vom Tribeca Film Festival, Jared
Cohen von Google Ideas, James Lindsay vom CFR und Google-Chef Eric Schmidt
Foto: © 2011 by Schattenblick

JL: Das Problem ist sehr vielschichtig. Sie haben einen Teil davon identifiziert, nämlich die Bereitstellung von Geldern aus Saudi-Arabien. Aber nicht nur auf diesem Wege wird die Rekrutierung, Ausbildung et cetera von Dschihadisten vorangetrieben. Die Finanzierung fruchtet nur, weil die Bedingungen dafür in den verschiedenen Ländern - Sie erwähnten Pakistan - besonders günstig sind. Die Hauptaufgabe besteht demnach in der Identifizierung und Beseitigung jener Bedingungen. Was die Bereitstellung von Geldern für radikalislamische Gruppierungen im Nahen Osten und darüber hinaus durch Personen und Stiftungen in Saudi-Arabien betrifft, so hat die Regierung in Washington wiederholt bei der Führung in Riad vorgesprochen und entsprechende Gegenmaßnahmen gefordert. Wir können darüber streiten, inwieweit die USA alles unternommen haben, was in ihrer Macht stand. Ohne Zweifel fließen nach wie vor größere Geldsummen aus saudischen Konten an islamistische Gruppen.

Was die Sache kompliziert macht ist die Pflicht im Islam, Gelder zu Wohltätigkeitszwecken zu spenden. Es ist ungemein schwierig, Gesetze zu erlassen oder Sanktionen zu verhängen, die sich ausschließlich gegen Gelder richten, die an Extremisten oder Terroristen gehen, und Spenden an legitime Organisationen unbehelligt lassen. Zudem ist es sehr diffizil, ein Kriterium dafür zu finden, was eine legitime Sache ist und was nicht. Da sind die Behörden im Westen und in Saudi-Arabien häufig verschiedener Meinung. Die Saudis pochen auf ihr Recht, salafistische Gruppen zu unterstützen, die eine sehr strenge Form des Islams predigen, während die Behörden in den USA und Europa in ihnen die Wegbereiter von Intoleranz und Erzeuger sozialer Spannungen sehen. Es herrschen große Meinungsverschiedenheiten zwischen Washington und Riad, und wir werden abwarten müssen, wie sich das Verhältnis entwickelt.

SB: Die Spannungen zwischen den USA und Saudi-Arabien zeugen nicht gerade vom Erfolg der internationalen Bemühungen der letzten Jahre um eine größere Verständigung unter den großen Weltreligionen.

JL: Wohl wahr. Nun ist der Islam eine weltumspannende Religion, die in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Formen annimmt. Die Saudis, die Schutzherrn der heiligen Städten Mekka und Medina, vertreten mit dem Wahhabismus eine viele striktere Auslegung als etwa die Menschen in Indonesien, die einen sanften Islam praktizieren. Es ist für Außenstehende oder Andersgläubige schwer bis unmöglich, Einfluß auf religiöse Fragen zu nehmen. Von daher hat man es als Diplomat mit einem kaum lösbaren Problem zu tun.

Die grundlegende Frage hinsichtlich der Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien besteht darin, ob die jeweiligen Staatsinteressen künftig übereinstimmen oder vielleicht doch auseinander streben werden. Der Arabische Frühling, den die Welt seit Anfang dieses Jahres erlebt, hat die Beziehungen zwischen Riad und Washington schwer belastet. Die Saudis waren überhaupt nicht glücklich darüber, daß die Regierung Barack Obamas den langjährigen ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak zum Rücktritt gedrängt hat. Saudi-Arabien hat, ohne die US-Regierung vorher zu konsultieren, im März Truppen nach Bahrain entsandt, um die Herrscherfamilie dort an der Macht zu halten.

SB: Es wurde allerdings der Verdacht erhoben, US-Verteidigungsminister Robert Gates hätte wenige Tage davor während eines Besuchs in der Region den Verantwortlichen in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten grünes Licht für den Einmarsch gegeben.

