Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → REPORT

INTERVIEW/018: "Aggressiver Euro-Imperialismus" - Georg Polikeit zur Lage der Linken (SB)


Interview mit Georg Polikeit in Berlin-Mitte am 10. März 2012


Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Georg Polikeit
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Journalist Georg Polikeit war einer der vier Referenten des Symposiums "Aggressiver Euro-Imperialismus" [1] in der Berliner Ladengalerie der jungen Welt. In seinem Vortrag zum Thema "Deutsche Dominanz und innereuropäische Konflikte" befaßte er sich mit der Strategie und Struktur des europäischen Zusammenschlusses, wobei er insbesondere die maßgeblichen internen und externen Widerspruchslagen des imperialistischen Projekts herausarbeitete. Er war in den 80er Jahren Chefredakteur der UZ (Unsere Zeit), deren erste Ausgabe vom 3. April 1969 unmittelbar vor dem Essener Parteitag der DKP datierte. Am Rande des Symposiums beantwortete Georg Polikeit dem Schattenblick einige Fragen.

Schattenblick: Sie haben die deutsche Geschichte unter anderem als Chefredakteur der UZ viele Jahre begleitet. Mit welchen Hoffnungen haben Sie diese Geschichte verfolgt, wie haben sich diese Hoffnungen verändert und was ist heute aus ihnen geworden?

Georg Polikeit: Ich war am Ende des Zweiten Weltkriegs 16 1/2 Jahre alt und gehöre damit zu jenen Deutschen, die diese Zeit noch bewußt erlebt haben. Ich gehöre der Generation an, die gesagt hat, das darf sich nie wiederholen: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus! Diese Überzeugung verband sich bei mir dann sehr rasch mit der Idee, daß ein völliger Neuanfang gemacht werden müsse und vor allen Dingen die Wurzeln des Faschismus zu bekämpfen seien. Deswegen bin ich schon damals in die Kommunistische Partei eingetreten. Es war natürlich meine Hoffnung, daß man ein neues, sozialistisch orientiertes Deutschland aufbauen könnte.

SB: Wie war damals die Stimmung gewesen? Aus heutiger Sicht ist die Linke ja sehr schwach in der Öffentlichkeit vertreten.

GP: Die Stimmung war durchwachsen. Auf der einen Seite gab es viele Deutsche, die fürchteten, daß sie nun die Folgen des verlorenen Krieges erleiden müßten. Es war natürlich die große Frage, was da auf uns zukommt. Auf der anderen Seite war aber sicher am Ende des Krieges auch für die Mehrheit der Deutschen klar, daß diese Nazi-Herrschaft und deren Krieg ein Verbrechen war, das sich nicht wiederholen darf. Beide Elemente waren in der damaligen Stimmung vertreten, wobei man sagen muß, daß sich das dann sehr schnell wieder gedreht hat, weil schon ab 1947, 1948 die ersten Vorzeichen des neubeginnenden Kalten Krieges in Erscheinung traten. Da gab es ja auch noch viele Probleme wie jenes der Kriegsgefangenen, Vertriebenen und Flüchtlinge, die im Westen aufgenommen werden mußten. Das waren natürlich auch Hindernisse dafür, daß sich damals eine Linke in Westdeutschland stärker entwickeln konnte. Es gab eine Basis, aber man muß auch sagen, daß gerade die Kommunistische Partei sehr rasch in eine gewisse Isolation geriet.

SB: Wie kam es denn zu dieser Isolation?

GP: Auf der einen Seite drückten die Lasten und Nachwirkungen des Krieges, auf der anderen war diese Partei schon von der Zahl ihrer Anhänger her nicht die stärkste, da viele im Faschismus umgekommen waren. Was übriggeblieben war, kam nicht selten aus dem Konzentrationslager zurück. Das waren alles Probleme, die erst von diesen Menschen bewältigt werden mußten, bevor sie wieder politisch wirksam werden konnten. Vor allem war der wieder auflebende Antisowjetismus, gegen den man nicht die Mittel entwickeln konnte, die nötig gewesen wären, ein entscheidendes ideologisches Problem, das der Partei zu schaffen machte. Es kamen allerdings, das muß man auch sagen, in den 50er Jahren unter diesen Blockadebedingungen politische Fehler hinzu, die die KPD gemacht und die sie hinterher ja wiederholt eingeräumt hat. Beispielsweise sagte sie später, daß die Parole vom revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes im Programm zur nationalen Befreiung ebenso falsch gewesen sei wie die These 37, die sich gegen die damalige Gewerkschaftsführung richtete. Das waren sicher Fehler, die diese Isolation noch verstärkt haben.

SB: Es gab in den 60er Jahren und insbesondere im Zuge der 68er-Bewegung einen enormen Aufschwung politischen Bewußtseins in der Bundesrepublik. Wie haben Sie das damals erlebt?

