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AGRAR/1389: Die Diskussionen um die EU-Agrarreform beginnen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 333 - Mai 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Wird 2013 alles anders?
Die Diskussionen um die EU-Agrarreform beginnen

Von Marcus Nürnberger


Die europäische Agrarförderung hat eine lange Geschichte, die mit den ersten Schritten hin zur Europäischen Union begann. Die Art und Weise dieser finanziellen Förderung der Landwirtschaft stand bei jeder Reform in Europa im Mittelpunkt der agrarpolitischen Auseinandersetzung. Für das Jahr 2013 steht erneut eine derartige Reform an. Schon längere Zeit ist den Beteiligten klar, dass die Agrarzahlungen der europäischen Union immer stärker wachsenden Begehrlichkeiten anderer politischer Bereiche ausgesetzt sind. Aber auch pauschalen Subventionszahlungen an Landwirte werden von der steuerzahlenden Bevölkerung zunehmend kritisch hinterfragt.

Werden die ungestaffelten Direktzahlungen, also die Hektarprämien der ersten Säule so weiter aufrecht erhalten werden können? Welche auch finanzielle Bedeutung gewinnt die zweite Säule? Wie kann der Verwaltungsaufwand für Gross Compliance reduziert werden? Welcher Stellenwert wird der bäuerlichen Landwirtschaft zugedacht? Dies sind nur einige der Fragen der gerade beginnenden Diskussion um die zukünftige Verwendung des EU-Agrarhaushaltes.


Diskussion eröffnet

Dr. Dacian Ciolo, neuer Agrarkommissar, wünscht sich eine breite gesellschaftliche Diskussion, um die Glaubwürdigkeit der Agrarpolitik bei der Bevölkerung zu stärken. Er selbst geht davon aus, dass die bisherigen Betriebsprämien neu berechnet werden müssen, weil ihnen das Produktionsniveau von 2000 bis 2002 zugrunde liegt. In diesem Zusammenhang steht auch die mögliche Einführung einer degressiven Obergrenze für Großbetriebe. Diesbezüglich kündigte Ciolos einen Vorschlag der Kommission an.

Obwohl der Agrarkommissar konkrete Einzelmaßnahmen erst im kommenden Jahr diskutieren will, setzte er einzelne Schwerpunkte. So sprach sich der Rumäne gegen eine vom Umweltkommissar angeregte Schaffung einer "Gemeinsamen Agrar- und Umweltpolitik" aus. Allerdings soll der "grüne Teil" der Agrarpolitik sichtbarer werden. Gelder, die für Umweltleistungen gezahlt würden, sollten nicht als Ausgleichszahlungen verstanden werden, sondern seien eine Entlohnung für eine Leistung, die über die eigentliche Produktion hinaus gehe.

Der liberale Europaabgeordnete George Lyon plädiert für einen Ausgleich bei der Verteilung der Direktbeihilfen. Eine alleinige Berechnung über die Fläche sei allerdings ungenügend. Vielmehr bedürfe es der Einführung objektiver Kriterien, wie zum Beispiel eines Kaufkraftkoeffizienten, mit dem die Zahlungen der Kaufkraft und der Kostenstruktur der einzelnen Länder angepasst werden könnte.

Als Bereiche, in denen Zahlungen erfolgen können, schlägt Lyon fünf Blöcke vor. Kernbeihilfen, Klimaschutzzuschläge und Marktmaßnahmen sollen vollständig aus dem EU-Haushalt finanziert werden. Mittel für benachteiligte Gebiete, weitergehende Agrarumweltmaßnahmen und grüne Investitionen sollten einer Kofinanzierung durch die Mitgliedsländer unterliegen.