James Lindsay - Foto: © 2011 by Schattenblick

Foto: © 2011 by Schattenblick

JL: Es gab wohl Spekulationen in diese Richtung, aber meinen Kontakten bei der Obama-Administration zufolge war man in Washington über diese Entwicklung vorab nicht informiert worden und fühlte sich, als die Truppenbewegung erfolgte, auf dem falschen Fuß erwischt. Von daher halte ich die Spekulationen in Bezug auf den Gates-Besuch in der Region für bloße Gerüchte, die nicht durch Tatsachen belegt werden können. Tatsächlich ist das amerikanisch-saudische Verhältnis derzeit so angespannt wie schon lange nicht mehr.

SB: Wo wir über Spannungen reden, trägt die Konfrontation zwischen den USA und dem Iran seit einigen Jahren zur Verschärfung des religiösen Konfliktes zwischen Sunniten und Schiiten bei. Im Irak haben sich vor kurzem beide Gruppen einen blutigen Bürgerkrieg geliefert, während die schiitische Minderheit in Pakistan immer wieder Anschläge seitens sunnitisch-salafistischer Gruppen ausgesetzt ist. Angesichts der enormen Sprengkraft dieser innerislamischen Rivalität obliegt es da nicht den USA und dem Iran als der Schutzmacht der Schiiten, einen Modus vivendi zu finden, um die religiösen Spannungen rund um den Persischen Golf zu entschärfen?

JL: Meiner Antwort schicke ich die Feststellung voraus, daß das, was man machen möchte, und das, was man machen kann, häufig zwei Paar Schuhe sind. Betrachtet man den Persischen Golf aus geopolitischer Sicht, so müßte man annehmen, es läge im Interesse der USA, gute Beziehungen zum Iran und zu Saudi-Arabien zu unterhalten. In den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts war dies Washington durchaus gelungen. Seit dem Sturz des Schahs 1979 hängt der Haussegen zwischen den USA und dem Iran jedoch schief. Bis heute hat sich an dieser mißlichen Lage nichts verändert. Mit dem Einzug Barack Obamas ins Weiße Haus im Januar 2009 verbanden nicht wenige Beobachter die Hoffnung, der neue US-Präsident werde für eine Aussöhnung sorgen. Doch noch während der ersten sechs Monate der Obama-Administration wurde deutlich, daß die Führung in Teheran an einer Öffnung gegenüber den USA kein Interesse hegt. Wenn man seine Hand ausstreckt, aber die andere Seite nicht zugreift, wird es keinen Handschlag geben.

Im Juni, Juli desselben Jahres kam es im Iran zur Niederschlagung der Proteste gegen die Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad, was die Beziehungen zusätzlich belastete. Die derzeit herrschende Fraktion innerhalb der Führung des Irans ist an keiner Aussöhnung mit Washington interessiert, unter anderem auch deshalb, weil sie ihre innenpolitische Legitimität zu einem Gutteil aus ihrer Opposition gegenüber den USA bezieht. Darüber hinaus stehen die USA unter erheblichem Druck seitens Saudi-Arabiens und ihrer anderen Verbündeten in der Region, eine konfrontativere Haltung gegenüber dem Iran insbesondere wegen dessen Atomprogramm einzunehmen. Daß diese Forderung schon seit langem erhoben wird, haben die arabischen Politiker vor ihren eigenen Bevölkerungen verheimlicht, aber in diplomatischen Kreisen wußte jeder davon. Diesen Umstand hat Wikileaks vor kurzem enthüllt. Zwar haben die USA mit dem Iran vor allem wegen seines mutmaßlichen Atomwaffenprogramms ein Problem, gleichwohl wollen sie auf gar keinen Fall in den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten hineingezogen werden. In der Diplomatie hat man häufig das Problem, sich den politischen Kurs eines Verbündeten nicht allzu sehr aufdrängen zu lassen, damit die eigenen Interessen nicht aus den Blick geraten und langfristig negativ beeinflußt werden. In der Region gibt es jedoch sunnitische Kräfte, die in letzter Zeit die Gefahr eines "schiitischen Halbmonds" heraufbeschwören.

James Lindsay auf der Pressekonferenz - Foto: © 2011 by Schattenblick

James Lindsay auf der Pressekonferenz
Foto: © 2011 by Schattenblick
SB: Die Formulierung stammt, sofern ich mich nicht irre, ursprünglich von König Abdullah II. von Jordanien.