GP: Wir waren sehr erfreut über diese Bewegung. Ich würde sogar behaupten, daß wir trotz dieser Problematik der Isolation der KPD, die ja 1957 verboten und damit in ihren Wirkungsmöglichkeiten noch mehr eingeschränkt worden war, weil sie fortan illegal arbeiten mußte, doch auch einen gewissen Anteil daran hatten, daß diese Bewegung zustande kam. Es handelte sich ja nicht nur um eine Studentenbewegung, denn diese wurde, was oft übersehen wird, in den 60er Jahren sehr wohl von erstarkenden Arbeiterbewegungen mit eigenen Forderungen und Streikaktionen begleitet. Hinzu kam, daß wir mit unseren illegalen Kadern auch an der Entwicklung dieser Studentenbewegung nicht völlig unbeteiligt waren. Wir waren an der Entwicklung der Friedensbewegung beteiligt, denn die Ostermärsche, die schon in den frühen 60er Jahren begannen, waren auch auf unsere Initiative hin entstanden, das kann ich aus eigenem Wissen sehr wohl sagen. Es war ja am Anfang eine kleine, aber dann doch sehr schnell wachsende Bewegung, und ich glaube, daß sie sich ohne unsere Unterstützung nicht so rasch entfaltet hätte. Also dazu haben wir etwas beigetragen. Die Antiatombewegung war damals auch ein Element der Studentenbewegung. Es war wie gesagt sehr erfreulich, daß es so eine Bewegung gab, und das hat ja letztlich auch die innenpolitischen Voraussetzungen geschaffen, um die Frage der Konstituierung einer legalen kommunistischen Partei überhaupt aufwerfen zu können, was wir dann ja 1968 getan haben.

SB: In den 70er Jahren kam es dann zu einer Entuferung der Bewegung in die Breite und einer Aufsplitterung in verschiedene Fraktionen. Nach einem hoffnungsvollen Aufschwung, der von einer weit verbreiteten Stimmung getragen war, die Gesellschaftveränderung stehe unmittelbar bevor, verflachte die Bewegung und verlor ihre Stoßkraft. Wie hat sich diese Entwicklung aus Ihrer Sicht abgespielt?

GP: Das würde ich so nie sehen. Natürlich war das eine breite Bewegung, und es waren eben Leute mit sehr unterschiedlichen ideologischen Hintergründen, die sich da engagiert hatten. Aber für uns war es doch sehr wichtig, und ich glaube, das ist damals etwas Besonderes gewesen, daß es überhaupt eine linke Studentenbewegung gab, die sich am Marxismus nicht unbedingt orientierte, aber sich doch mit ihm beschäftigte und auseinandersetzte. Ein Teil der Bewegung hat sich dann sehr stark an ihm orientiert, und das war im Grunde die Basis, auf der die DKP 1968 konstituiert werden konnte. Der Marxistische Studentenbund, der mit den Gewerkschaftslisten bei den Wahlen an den Hochschulen präsent war, hat sich in diese Richtung orientiert. Die von Ihnen angesprochene Entwicklung setzte aus meiner Sicht erst Mitte der 70er Jahre ein und hatte damit zu tun, daß sich ein anderer Teil - wir wußten ja immer, daß ein großer Teil dieser Studenten keine klassenmäßige Einschätzung der Situation hatte - hingegen auf die Theorie versteifte, die von den Grünen geprägt wurde: Systemfragen interessieren uns nicht, uns interessiert die sofortige und unmittelbare Verbesserung der Situation, vor allem was die Umwelt betrifft. Auf dieser Grundlage konnten sich die Grünen als erste große alternative Bewegung etablieren - ich rede jetzt nicht von den kleinen K-Gruppen, die ja zum Teil auch bewußt gefördert wurden, um den Einfluß der DKP kleinzuhalten.

SB: Die Grünen haben den Weg von einer Alternativpartei zur Kriegspartei rückblickend gesehen sehr zielstrebig eingeschlagen. Wie sehen Sie das?

GP: Genauso. Wenn man sich erinnert, was grüne Programmatik Ende der 70er Jahre beinhaltete, umfaßte sie nicht nur Antiatomkraft, sondern auch den Kampf zu Verhinderung des Atomkriegs und des Krieges überhaupt wie auch Basisdemokratie - es gab die Rotation der Vorstände und vieles mehr. Es handelte sich um eine ganze Reihe von Experimenten, die die Grünen auch in ihren eigenen Reihen durchgeführt haben, und das ist ja nun alles unter der Macht des Faktischen verschwunden. Selbst von der Basisdemokratie redet ja bei ihnen keiner mehr. Das ist heute eine normale linksliberale Partei, würde ich sagen.

SB: Das knüpft an die gesamte Geschichte der Bundesrepublik an, die zunächst mit der Schuld einer vorangegangenen Generation wie auch des erneuten Auftretens der damaligen Täter in hochrangigen Position zu leben versuchte und heute ein Staat ist, der wieder Kriege führt. Wie konnte es dazu kommen?

GP: Wir haben es in Westdeutschland nicht geschafft, die Bewegung soweit zu stärken, daß eine Änderung auch der ökonomischen Machtverhältnisse herbeigeführt werden konnte. Damals hieß die Parole ja "Änderung der Besitz- und Machtverhältnisse!". Das war auch die DGB-Parole, die jedoch nicht durchgesetzt worden ist. Praktisch hat die Wiederherstellung des deutschen Konzern- und Monopolkapitals logisch zu der Situation geführt, daß der deutsche Staat wieder Expansionsinteressen verfolgte, die zur Beteiligung an Kriegen führten.

