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AGRAR/1381: Was passiert mit dem EU-Agrarhaushalt (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 332 - April 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Was passiert mit dem EU-Agrarhaushalt
2013 steht eine neue Agrarreform an.
Wird die Vergabe der Gelder qualifiziert oder bleibt alles beim Alten?

Von Marcus Nürnberger


Der Status quo lässt sich weder " verteidigen, noch aufrechterhalten. ... Wir haben mit unserer Politik nicht zu verhindern gewusst, dass die Landwirte in Scharen ihre Tätigkeit aufgeben. Eine weitere Fehlentwicklung ist die Tatsache, dass 80 Prozent der Mittel an nur 20 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe fließen." Eine ganz neue Erkenntnis könnte man meinen. Allerdings stammt diese Feststellung schon aus dem Jahr 1991, vom damaligen EU-Agrarkommissar Mc Sharry. Bis zu diesem Zeitpunkt war die EU-Agrarpolitik insbesondere von Preisstützungsmaßnahmen, sichergestellt durch staatliche Interventionsmaßnahmen, Importzölle und Exporterstattungen geprägt. Über den Schritt produktionsbezogener Direktzahlungen (Reform 1992) kam man zu der heutigen Förderkulisse: entkoppelte Direktzahlungen in Kombination mit Cross-Compliance-Vorschriften. Die Verhandlungen zur Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik ab 2013 beginnen gerade erst. Das Interesse an der Verteilung der Mittel beschränkt sich aber schon lange nicht mehr allein auf die Landwirte. Bei einem europäischen Agrarhaushalt von rund 50 Mrd. Euro entstehen Begehrlichkeiten auch in außerlandwirtschaftlichen Bereichen. Gegenüber den EU-Bürgern muss die Verwendung der Steuergelder plausibel zu erklären sein, wenn sie weiterhin der Landwirtschaft zur Verfügung stehen sollen.


Weiter wie bisher

Derzeit formulieren Ministerien, Verbände und Organisationen ihre Vorstellungen und Wünsche an eine zukünftige EU-Agrarpolitik. Neben dem Deutschen Bauernverband signalisiert auch das Bundeslandwirtschaftsministerium allenfalls geringen Änderungsbedarf der bisherigen Förderpraxis. "Das Europäische Landwirtschaftsmodell hat sich bewährt, denn es verbindet die wettbewerbsfähige Erzeugung von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen mit Leistungen der Landwirtschaft für die Allgemeinheit. Daher sollte der (...) eingeschlagene Weg fortgesetzt werden." Der eingeschlagene Weg, das ist die Sicherung der Direktzahlungen aus der ersten Säule ohne eine weitere Qualifizierung. Der Bauernverband fordert einen "Direktausgleich für die gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft bzw. für die höheren EU-Standards im Vergleich zum Weltmarkt", eine Vereinfachung der Cross Compliance und eine Abschaffung der Modulation, um "einen fortgesetzten Verteilungsstreit zwischen der ersten und zweiten Säule der Agrarpolitik zu beenden..." Er spricht sich damit, wie auch das Bundeslandwirtschaftsministerium, für eine Sicherung "pauschaler" Direktzahlungen aus, ohne dass die als Begründung angeführten "gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft" näher spezifiziert werden.


Strukturwandel beschleunigen

Andere Stimmen plädieren für einen Abbau der ersten Säule. Prof. Dr. P. Michael Schmitz von der Universität Göttingen beispielsweise sieht die Zukunft der Direktzahlungen so: "Prämie allenfalls als Sockelbetrag für die Offenhaltung der Landschaft und gezielte Prämien in der 2. Säule." Konkret könnte dies bedeuten, dass ca. 39 Mio Euro in Deutschland für Maßnahmen der zweiten Säule zur Verfügung stünden. Unklar bleibt, welchem Verwendungszweck die Mittel in der zweiten Säule zugeführt werden sollen. Eine Stützung der Investitionsförderung, wie beispielsweise von Prof Folkard Isermeyer präferiert, würde bedeuten, dass 10 bis 15 Prozent der Betriebe ins industrielle Wachstum gehen. Eine Förderung durch die Übernahme der Investitionssumme von derzeit 40, bei Junglandwirten von 50 Prozent würde diesen Betrieben einen enormen Wettbewerbsvorteil verschaffen. "Diese bedeutet eine unglaubliche Förderung des Wachstums agrarindustrieller Betriebe und eine brutale Beschleunigung des Strukturwandels durch die verstärkte Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der bäuerlichen Landwirtschaft", stellt Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, fest. "Wir fordern eine degressive Kürzung der Mittel der ersten Säule bei gleichzeitiger Bindung an Arbeitskräfte", so der Bundesvorsitzende. Vor allem bäuerliche und ökologische Betriebe würden auf diese Weise profitieren.