JL: So ist es. Ich denke, daß die US-Regierung mit Rücksicht auf den eigenen Handlungsspielraum alles Erforderliche tut, um sich nicht diese Sicht der Dinge aufzwingen zu lassen. Nichtsdestotrotz muß man die Interessen seiner Freunde und Verbündeten berücksichtigen.

SB: Es gibt Vermutungen, wonach die heftigen innenpolitischen Angriffe, die sich Ahmadinedschad in den letzten Wochen ausgesetzt sieht, mit informellen Gesprächen zusammenhängen, die seine Vertrauten mit Thomas Pickering, dem früheren US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, führten. Wissen Sie vielleicht etwas darüber?

JL: Mein Kollege Ray Takeyh, Nahost-Referent beim CFR, vertritt seit einiger Zeit den Standpunkt, daß Präsident Ahmadinedschad innerhalb der Führung in Teheran einem Dialog mit den USA am aufgeschlossensten gegenübersteht. Dafür gibt es verschiedenen Gründe, darunter nicht zuletzt die Tatsache, daß seine eigene Position gestärkt wäre, wenn er den Kalten Krieg mit den USA beenden und Washington zur Anerkennung des Irans als entscheidende Regionalmacht am Persischen Golf bewegen könnte. Der oberste religiöse Führer und das eigentliche Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Khamenei will dagegen nichts damit zu tun haben. Ich bin keine Experte in Sachen iranische Innenpolitik, aber aus Gesprächen mit Kollegen, die es sind, habe ich den Eindruck gewonnen, daß sie größte Schwierigkeiten damit haben, die byzantinischen Machtspiele in der iranischen Hauptstadt zu verfolgen und richtig zu bewerten. Und wenn man nicht weiß, wie die Machtverhältnisse in einem anderem Staat gelagert sind und auf wen man in der Hauptstadt setzen kann, dann fällt es sehr schwer, eine tragfähige Politik in Bezug auf das Land zu formulieren, geschweige denn umzusetzen.

SB: Ein großes Thema auf der Konferenz ist das Gang-Phänomen, das in den USA besonders ausgeprägt ist. Bekanntlich ist ein wesentlicher Aspekt des Gangwesens auf der ganzen Welt der Handel mit illegalen Drogen. Vor wenigen Wochen hat eine hochkarätig besetzte UN-Expertenkommission, die von dem ehemaligen US-Präsident Jimmy Carter publizistische Unterstützung in Form eines Gastkommentars in der New York Times erhielt, ein Ende des Antidrogenkrieges gefordert, weil er niemals zu gewinnen sei und nun schon seit mehreren Jahrzehnten große gesellschaftliche Zerstörungen anrichte. Die USA sind von Anfang an die wichtigsten Befürworter der internationalen Drogenprohibitionspolitik gewesen. Daher wird es einen Kurswechsel auf diesem Gebiet ohne die USA wahrscheinlich nicht geben. Wie schätzen Sie die Chancen ein, daß die Forderung nach einem Ende des Antidrogenkrieges zur Position Washingtons wird?

JL: Da sehe ich nur ganz geringe Chancen. Jeder Politiker, der in den USA öffentlich für ein Umdenken in der Drogenpolitik eintritt, läuft Gefahr, vom politischen Gegner zum Feigling gestempelt zu werden, der das Rauschgiftproblem beschönige und vor den Drogenkartellen kapituliere. Seit Präsident Richard Nixon den Antidrogenkrieg vor rund vierzig Jahren ausrief, hat es an warnenden Stimmen und Studien nicht gefehlt, die darauf aufmerksam machten, daß die Kriminalisierung des Rauschgiftkonsums nicht nur nichts bringe, sondern vielmehr völlig kontraproduktiv sei. Die Drogenpolitik der USA ist nicht zuletzt wegen ihrer Auswirkungen auf die Nachbarländer in Mittel- und Südamerika von Bedeutung. Dort hat sich die Produktion von und der Handel mit Drogen für den US-Markt zu einer gigantischen, äußerst einträglichen Industrie entwickelt. Inzwischen bauen die Drogenkartelle in Kolumbien sogar U-Boote, um ihre Ware am Zoll vorbei in die USA zu schleusen. So etwas macht man nicht am Wochenende in seiner Garage. Es erfordert einen hohen Einsatz an Geld und technischem Wissen. Wie auf der Konferenz zu erfahren war, hat der Drogenhandel dazu geführt, daß sich die Gangs über die Landesgrenzen hinaus organisieren, während das Geschäft mit Rauschmitteln die Armenviertel in Städten wie Los Angeles, Mexiko City und San Salvador noch tiefer ins Elend stürzt und das Leid der Menschen unerträglich macht.

