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AGRAR/1421: ARC - Ein europäisches Bündnis für eine tiefgreifende Agrarreform (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 338 - November 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Agricultural & Rural Convention 2020
ARC: Ein europäisches Bündnis für eine tiefgreifende Agrarreform

Von Hannes Lorenzen


Eine neue Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU steht ins Haus. Bis Ende 2012 werden EU-Kommission, Agrarrat und EU-Parlament über mögliche neue Ausrichtungen, Instrumente und Finanzierung der GAP beraten. In dieser Zeit wird von vielen Seiten Einfluss genommen auf die Ausrichtung der Agrarpolitik nach 2013. Der Konvent für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (Agricultural & Rural Convention) will das auch.


Europäischer Zusammenschluss

ARC2020 ist eine Initiative von europäischen Netzwerken und Bündnissen, die seit April 2010 Vorschläge der europäischen Zivilgesellschaft für die Reform der Agrarpolitik zusammentragen und auf einem Internetportal zur Diskussion stellen. Statt auf die Veröffentlichung der Reformvorschläge der EU-Kommission zu warten und dann vielstimmig und unkoordiniert darauf zu reagieren, wurde ein gemeinsamer Reformvorschlag erarbeitet. Zwei Wochen vor der Veröffentlichung der generellen Reformvorschläge der Kommission, der so genannten "Mitteilung zur Gemeinsamen Agrarpolitik 2020", wird nun eine "Gemeinsame Erklärung der Zivilgesellschaft" an die europäischen Institutionen zur Zukunft der Landwirtschaft und der ländlichen Regionen vorgelegt. Die endgültige Erklärung mit detaillierten Reformvorschlägen wird am 4. und 5. November in Brüssel im Ausschuss der Regionen unter allen Beteiligten verhandelt und am 16. November der Öffentlichkeit vorgestellt.


Viele Gruppen, eine Stimme

Die gemeinsame Erklärung wurde aus Stellungnahmen und Reformvorschlägen nationaler und regionaler Nichtregierungsorganisationen erarbeitet. Auf nationaler Ebene sind in vielen Mitgliedsstaaten schon Bündnisse entstanden, die wie das deutsche Agrarbündnis und das französische PAC 2010 Verbände aus Umwelt-, Naturschutz, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Tierschutz bereits unter einen Hut gebracht haben. Diese Zusammenschlüsse haben bereits klare Forderungen an ihre Regierungen und die EU-Institutionen formuliert (die Bauernstimme berichtete). Aber sie werden bisher nur in ihren nationalen Zusammenhängen wahrgenommen und haben wenig Einfluss auf die Mehrheitsbildung auf europäischer Ebene.

Der Konvent versteht sich ausdrücklich als Ergänzung zur Initiative von Agrarkommissar Ciolos, mit der auf einem Internetportal der Kommission individuelle Vorschläge von Bürgern zusammengetragen wurden. Im ARC2020 Prozess konnten die Teilnehmer nicht nur ihre Vorschläge und Forderungen vorstellen, sondern in Arbeitsgruppen ihre Beiträge für die gemeinsame Erklärung untereinander diskutieren und abstimmen. Darüber hinaus fanden im Rahmen des Konvents in zahlreichen Mitglieds- und Beitrittsstaaten regionale und thematische Vorbereitungskonferenzen statt, die die besonderen Bedingungen und Forderungen aus Ost- und Westeuropa, unterschiedlichen Bewirtschaftungsformen und den beteiligten Interessengruppen zusammentrugen.


Bilaterale Gespräche

Das deutsche und französische Agrarbündnis trafen sich beispielsweise Mitte September in Aachen, um einen gemeinsamen Beitrag zur ARC Erklärung beizusteuern. Mit von der Partie waren der European Milk Board (EMB), der auch zu den Initiatoren des ARG Prozesses gehört, die AbL, der BUND, die Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Misereor, PAC2013 und Euronatur. Anfang September hatten sich in Ohrid, Macedonien, über 100 Vertreter von ländlichen Netzwerken und Bauernorganisationen aus ganz Südosteuropa zusammengefunden, um ihre Erwartungen an eine zukünftige GAP und entsprechende Vorbeitritts-Maßnahmen für die Kandidatenländer zum Ausdruck zu bringen. Auch in Spanien, Italien und Frankreich fanden zahlreiche Seminare und Vorbereitungskonferenzen statt.