SPD für Neuorientierung

Für eine Abkehr vom derzeitigen System der pauschalen Direktzahlungen setzt sich der agrarpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Dr. Wilhelm Priesmeier ein. Gemeinsam mit seinem Länderkollegen Dr. Till Backhaus plädiert er für eine Qualifizierung aller staatlicher Transferzahlungen. Als Rahmen für die Qualifizierung soll ein dreistufiges Modell dienen. Die erste Stufe umfasst einen Sockelbetrag, der einer zukünftigen Abschmelzung unterliegt. In der zweiten Stufe, die wie die erste vollständig aus dem EU-Haushalt finanziert werden soll, sind Zahlungen anhand eines noch zu erstellenden Leistungskatalogs zusammengefasst, der die Bereiche Klimaschutz, Biodiversität und Gewässerschutz abdecken soll. Auch die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete soll den Vorstellungen zu Folge darin enthalten sein. In einer dritten Stufe, die wie die beiden anderen aus Geldern der ersten Säule finanziert werden soll, sind Zahlungen für Leistungen mit regionalen Ansätzen einer integrierten ländlichen Entwicklung zusammengefasst. Eine detaillierte Ausformung der Zahlungen steht noch bevor. Auch die Rolle der zweiten Säule bleibt undifferenziert. Eine pauschalierte Investitionsförderung, wie sie bisher z.B. bei Stallneubauten gewährt wird, könne es nicht mehr geben.


Top down

Eine Abkehr vom bisherigen Auszahlungsmodell stellt auch der grüne Europaabgeordnete Martin Häussling seinen Überlegungen voran. Die Mittelvergabe soll sich an einer Premiumvorgabe "Ökologischer Landbau" orientieren. "Wir müssen einen Umweltstandard definieren, der sich an den Maßstäben des ökologischen Landbaus orientiert", so Häussling im Interview mit der Frankfurter Rundschau. 100 Prozent erhalten die Betriebe, die allen ökologisch-gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden. Wer nicht ökologisch wirtschaftet, aber tiergerechte Ställe hat, bekommt etwas weniger. Dabei geht es nicht um ein Malussystem. Dennoch ginge der Betrieb, der lediglich bestehende gesetzliche Normen einhält und keine Zusatzleistungen erbringt, langfristig leer aus. Betriebe mit einer vielfältigen Fruchtfolge, mit seltenen Nutztierrassen, mit vielen Landschaftselementen, mit kurzen Wegen bei der Vermarktung hingegen bekommen Anreize für ihre nachhaltige Produktion und somit nach Vorstellungen des grünen Europaparlamentariers die meiste Förderung.


Alles beim Alten

In Bayern, so Horst Seehofer, will man sich weiterhin für eine Beibehaltung der Mittel für die Direktzahlungen und die Förderung der ländlichen Regionen in der bisherigen Höhe einsetzen. Damit schlägt er den gleichen Kurs ein wie die aus Bayern stammende Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner, die derzeit in den Ländern für ihre Position wirbt. Unterstützung bekam sie vom ehemaligen niedersächsischen Landwirtschaftsminister Heinrich Ehlen, der der Bundespolitikerin bei einem Treffen mit der CDU-Landtagsfraktion in Hannover ein "Auf uns ist Verlass!" mit auf den Weg gab. Auch der Bauernverband möchte nicht am bisherigen Verteilungsschlüssel rühren. Allerdings steigt der Druck auf das reformunwillige Lager, da die Forderungen nach einer prinzipiellen Qualifizierung der Zahlungen immer lauter werden. Unterstützung kommt von Seiten der FDP. Diese plädiert zwar für eine Abschaffung der Exportsubventionen und Lagerbeihilfen, die sie als "untaugliche Instrumente der alten und verfehlten EU-Agrarpolitik" bezeichnet, möchte aber dennoch am Zwei-Säulenmodell mit klarem Vorrang für die erste Säule festhalten.


Lager formieren sich

Nur langsam werden die Positionen der einzelnen Lager, Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich. Viele der aktuellen Vorstellungen bleiben noch vage, sind nicht durchgerechnet und auf Praktikabilität geprüft, wie die Beteiligten selbst eingestehen. Dacian Ciolos, als EU-Agrarkommissar, versucht, ein möglichst breites Meinungsbild einzuholen. Auch aus diesem Grund will er seine eigenen Ideen vorerst zurückhalten, gibt aber einen konkreten Zeitplan vor. Mitte Juli wird es eine große Konferenz mit den unterschiedlichen Interessenvertretern geben, um die Diskussionen zusammenzufassen. Konkrete Ideen der Kommission sollen Anfang November folgen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 333 - Mai 2010, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2010