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AGRAR/1357: Das neue Europaparlament legt los (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03 / 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Das neue Europaparlament legt los - Es gibt viel zu tun

Von Sabine Ohm, Europareferentin


Anfang September startete das neu gewählte Europäische Parlament (EP) in die Sitzungsperiode. 99 der 736 Abgeordneten (MdEP) kommen aus Deutschland. Bei den Wahlen gewann die größte politische Gruppierung der EU, die konservative Europäische Volkspartei (EVP), weiter an Einfluss. Ihr gehören auch die deutschen CDU/CSU-Mitglieder im EP an.

Im Agrarausschuss, der für viele Nutztierschutzthemen zuständig ist, sitzen sechs Deutsche, darunter die engagierte Tierschützerin Elisabeth Jeggle (CDU). Sie ist aktiv in der "Intergroup for Animals", wo Europaabgeordnete und Tierschutzorganisationen zusammen kommen, und bleibt für PROVIEH eine wichtige Ansprechpartnerin. Mit dem Sprecher der Grünen im Agrarausschuss, Martin Häusling, stimmt PROVIEH z. B. in der Ablehnung gentechnisch veränderter Futtermittel und im Protest gegen Patente auf Lebewesen überein. Albert Deß, Sprecher der konservativen EVP im Agrarausschuss, will - wie viele andere MdEP - europäische Tierschutz- und Umweltstandards gegen Billigimporte verteidigen. Bei Rindfleisch aus Brasilien stellten EU-Inspektoren wiederholt Mängel fest: in 2009 Verstöße bei 50 % der kontrollierten Betriebe, z.B. gegen die für die Rückverfolgbarkeit des Fleisches wichtige Kennzeichnungspflicht von Tieren mit Ohrmarken. Der Kommissionsbericht aber bezeichnet dies als vernachlässigbar, statt eine strengere Einhaltung der Regelungen zu fordern.

Auch wichtig für PROVIEH ist der Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI). Vorsitzender ist Jo Leinen (SPD). Zu den Ausschussthemen gehören der Einsatz von Gentechnik in Lebensmitteln, der Verbraucherschutz und Etikettierungen wie z.B. eine Tierschutzkennzeichnung.


Krise in der Milch- und Viehwirtschaft

Die Milchkrise bleibt ein Kernthema im EU-Agrarausschuss. Die Erzeugerpreise für Milch fielen 2009 auf einen historischen Tiefststand, die Verbraucherpreise jedoch nicht - ein Reibach für Molkereien und Handel, aber bitter für Verbraucher und Bauern. Die Industrie war zu Hochpreiszeiten vor zwei Jahren vermehrt auf Ersatzstoffe wie Analogkäse in Pizzen und pflanzliche Fette statt Milch im Speiseeis umgestiegen. Zugleich stiegen die Energie- und Futtermittelkosten, so dass zehntausende Milchbauern vor dem Aus stehen. Effektive Maßnahmen zur Sicherung des Fortbestandes von Höfen und gerechtere Einkommen für die Milchbauern fehlen und werden von vielen MdEPs gefordert.

Entgegen aller Kritik wollen die Agrarkommissarin Fischer-Boel und der amtierende EU-Ratspräsident Erlandson (Landwirtschaftminister in Schweden) die Milchquote bis 2015 ganz abschaffen. Dann könnten industrielle Großbetriebe nach Belieben den Markt mit Milch aus Massentierhaltung überschwemmen. Milchbauern, die in kleinen Familienbetrieben oder wegen besonders artgerechter Haltung nicht zu Dumpingpreisen produzieren können, würden gnadenlos in den Ruin getrieben. Die anhaltenden Proteste europäischer Milchbauern und die Ankündigung weiterer Streiks lassen einen heißen Herbst erwarten.

PROVIEH sieht einen Ausweg aus der Krise darin, die EU-Agrarsubventionen für industrielle Großbetriebe, bei denen Milchkühe ohne Weidegang nur mit Kraftfutter ernährt werden, abzuschaffen. Diese "Milchfabriken" sind tierquälerisch, erzeugen zu viel Gülle, fördern den Klimawandel und sichern nicht einmal Arbeitsplätze oder gesunde Strukturen im ländlichen Raum.

Fischer-Boel jedoch schiebt die Krise auf den weltweiten Nachfragerückgang. Dabei hatte sie noch im Januar 2008 von großartigen Exportchancen in Asien geschwärmt. Dass viele Asiaten wegen einer Laktose-Intoleranz gar keine Milcherzeugnisse vertragen, wurde schlicht ignoriert. Instrumente aus der Mottenkiste wie Exportsubventionen und Interventionskäufe von Butter und Milchpulver mit anschließender Einlagerung wurden wieder eingeführt (bis März 2010). Das schafft nur neue Kosten und Probleme: Die neuen Exportsubventionen belasteten die EU-Steuerzahler schon mit über 600 Mio. Euro. Und Kleinbauern in armen Ländern weltweit können mit den subventionierten Dumpingpreisen für EU-Milchprodukte nicht mithalten. Sie werden zu Zigtausenden ins Elend gestürzt. Und wenn die Lagerbestände aus Interventionskäufen wieder abgebaut werden, überschwemmt dies die Märkte erneut.

Nun lässt Frau Fischer-Boel bis Jahresende die enormen Preisspannen zwischen Erzeugern, Molkereien, Supermarktketten und Verbrauchern untersuchen. Es wäre zu hoffen, dass sich danach die unfairen Oligopolstrukturen in der Branche aufbrechen lassen. Das wäre auch gut für alle Bauern, die ihre Milchkühe artgerecht halten wollen und damit ganz besonders auf faire Milchpreise angewiesen sind.


Tierschutzetikettierung und Tiertransporte

Ein bedeutendes EU-Projekt zur Erarbeitung von objektiv messbaren Tierschutzstandards ("Welfare Quality") wurde kürzlich abgeschlossen. Es wird unter der schwedischen Ratspräsidentschaft im Oktober 2009 in Uppsala vorgestellt. PROVIEH wird dabei sein, wenn diese neue, wichtige Grundlage für künftig bessere Verbraucherinformation durch Tierschutzkennzeichnung vor einer Versammlung von Experten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Verbänden erläutert wird. Hierzu passend wird die EU-Kommission dem Europaparlament bald eine Mitteilung zur Tierschutzkennzeichnung überstellen, die dann als weitere Arbeitsbasis dienen wird.

Für die lange geplante Überarbeitung der Tiertransportrichtlinie liegt leider noch immer kein offizieller Entwurf der Kommission vor. Alle bisherigen Vorlagen wurden innerhalb der Kommissionsdienste zu kontrovers aufgenommen. Die Niederländer drängten nun im Rat auf eine Verbesserung der Satellitenüberwachung von Tiertransporten, um sie effizienter kontrollieren zu können. PROVIEH unterstützt dieses, sieht es aber nicht als Ersatz für die überfällige Novellierung der Richtlinie.


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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03/2009, Seite 44-46
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2009