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AGRAR/1354: Politik reagiert auf Milchbauern-Aufstand - aber anders, als notwendig (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Politik reagiert - aber bisher anders, als notwendig

Milchbauern-Aufstand erreicht Regierungschefs.
Aber Minister und EU-Kommission halten an Intervention und Exportdumping fest

Von Ulrich Jasper


Als erster Regierungschef sprach Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann mit den Milchbauern. Vor laufenden Kameras versprach er ihnen Unterstützung, auch auf europäischer Ebene (17.09.2009). Da der Verfall der Preise für die Bauern tatsächlich existenzgefährdend sei, werde er die Vorschläge der österreichischen EMB-Organisation IG Milch mit Vertretern der Landwirtschaft und in der Regierung besprechen, sagte Faymann laut Sender ORF, Ziel müsse sein, die Milchmenge durch ein Aussetzen der Saldierung zu reduzieren und eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel einzuführen, berichtete Faymann selbst aus dem Gespräch.

Nach Österreich war Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker so weit (18.09.2009). Er empfing die Kollegen vom Luxemburger Milch Board LDB), nachdem auch sie begonnen hatten, Milch mit Güllefässern einzusammeln und auszubringen. Auch Juncker sagte Unterstützung zu. Der Milchmarkt dürfe nicht ganz liberalisiert werden, sondern müsse regionale Gegebenheiten berücksichtigen. Einen Tag später (19.09.2009) empfing Frankreichs Minister Bruno Le Maire die beiden bauernverbandsfernen Milchbauernverbände, die den französischen Milchstreik koordinieren (APLI und OPL), ohne den Bauernverband. Es sei ein ordentliches Gespräch gewesen, hieß es hinterher. Kurz darauf schaltete sich auch der französische Präsident Nicolas Sarkozy über die Medien in die Milchdebatte ein und versprach Unterstützung.

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonierte bekanntlich am 24. September mit dem Vorsitzenden des BDM (Bundesverband Deutscher Milchviehhalter), um ihn - gemeinsam mit DBV-Präsident Gerd Sonnleitner - zu einem Gespräch nach der Bundestagswahl einzuladen (voraussichtlich am 2.10.). Nicht zuletzt traf der Vorstand des EMB (European Milk Board) mit Mitarbeitern von Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso zusammen.


Sondertreffen

Ein Ergebnis all dieser vielen "Unterstützer" ist, dass ein Sondertreffen der EU-Agrarminister zur EU-Milchpolitik für den 5. Oktober in Brüssel einberufen wurde. Dieses informelle Treffen, das keine formellen Beschlüsse fassen kann, ist dem regulären Agrarrat vom 18./19. Oktober vorgeschaltet worden. Es werden mehrere Hundert Milchbauern mit ihren Schleppern vor dem Tagungshaus erwartet, um, wenn schon keine formellen Beschlüsse, dann mindestens konkrete Zusagen einzufordern.

Für das Treffen am 5. Oktober gehen Beobachter davon aus, dass die Kommission trotz aller bisherigen Proteste nur wiederholen will, was sie schon Mitte September (17.09.) im Europäischen Parlament an Vorschlägen vorgelegt hatte. In ihrer Mitteilung spricht die Kommission zwar von der Notwendigkeit, "Angebot und Nachfrage auf dem Markt besser aufeinander abzustimmen". Aber der einzige Vorschlag, der eine Senkung des Angebots beinhaltet, zielt darauf ab, dass die einzelnen Mitgliedstaaten Programme zum Herauskauf von Milchquoten auflegen. Die herausgekauften Quoten sollen dann in die nationale Reserve eingestellt und aus der nationalen Saldierung von Über- und Unterlieferungen herausgehalten werden können.