SB: Das sind doch alles Argumente für ein Ende der Drogenprohibition.

JL: Es ist nicht zu bestreiten, daß die Drogenpolitik der USA Widersprüche aufweist. Aber es ist nicht das einzige Feld, auf dem dies zutrifft. Allerdings wird die Drogenprohibition von fast allen Staaten der Welt mitgetragen. In Mexiko zum Beispiel sind in den letzten Jahren Tausende von Menschen der Gewalt zwischen Polizei, Armee und Drogenbanden zum Opfer gefallen. Dort tobt quasi ein Bürgerkrieg. Es ist wirklich ein großes Problem, und das in einem direkten Nachbarland der USA.

James Lindsay - Foto: © 2011 by Schattenblick

Foto: © 2011 by Schattenblick SB: Man könnte das Aufkommen der Gangs in den USA als Folge des Versagens der Politik der sechziger und siebziger Jahre begreifen, die nicht auf die Forderung sogenannter radikaler Gruppen wie der Black Panther nach größerer sozialer Gerechtigkeit eingegangen ist. Statt dessen hat man sie kriminalisiert. Begehen die amerikanischen Behörden heute nicht denselben Fehler, wenn das Justizministerium das FBI auf Kriegsgegner, Tierrechtler und Umweltschützer ansetzt und diese zu potentiellen "Terroristen" aufbauscht? Sorgen sie nicht durch die Kriminalisierung von oppositionellen Kräften für eine weitere "Radikalisierung"?

JL: Meine Antwort auf die Frage lautet Nein. Man muß hier einen wichtigen Unterschied machen. Die USA kriminalisieren nicht das Recht der Leute, ihre Religion auszuüben oder ihre Ansichten frei zu äußern. Im Gegenteil ist die Meinungsfreiheit in den USA vermutlich die am weitesten entwickelte auf der Welt. Was die Behörden in den USA jedoch tun, ist, bestimmte Verhaltensweisen zu kriminalisieren. Nehmen wir nur den Ökoterrorismus. Das Problem besteht nicht darin, daß die Leute gegen Umweltverschmutzung durch Großkonzerne et cetera politisch aktiv geworden sind, sondern daß sie Straftaten wie Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und dergleichen mehr begangen haben. Nicht die Äußerung bestimmter politischer Ansichten ist das Problem, sondern das Übertreten geltender Gesetze.

SB: Auf der Konferenz trifft man nur auf Leute, die der Gewalt abgeschworen haben. Was ist aber mit all denen, die, mit welcher Begründung auch immer, auf ihr Recht auf Widerstand bestehen. Wäre es nicht sinnvoller, auch mit solchen Leuten das Gespräch zu suchen? Gibt es hierzu in der CFR vielleicht irgendwelche Überlegungen? Wie ließe sich das möglicherweise bewerkstelligen?

JL: Ich verstehe Ihre Kritik an der Konferenz, zumal ich mir über deren Bedeutung nichts vormache. Es finden zwar produktive Diskussionen statt, aber wir werden hier nicht am Ende die Lösung aller Probleme präsentieren können. Was Ihre Frage betrifft, so steht die Regierung der Vereinigten Staaten - und natürlich nicht nur sie allein - vor der Herausforderung, wie man einerseits radikale Gruppen verfolgt und bekämpft, andererseits aber die Tür so weit offen läßt, daß die Leute die Möglichkeit haben, innerhalb des Systems zu arbeiten, anstatt sich dagegen aufzulehnen. Für uns bietet die Konferenz die Möglichkeit, Wege herauszufinden, wie man die Wahrscheinlichkeit reduzieren kann, daß junge Leute in extremistische Gruppen eintreten, oder wie man sie, wenn sie schon drin sind, dazu bringt, ihre Beweggründe zu überdenken. Auf der Konferenz ist deshalb die Rede davon, "die Saat des Zweifels auszustreuen". Ich glaube, daß dieser Ansatz von den meisten Regierungen verfolgt wird, bei soviel Extremisten wie möglich die Saat des Zweifels hinsichtlich ihres Handelns aufgehen zu lassen.

