Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → WIRTSCHAFT

AGRAR/1572: 250 Euro mehr für die ersten 20 Hektar möglich! (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 367 - Juni 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

250 Euro mehr für die ersten 20 Hektar möglich!
Deutschland kann die EU-Agrarreform nutzen, um bäuerliche Landwirtschaft zu stärken

von Ulrich Jasper



Die Verhandlungen auf EU-Ebene über die Reform der EU-Agrarpolitik nach 2013 sollen zwar erst Ende Juni abgeschlossen werden. Aber schon jetzt ist sicher, dass die Mitgliedstaaten der EU erheblichen Freiraum bekommen werden in der nationalen Umsetzung der europäischen Beschlüsse. Bei einigen Punkten der Reform wird in Brüssel bis zuletzt gestritten und gerungen werden, z.B. um die gestaffelte Kürzung von hohen Direktzahlungsbeträgen je Betrieb. Bei anderen Punkten ist dagegen schon jetzt ziemlich klar, was kommen wird. Das gilt z.B. für die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, bis zu 15 Prozent der, von der EU für den jeweiligen Mitgliedstaat zur Verfügung gestellten, Direktzahlungsmittel in die zweite Säule zu verlagern, also hin etwa zu Agrarumweltmaßnahmen, Ökolandbau, Tierschutzmaßnahmen oder Stallbauförderung, Beratung und ländlichen Wegebau. Auf die Einführung dieser Möglichkeit zur Umverteilung zwischen den zwei Säulen der Agrarpolitik hatten sich schon die Staats- und Regierungschefs der EU Anfang Februar 2013 geeinigt.


Aufschlag im Trilog

Eine zweite nationale Handlungsoption ist ebenfalls so gut wie sicher: Die Mitgliedstaaten können bis zu 30 Prozent der oben schon genannten nationalen Direktzahlungssumme nehmen und mit diesem Geld einen Zahlungsaufschlag für die ersten Hektar je Betrieb einführen. Dieses neue Instrument ist als nationale Option sowohl im Verhandlungsmandat des EU-Parlaments als auch in dem des EU-Agrarministerrates (jeweils vom März 2013) enthalten, und die EU-Kommission hat sich auch bereits dafür ausgesprochen. Es wird also kommen. Noch nicht abschließend geklärt sind Details, z.B. für wie viele "erste" Hektar je Betrieb ein solcher Zahlungsaufschlag gezahlt werden kann. Das Parlament sagt "bis zu 50 ha", der Agrarrat bis zu 30 ha oder bis zur durchschnittlichen Betriebsgröße im Land. (Die AbL-Mitgliederversammlung hat gerade u.a. die Forderung beschlossen, den Aufschlag in Deutschland für die ersten 20 ha je Betrieb einzuführen.) Außerdem wollen die Agrarminister die Höhe des Aufschlags begrenzen: Er soll 65 Prozent der nationalen oder regionalen Durchschnittszahlung je Hektar nicht übersteigen dürfen. Bei 310 Euro je Hektar im Durchschnitt, die in Deutschland für das Jahr 2014 etwa zu erwarten sind, würde das einen Aufschlag von bis zu 201 Euro je Hektar ermöglichen. Das zeigt schon, welches Potenzial in dem neuen Instrument steckt. Wenn der Rat sich mit dieser Beschränkung im Trilog mit Parlament und Kommission nicht durchsetzt, ist sogar noch mehr drin für die ersten Hektar. Im Folgenden sollen die sich daraus ergebenden Möglichkeiten aufgezeigt werden.


Potenzial in Deutschland

Nach Vorschlag der EU-Kommission werden Deutschland für das (EU-Haushalts-) Jahr 2014 insgesamt knapp 5,18 Mrd. Euro für Direktzahlungen zur Verfügung stehen (siehe Tabelle). Bis zu 30 Prozent davon kann Deutschland für den Zahlungsaufschlag für die ersten Hektar einsetzen, also maximal gut 1,55 Mrd. Euro.


Tabelle:
Wie viel Geld für den Aufschlag?



Wie viel Geld für den Aufschlag?                      
EU-Topf für Direktzahlungen in DE 2014      
Max. Summe für Aufschlag (30 %)      

5,18 Mrd. €
1,55 Mrd. €

Aufschlag für die ersten 20 ha                        
Landw. Nutzfläche (LF) in DE ges.
LF der Betriebe mit max. 20 ha LF
erste 20 ha der größeren Betriebe
erste 20 ha zusammen in DE
Max. Aufschlag für die ersten 20 ha/Betrieb
Verringerung der restlichen Zahlungen je ha
Effektive ERhöhung für die ersten 20 ha
Effektive Erhöhung in Prozent

16,70 Mio. ha
1,34 Mio. ha
3,23 Mio. ha
4,97 Mio. ha
340 €/ha
93 €/ha
247 €/ha
80 %