Die AbL-Vorsitzende Heubuch kommentierte: "Ihren positiven Vorschlag, den Nationalstaaten mehr Spielraum bei der Saldierung zu geben, hat die Kommission damit gleich wieder vergiftet. Denn wenn sie nur solche Quoten aus der nationalen Saldierung ausnehmen will, die vorher vom Staat aufgekauft wurden, würde der größte Teil der Überlieferungen weiterhin nicht von der Strafabgabe erfasst. Die Spekulation einiger weniger Betriebe, die ihre Quote erheblich überliefern, würde weitergehen, denn diese könnten weiterhin munter darauf wetten, dass viele andere ihre Quote nicht voll beliefern, weil sie sich am Überschuss-Abbau aktiv beteiligen." Notwendig sei daher die Abschaffung der Saldierung. Die Kommission kündigte ferner an, "Arbeitsgruppen von Sachverständigen aus den Mitgliedstaaten und der Kommission" einzurichten. Sie sollen u.a. einen Vorschlag erarbeiten für einen Rechtsrahmen für die vertraglichen Beziehungen zwischen Erzeugern und Milchwirtschaft, "um Angebot und Nachfrage auf dem Markt besser aufeinander abzustimmen und zugleich einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten". "Auch dieser Vorschlag sei bislang gegen die Bauern gerichtet, so der AbL-Vorsitzende Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf. "Was fehlt, das ist ein europäischer Rechtsrahmen, der den Bauern erlaubt, sich mit ihrer Milch zusammenzuschließen. Das aber greift die Kommission nicht auf. Sie will die Milchbauern noch stärker an die Molkereien binden und hat dabei im Sinn, die staatliche Quote in eine Molkereiquote zu überführen", warnt der AbL-Vorsitzende.


Intervention

Eine wachsende Zahl von europäischen Ministern hält die Vorschläge der EU-Kommission für unzureichend. Aber sie versammeln sich noch immer nicht hinter der Forderung, die Milchmenge bzw. die Quoten endlich an den gesunkenen Bedarf anzupassen. Vielmehr ist ihre Kernforderung, noch mehr Geld aus dem EU-Haushalt bereitzustellen für den staatlichen Aufkauf samt Lagerhaltung (Intervention) und für Exportsubventionen. Das deckt sich mit den Kernforderungen von Bauernverband und Milchindustrie.

Eine zeitliche Verlängerung der Intervention bis ins nächste Jahr hinein ist auf Vorschlag der Kommission bereits beschlossen. Jetzt fordern die Minister, die staatlich festgelegten Preise für die Interventionsaufkäufe an Butter und Milchpulver anzuheben. Schon für die bisherigen Maßnahmen der Intervention und Exportsubventionen im Milchbereich sind seit Oktober 2008 aus dem EU-Haushalt 1,3 Milliarden Euro bereitgestellt worden. Umgerechnet in Milch liegen an staatlich geförderter Lagerhaltung (inkl. Private Lagerhaltung) derzeit 5 Prozent einer EU-Jahresmilcherzeugung im Lager. Beim Magermilchpulver allein ist es mit über 250.000 Tonnen schon ein Viertel der EU-Jahresproduktion an Pulver.


Bewegung im Markt

Mit 500 Millionen Litern Milch beziffert das EMB die Milchmenge, die durch die vielfältigen Aktivitäten der Milcherzeuger seit dem 10. September in Europa nicht die Molkereien erreicht hat. Das hat am Milchmarkt bereits für Bewegung gesorgt, in Frankreich erreichte der Preis für Milch am Spotmarkt wieder 40 Cent/kg, in Österreich über 35 Cent/kg.

"Die Bauern haben in Selbsthilfe den Abbau der preisdrückenden Überschüsse eingeleitet. Die Minister sind nun in der Pflicht, diese positive Wirkung abzusichern. Dazu muss die Saldierung sofort ganz abgeschafft werden", fordert der AbL-Vorsitzende. "Sonst droht die Selbsthilfe der aktiven Bauern wiederum durch eine neuerliche Überproduktion unterlaufen zu werden."


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009, S. 16
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009