Was die überzeugten Extremisten betrifft, bin ich skeptisch, ob ein Dialog Sinn machen würde. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es den USA irgendeinen Nutzen gebracht hätte, wenn sich ihre Vertreter mit Osama Bin Laden an einen Tisch gesetzt und mit ihm politische Meinungsunterschiede ausgetauscht hätten. Ich denke, man unterliegt einem Irrtum, wenn man glaubt, daß jeder mit der Strategie von Zuckerbrot und Peitsche zu erreichen ist.

SB: Ein weiteres großes Thema auf der Konferenz ist die Demobilisierung. Zahlreiche Teilnehmer erläutern öffentlich, wie sie zu dem Schluß gekommen sind, daß Gewalt mehr Probleme erzeuge als löse, und ihr schließlich den Rücken gekehrt haben. Bei diesen Menschen handelte es sich allesamt um ehemalige "nicht-staatliche Kombattanten", um einen Begriff aus der modernen Aufstandsbekämpfung zu benutzen. Dem gegenüber hat sich Präsident Obama das Primat der militärischen Option auf seine Fahne geschrieben, als er bei seiner Dankesrede anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreises im November 2009 in Oslo die US-Streitkräfte als die größte Friedensmacht auf Erden bezeichnete. Wenn man aber die großen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht - wozu auch der Klimawandel gehört, über den Sie in der Vergangenheit ausführlich geschrieben haben -, ernst nehmen will, erfordert dies nicht eine radikale Abkehr vom bisherigen Paradigma einer Großmachtpolitik, die die USA in ihrer aktuellen Form als oberste Entscheidungsinstanz auf militärischen Ebene voraussetzt? Und stünden einer solchen Abkehr nicht mächtige institutionelle sowie industrielle Interessen in den USA im Wege?

Abschlußbesprechung am 28. Juni auf der Anti-Extremismus-Konferenz mit Jared Cohen, James Lindsay, Elizabeth Rosenthal und Ed Husain, Autor des Buchs 'The Islamist' und Senior Fellow beim CFR - Foto: © 2011 by Schattenblick


Abschlußbesprechung am 28. Juni auf der Anti-Extremismus-Konferenz
mit Jared Cohen, James Lindsay, Elizabeth Rosenthal und Ed Husain,
Autor des Buchs "The Islamist" und Senior Fellow beim CFR
Foto: © 2011 by Schattenblick

JL: Die Frage enthält mehrere Elemente, auf die es sich im einzelnen einzugehen lohnt. Denjenigen, die Präsident Obamas Dankesrede nicht gelesen haben, kann ich sie nur empfehlen. Das Gleiche gilt für den Essay des berühmten deutschen Soziologen Max Weber über die Ethik der Verantwortung. Beides zusammen versetzt einen in den Stand, die Lage von Staatsmännern zu verstehen, die ihr Land führen und adäquate Antworten auf politische Probleme finden müssen. Ich stimme Präsident Obamas Bezeichnung des US-Militärs als wichtigste Kraft des Friedens vollkommen zu. Ohne die US-Streitkräfte wäre Europa heute vermutlich nicht in Frieden vereint. Das US-Militär ist die schlagkräftigste Armee der Welt und die einzige Macht mit globaler Reichweite.

Tatsache ist jedoch auch, daß nicht alle Probleme, mit denen sich die USA und zugleich die internationale Gemeinschaft konfrontiert sehen, mit militärischen Mitteln zu lösen sind. Der Klimawandel und andere schwerwiegende ökonomische oder wissenschaftliche Probleme, die grenzübergreifender Natur sind, setzen kollektives Handeln seitens der Staatengemeinschaft voraus. Ohne den Einsatz vieler Menschen in leitenden Positionen aus verschiedenen Ländern können sie nicht gelöst werden. Daher stellt sich die Frage, wie man die einzelnen Staaten zu einer kollektiven Zusammenarbeit bewegen kann, zumal ihre kurzfristigen Interessen in der Nicht-Kooperation liegen. Nehmen wir nur das vordringlichstes Beispiel des Klimawandels. Alle Anstrengungen müßten sich danach ausrichten, die Menge der Treibhausgase, die von den Menschen in die Atmosphäre freigesetzt werden, zu reduzieren. Doch wie man weiß, geht das nicht ohne Preissteigerungen und eventuelle Arbeitsplatzverluste bzw. erhebliche volkswirtschaftliche Umstellungen einher. Davor scheut sich jede Regierung, vor allem weil sie nicht sicher sein kann, daß auch die anderen Staaten die gleichen Maßnahmen ergreifen. Kurzfristig ist es einfacher und billiger, bei der alten Verfahrensweise zu bleiben und weiter unbekümmert Treibhausgase zu produzieren - auch wenn nachher die ganze Menschheit die Rechnung wird bezahlen müssen.