SB: Aus heutiger Sicht wird der Sozialismus vielfach für gescheitert erklärt. Jede Erinnerung an die DDR wird geradezu diffamiert und mit dem Verdikt belegt, daß man nichts daran gutheißen darf. Diese Auffassung können Sie sicher nicht teilen?

GP: Natürlich nicht, im Gegenteil. Ich darf da mal auf das DKP-Parteiprogramm verweisen. Es gab auch in der DKP nach 1989 eine lange Diskussion darüber, wie wir uns dazu positionieren. Dabei war im Grunde immer klar, daß wir die Position einnehmen, die Gründe des Scheiterns müssen untersucht und wissenschaftlich aufgearbeitet werden, daraus müssen Lehren gezogen werden. Es gibt nicht nur äußere Gründe, sondern auch innere Gründe des Scheiterns der DDR - unter anderem die mangelnde Demokratie im Inneren, die autoritäre und verbürokratisierte Struktur des sozialistischen Systems, soweit wir das im Blick hatten. Aber auf der anderen Seite gibt es gar kein Vertun, daß dieser Sozialismus auch in Deutschland entscheidende positive Momente hat. Die gilt es festzuhalten und gegen diese Kampagne zu wenden, die ja nicht aus sachlichen Gründen geführt wird, sondern die Absicht verfolgt, die Zustimmung zum herrschenden System zu zementieren. Dieser Kampagne muß man widerstehen. Zu den wichtigsten positiven Errungenschaften dieses Sozialismus gehört, daß es keine Arbeitslosen gab, daß niemand Angst um seine soziale Existenz hatte, von einer weit besser realisierten Gleichstellung der Frau als im Kapitalismus gar nicht zu reden. Außerdem ist festzuhalten, daß die Sowjetunion und die europäischen sozialistischen Staaten eine konsequente Friedenspolitik gemacht haben. Das hat dazu beigetragen, daß es nicht zu einem neuen Krieg in Europa kam.

SB: Könnte es denn, wenn sich die sozialen Verhältnisse in Deutschland weiter verschlechtern, dazu kommen, daß immer mehr Menschen zum Umdenken gelangen und ihre bisherigen Überzeugungen wie etwa ihr Urteil über die DDR und den Sozialismus revidieren?

GP: Das ist natürlich zu hoffen, daß sie zu solchen Erkenntnissen kommen. Ich glaube sowieso, daß die Menschen schon jetzt Erfahrungen mit der Krise machen - vorher gab es ja die Vorstellung uns geht es gut, und wir wollen nichts dran ändern. "Keine Experimente!" war ja nicht umsonst die Losung der CDU und der Konservativen insgesamt. Ich glaube schon, daß die Menschen zu neuen Überlegungen kommen und neue Fragen auftauchen werden. Nur ist das ja schwierig, da es beides gleichzeitig gibt: Es gibt heute größere Aktivität und stärkeren Widerstand als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Soziale Konflikte werden schärfer ausgetragen - in Deutschland werden sie zurückgehalten, aber in anderen europäischen Staaten ist es ja deutlich sichtbar, daß da viel mehr Widerstand geleistet wird. Während der Zorn der Menschen über die herrschende Politik zunimmt, drängt sich zugleich die Frage auf, was die Alternative sein soll. Es gibt keine Alternative. Die Vorstellung, wie eine andere Politik aussehen könnte, ist völlig vage, und ich glaube, da sind auch die Linkskräfte in Deutschland heute insgesamt viel zu schwach und zögerlich. Da ist die DKP, da ist die Linkspartei, und es gibt noch eine ganze Reihe andere linke Formationen. Ich denke, das ist zu wenig, was wir als Antwort auf die Frage bieten, was denn statt dessen gemacht werden soll.

SB: Herr Polikeit, ich bedanke mich für dieses Gespräch.

Fußnote:

[1]‍ ‍BERICHT/005: "Aggressiver Euro-Imperialismus" ... im Labor neokolonialer Verfügungsgewalt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0005.html

BERICHT/006: "Aggressiver Euro-Imperialismus" ... Risse im transatlantischen Pakt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0006.html

BERICHT/007: "Aggressiver Euro-Imperialismus" ... Gemeinschaftswährung totgesagt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0007.html

BERICHT/008: "Aggressiver Euro-Imperialismus" ... Raubzug nach außen und innen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0008.html

INTERVIEW/016: "Aggressiver Euro-Imperialismus" - Hannes Hofbauer zu Erinnerungsjustiz (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/euri0016.html

INTERVIEW/017: "Aggressiver Euro-Imperialismus" - Rainer Rupp zu Europas Säbelrasseln (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/euri0017.html

Georg Polikeit mit SB-Redakteur - Foto: © 2012 by Schattenblick

Georg Polikeit mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

8.‍ ‍Mai 2012