Als erste Stellungnahme zu den großen Linien der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik und als Aufruf zur Mitarbeit an alle interessierten Organisationen in Europa veröffentlichte der Konvent ein "statement of principles". Dieses Statement wurde als Beitrag zur Abschlusskonferenz der Bürgerbefragung der EU Kommission am 19. und 20. Juli in Brüssel der Presse vorgestellt. Darin wurde eine radikale Abkehr vom industrialisierten Agrarmodell gefordert und eine klare Hinwendung zu einer nachhaltigen, vielfältigen, und auf regionale und lokale Versorgung ausgerichtete Landwirtschaft. "Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft" und "Wiederbelebung der ländlichen Regionen" waren die zentralen Forderungen. Das "statement of principles" legte die Grundforderungen für eine tiefgreifende Reform der Agrar- und der ländlichen Entwicklungspolitik fest. Unter "Notwendigkeiten (imperatives)", wurden im Hinblick auf den Welthunger, Klimawandel, Verlust von Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität, unfairen Handel und ungerechte Verteilung von Fördermitteln begründet, warum "business as usual" in der GAP der Zukunft unverantwortlich wäre. Unter den Stichworten Lebensmittelqualität und -sicherheit, Mehrwert für die Regionen, Marktdifferenzierung, "public goods", "renaissance" der ländlichen Regionen und besseres Gleichgewicht zwischen Politik und Förderfonds, wurde die gemeinsame Philosophie der Forderungen zusammengefasst.

Auf der Grundlage dieser Prinzipien begann dann die eigentliche Arbeit an den Reformvorschlägen. Seit der Sommerpause wurden zwei Entwürfe in den Arbeitsgruppen beraten und ins Internet gestellt, auf die zahlreiche Änderungsvorschläge eingereicht wurden. Eine Redaktionsgruppe der Initiativen des Konvents integrierte diese Vorschläge nach Rücksprache mit den Autoren nach und nach in den Text. Zu den Initiatoren des Konvents gehören unter anderen der European Milk Board, die EU Vertretung von IFOAM, Forum Synergies (ein europäisches Netzwerk für nachhaltige ländliche Entwicklung), die Groupe de Bruges (ein europäischer Think Tank von Akademikern und ehemaligen Agrarministern) und PREPARE, ein Netzwerk von ländlichen Entwicklungsinitiativen in Osteuropa.


Integrative Momente

Die Koordination der Arbeiten des Konvents läuft in der Europäischen Schule für Journalismus (IHECS) in Brüssel zusammen. Die Direktoren der Schule, in der rund 1.200 Studenten auf ihre Arbeit in Presse, Radio, Fernsehen und anderen Kommunikationsmedien ausgebildet werden, nutzen den Konvent als Projektarbeit für den journalistischen Nachwuchs. Dazu gehören die Arbeit am Internetauftritt, Videoclips, Interviews mit Vertretern des Konvents und die Vorbereitung von Pressematerial. Ein Interview mit dem Agrarkommissar zur Arbeit des ARC2020 ist auf der Internetseite zu sehen. Weitere Öffentlichkeitsarbeit und Debatten in Radio und Fernsehen sollen folgen.


Orientiert am Kommissionstiming

Am 20. Oktober veröffentlichte die Redaktionsgruppe des Konvents einen neuen Entwurf der Gemeinsamen Erklärung der Zivilgesellschaft an die EU Institutionen. Bis zum 26. Oktober können weitere Änderungsvorschläge eingereicht werden. Auf der Konferenz des Konvents am 4. und 5. November in Brüssel wird dann im Stil der Vereinten Nationen ein gemeinsamer Text im Konsensverfahren verhandelt. Alle Mitglieder des ARG, aber auch interessierte Beobachter können an dieser Konferenz teilnehmen. Nach Verabschiedung der Erklärung bemühen sich die Mitglieder und Unterstützer des Konvents um weitere Unterzeichner. Am 16. Oktober, einen Tag vor der Veröffentlichung der Kommunikation der Kommission an das Europäische Parlament und den Agrarministerrat wird dann die Erklärung den Vertretern der Europäischen Institutionen übergeben. Selbst eine gemeinsame Erklärung von Verbänden und Bündnissen von Bauern-, Verbraucher-, Umwelt-, Tierschutz-, ländlichen und entwicklungspolitischen Organisationen aus ganz Europa bleibt natürlich solange eine Sammlung von Analysen und Forderungen, solange sie nicht vor Ort in den Mitgliedsstaaten, bei wichtigen Ereignissen wie der Grünen Woche in Berlin und dem Salon de l'Agriculture in Paris offensiv vertreten werden. Der Konvent hat deshalb seine Arbeit im November auch noch nicht beendet. Erst wenn deutlich wird, dass die europäische Zivilgesellschaft mehr zu bieten hat als eine gemeinsame Erklärung, wenn sie ihre Regierungen, die Kommission und das Europäische Parlament zum Dialog herausfordern kann, statt auf die Arbeit der Institutionen nur vereinzelt und im Nachhinein zu reagieren, bekommt die Zivilbevölkerung ein europäisches Gewicht.

"Ein Einfluss der europäischen Zivilgesellschaft, der nicht mehr beiseite geschoben werden kann", das ist das Ziel und der Slogan von Arc2020. Ein Anfang ist gemacht. Jetzt kommt es darauf an, eine tiefgreifende Reform auch gemeinsam durchzusetzen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 338 - November 2010, S. 12-13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2011