Sozial ökologisch qualifizieren

Der fortgesetzten Ausrichtung auf weltweite Exportmärkte und einer weiteren Intensivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft stehen die Forderungen zahlreicher alternativer Verbände entgegen, die Zahlungen für gesellschaftliche Aufgaben an konkrete, nachprüfbare Klima-, Umwelt- und Sozialkriterien zu binden. Dieser Ansatz geht von einer Qualifizierung aller zu vergebenden Gelder aus, unabhängig davon, ob diese aus der ersten oder zweiten Säule stammen. Probleme, die durch die Qualifizierung beseitigt werden sollen, sind vor allem die Klimabelastung sowie der fortschreitende Verlust an biologischer Vielfalt. Die Ursachen, vor allem für den Verlust der biologischen Vielfalt, liegen unter anderem im Rückgang bäuerlicher, kleinräumiger Strukturen zugunsten industrialisierter Großbetriebe. Damit kommt dem Erhalt einer bäuerlichen Landwirtschaft besondere Bedeutung zu. Mögliche ökologische Vergabekriterien sind eine Mindestfruchtfolge, die Schaffung und der Erhalt Ökologischer Vorranggebiete (Hecken, Feldgehölze, Feldraine usw.), das Verbot eines Grünlandumbruchs in sensiblen Bereichen und ein Verzicht des Anbaus von gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Neben der rein auf den landwirtschaftlichen Betrieb ausgerichteten Förderung ist der ländliche Raum als Lebens-, Wohn- und Arbeitsfeld von zentraler Bedeutung. Eine zukünftige Agrarförderung muss, wenn sie den landwirtschaftlichen Betrieb als Teil des Netzwerks ländlicher Raum begreift, auch hier weitere Anreize schaffen. Bisher ist dieser Ansatz in der Förderpolitik durch LEADER angelegt.


Verbraucher einbinden

Alle EU-Bürger sind Verbraucher und von daher doppelt an einer aus ihrer Sicht effektiven Landwirtschaft interessiert. Zum einen verlangen sie als Verbraucher eine gesicherte Versorgung mit gesunden Lebensmitteln. Als Steuerzahler erwarten sie darüber hinaus einen sichtbaren Mehrwert in Form einer nachhaltigen, die Kulturlandschaft bewahrenden Bewirtschaftung. Die Bedeutung regionaler Aspekte bei der Vermarktung könnte hilfreich sein. Die derzeitige Bewerbung vieler Produkte anhand netter Bilder von Kühen auf der Weide und Hühnern im Grünen, die die vielfach industriellen Produktionsbedingungen nicht wiedergeben, machen es dem Verbraucher allerdings schwer, die Qualitäten des Produkts zu erkennen. Die Förderung der Vermarktung von Lokal-, Regional-, Spezialitäts- und Qualitätsprodukten könnte hier einen Beitrag leisten.


Altlasten beseitigen

Die EU-Agrarpolitik muss für ganz Europa einen einheitlichen Rahmen vorgeben. Aus unterschiedlichen, zumeist politisch motivierten Gründen ist dies nicht immer der Fall. Weitreichende Konsequenzen beispielsweise hat die notwendige Kofinanzierung, d.h. EU und Mitgliedsstaat teilen sich die Finanzierung im Bereich der ländlichen Entwicklung. Die finanzielle Einbindung der einzelnen EU-Staaten führt dazu, dass deren Motivation an der Umsetzung solcher qualifizierter Förderangebote gering bleibt. Demgegenüber werden die Direktzahlungen und die Ausgaben im Bereich der Marktordnungen (heutige erste Säule der EU-Agrarpolitik) zu 100 Prozent von der EU übernommen. Eine obligatorische Kofinanzierung auch dieser Zahlungen aus der ersten Säule kann dies Ungleichgewicht mindern.

Auch die Höhe der Direktzahlungen unterscheidet sich zwischen den einzelnen Mitgliedsländern erheblich und reicht von 341 Euro pro ha in Dänemark bis zu 23 Euro pro ha in Lettland. Sicher wird es bezüglich einer Änderung des Verteilungsschlüssels 2013 zu kontroversen Diskussionen kommen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 332 - April 2010, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2010