Deswegen wird das die große Frage der internationalen Politik des 21. Jahrhunderts sein, wie man die Staaten zu einer vernünftigen Zusammenarbeit bewegt, obwohl jeder Staat bei der Verteilung der Aufgaben den anderen den Vortritt lassen möchte. Bisher hat niemand für dieses Problem eine Lösung gefunden. Die Herausforderung dieses Jahrhunderts unterscheidet sich von der des 20., in dem eine der Hauptaufgaben aus amerikanischer Sicht darin bestand, zu verhindern, daß irgendeine Staatsmacht die Herrschaft über die eurasische Landmasse erlangt. Zuerst mußten die Deutschen und später dann die Sowjets daran gehindert werden. Das war ohne jeden Zweifel eine Herkulesarbeit, doch Probleme wie Klimawandel oder Terrorismus, die vor keinen Staatsgrenzen haltmachen, weisen eine ganz neue Qualität auf und machen internationale Kooperationen in einem weitaus größeren Ausmaß erforderlich. Die USA waren als Staat groß genug und verfügten über genügende wirtschaftliche und technologische Ressourcen, um der Sowjetunion Einhalt zu gebieten. Doch selbst wenn die USA von heute auf morgen ihren Ausstoß an Treibhausgasen auf null herunterfahren würden, bliebe das Problem des Klimawandels bestehen, weil die Autos und Fabriken in den anderen Ländern der Welt weiterhin die Luft verschmutzen.

SB: Ist es Ihrer Ansicht nach zur Bewältigung der globalen Probleme von Klimawandel und Artensterben nicht dringend erforderlich, daß wir uns vom derzeit herrschenden neoliberalen Wachstumsmodell verabschieden, um für einen schonenderen Umgang mit der Umwelt und für gerechtere Lebensverhältnisse auf der Welt zu sorgen - nicht zuletzt damit die Menschen bei den anstehenden Aufgaben besser zusammenarbeiten? Ich kann mir gut vorstellen, daß man sich bei der CFR mit dieser Frage beschäftigt. Vor einigen Jahren war der Chef der New Yorker Börse in den Dschungel von Kolumbien zu Gesprächen mit den Anführern der marxistischen Rebellengruppe FARC gereist, während in letzter Zeit selbst einige große Wirtschaftsführer in den USA wie Warren Buffett sich über die zunehmende Schere zwischen arm und reich beklagen und mit dem Argument, längst genügend Geld zu haben, ein gerechteres Steuersystem fordern.

James Lindsay - Foto: © 2011 by Schattenblick

Foto: © 2011 by Schattenblick JL: Es kommt zunächst darauf an, was man mit Wachstumsmodell meint.

SB: Nennen wir es beim Namen: der Kapitalismus.

JL: Mein guter Freund Jagdish Bhagwati, der Wirtschaftsprofessor an der Columbia University ist, erinnert mich regelmäßig daran, daß die Marktwirtschaft mehr Menschen in China und Indien in Brot und Lohn gebracht hat als alle Hilfsprogramme zusammen. Um Menschen aus der Armut zu holen, werden wir uns, wie ich meine, auf die Marktwirtschaft verlassen müssen, denn sie scheint für dieses Problem die bisher beste Lösung zu sein. Andere Wirtschaftssysteme erscheinen in Hinsicht auf eine langfristige Hebung der allgemeinen Lebensstandards nicht so effektiv. Dennoch stellt sich in jedem einzelnen Land, in dem Marktwirtschaft betrieben wird, die Frage nach der fiskalischen und sozialen Gestaltung. Es geht darum, wie die Steuerlast verteilt wird, wie der Staat seine Einnahmen investiert und wie man für halbwegs gerechte Verhältnisse sorgt, die, wie wir wissen, sich sogar nach volkswirtschaftlichen Kriterien positiv niederschlagen. Die Bejahung der Marktwirtschaft als Quelle von Wirtschaftswachstum ist nicht damit gleichzusetzen, dem Laissez-Faire-Kapitalismus das Wort zu reden. In jedem Staat müssen sich die Bürger und die Volksvertreter entscheiden, welche gesetzlichen Zwänge sie den Märkten auferlegen wollen, um für geordnete soziale Verhältnisse zu sorgen. Nichtsdestotrotz glaube ich nicht, daß wir uns allzu bald von der Marktwirtschaft verabschieden werden.

SB: Meinen Sie wirklich, daß sie sich mit dem Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit vereinbaren läßt?

JL: Ich sehe da keine Alternative. Einer der Vorzüge der Marktwirtschaft besteht gerade darin, daß sich die Menschen etwas einfallen lassen, sobald ein Produkt knapper wird und damit sein Preis steigt. Es werden Alternativprodukte erfunden, um das gleiche Bedürfnis zu befriedigen, oder die Menschen verändern ihr Verhalten. Wie schon der Volksmund sagt: Not macht erfinderisch. Das große Problem mit den Märkten ist, daß sie ungeahnte Konsequenzen nach sich ziehen. Die Volkswirtschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von "negativen Externalitäten". Um die Folgen zu beseitigen bzw. einzudämmen, müssen die Regierungen gemeinsame Maßnahmen beschließen. Von daher stellt für mich die Regulierung der Märkte nicht die größte Herausforderung dar. Die sehe ich in der Schwierigkeit, die Führer der wichtigsten Volkswirtschaften - mit anderen Worten die Regierungschefs der G20 - dazu zu bringen, sich auf tiefgreifende und für alle Staaten geltende Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels zu verständigen.

Ich habe Freunde, die im Bereich der Umwelttechnologie arbeiten. Sie und ihre Kollegen in anderen Ländern entwickeln großartige Verfahren, die uns hoffentlich erlauben werden, den eigenen CO2-Ausstoß zu reduzieren bei relativ gleichbleibenden Lebensstandards. Von daher sehe ich die Zukunft gar nicht so schwarz. Es ist nicht alles doom and gloom. Es stellt sich lediglich die Frage, ob wir diese Technologien rechtzeitig zur Verfügung haben. Dafür sind größere Investitionen nötig, die leider in den letzten Jahren in den USA gefehlt haben. Präsident Obama versucht seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren für eine Verbesserung auf diesem Gebiet zu sorgen, stößt jedoch auf erheblichen Widerstand seitens der republikanischen Opposition im Kongreß. Erschwerend kommt nun die internationale Finanzkrise hinzu. Gerade in einer Phase, wo man eigentlich staatliche Investitionen in neue Umwelttechnologien bräuchte, sind in den meisten Industriestaaten die Kassen leer, und wegen der fehlenden Kaufkraft der Bürger scheuen sich die Politiker natürlich vor der Einführung zusätzlicher Energie- und Verbrauchssteuern, die zudem ein sinnvolles Lenkungsmittel wären. In nächster Zeit stehen deshalb in praktisch allen Industriestaaten heftige und langanhaltende Debatten um die Frage, wie unsere zivilatorische Antwort auf den Klimawandel finanziert werden und wer die Kosten tragen soll, an.

SB: James Lindsay, ich bedanke mich herzlich für das Interview.

Der Blick von der neuen Samuel Beckett Bridge den Liffey hinauf mit rechts am nördlichen Ufer zwei der bekanntesten Wahrzeichen Dublins, das Custom House aus dem 18. Jahrhundert und die turmartige irische Gewerkschaftszentrale Liberty Hall - Foto: © 2011 by Schattenblick

Der Blick von der neuen Samuel Beckett Bridge den Liffey hinauf
mit rechts am nördlichen Ufer zwei der bekanntesten Wahrzeichen
Dublins, das Custom House aus dem 18. Jahrhundert und die turmartige
irische Gewerkschaftszentrale Liberty Hall
Foto: © 2011 by Schattenblick

26. Juli 2011