Aufschlag für die ersten 50 ha                        
LF der Betriebe mit max. 50 ha LF
erste 50 ha der größeren Betriebe
erste 50 ha zusammen in DE
Max. Aufschlag für die ersten 50 ha/Betrieb
Verringerung der restlichen Zahlungen je ha
Effektive ERhöhung für die ersten 50 ha
Effektive Erhöhung in Prozent
3,88 Mio. ha
4,26 Mio. ha
8,14 Mio. ha
191 €/ha
93 €/ha
98 €/ha
32 %


Wenn Bund und Länder sich entscheiden, diese Summe für einen bundeseinheitlichen Aufschlag für die ersten 20 ha einzusetzen" ergibt sich folgende Rechnung (in der Tabelle analog durchgerechnet für die ersten 50 ha): Insgesamt beträgt die landwirtschaftliche Nutzfläche in Deutschland 16,7 Mio. ha. Nach der Agrarstrukturerhebung 2010 bewirtschaften 46 Prozent aller Betriebe jeweils höchstens 20 ha Nutzfläche, zusammen kommen sie auf 1,34 Mio. ha (acht Prozent der Nutzfläche in Deutschland). Die größeren Betriebe haben natürlich auch "erste" 20 ha, und zwar zusammen 3,23 Mio. ha. Die "ersten 20 ha" aller Betriebe umfassen somit 4,57 Mio. ha, also gut ein Viertel der gesamten Nutzfläche in Deutschland.


Bis zu 80 Prozent mehr

Werden nun die maximal möglichen 30 Prozent der Direktzahlungsmittel eingesetzt, ergibt sich ein Aufschlag für die ersten 20 ha von 340 Euro je Hektar. Die effektive Erhöhung der Direktzahlungen je Hektar für den Betrieb liegt allerdings niedriger: bei 247 je ha, denn durch den Einsatz von 30 Prozent der gesamten deutschen Direktzahlungsmittel für den Zahlungsaufschlag verringern sich die "restlichen" Direktzahlungen für jeden Hektar im Bundesdurchschnitt um 93 Euro, auch für jeden der ersten 20 ha. Die effektive Erhöhung um die knapp 250 Euro für die ersten 20 ha entspricht einem Zugewinn von stolzen 80 Prozent im Vergleich zum Bundesdurchschnitt bzw. zu der Situation, wenn Deutschland keine Aufschlagsregelung einführen würde.


Wer verliert?

Für diejenigen prämienberechtigten Flächen, die ein Betrieb über 20 ha hinaus hat, verringert sich die Prämie um die besagten 93 Euro je ha bzw. 30 Prozent. Je mehr Hektar ein Betrieb über 20 ha hinaus hat, umso mehr fällt dieser Prämienverlust für diese Flächen für den Gesamtbetrieb ins Gewicht. Der Scheitelpunkt, wo der Zugewinn aus dem Aufschlag für die ersten 20 ha des Betriebes durch die verringerte Zahlung aus den weiteren Hektaren aufgezehrt wird, liegt bei 73 ha (in der Variante "Aufschlag für die ersten 50 ha" bei 103 ha). Nach den Daten der Agrarstrukturerhebung 2010 würden somit bei einem 20-ha-Aufschlag rund 80 Prozent aller Betriebe in Deutschland gewinnen, 20 Prozent würden verlieren.

Ein 1.000-ha-Betrieb bekommt zwar auch für 20 ha den vollen Aufschlag, das fällt aber angesichts des Verlustes für seine "restliche" Fläche kaum noch ins Gewicht, so dass er bezogen auf den Gesamtbetrieb 28 Prozent verliert im Vergleich zu einer Nichteinführung des Aufschlags in Deutschland.

Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt: Setzt sich der Agrarministerrat mit seiner Forderung durch, den Aufschlag - wie eingangs beschrieben - auf höchstens 201 Euro je ha zu begrenzen, dann würden für einen so begrenzten 20 ha-Aufschlag in Deutschland insgesamt gut 900 Millionen Euro gebraucht, was nur 18 Prozent der nationalen Direktzahlungssumme ausmachen würde und zu einem entsprechend niedrigeren Minus bei den Flächen oberhalb von 20 ha je Betrieb bedeuten würde. Die effektive Erhöhung für die ersten 20 Hektar würde dann 146 Euro betragen, was immer noch ein beachtliches Plus von 47 Prozent ist.

Außerdem sei darauf hingewiesen, dass bei den Berechnungen hier weitere mögliche Umschichtungen wie die zur zweiten Säule oder zu benachteiligten Gebieten, Junglandwirten oder Kleinstlandwirten nicht berücksichtigt sind. Diese Umschichtungen verringern allerdings allein die Basisprämien, nicht aber den Aufschlag und die direkt an das Greening gebundenen Zahlungen, denn Aufschlag und Greening-Komponente beziehen sich immer auf das nationale Ausgangsbudgets für Direktzahlungen insgesamt, nicht auf den "Rest" nach Umverteilungen.


Gute Gründe

Es zeigt sich, dass das Instrument "Aufschlag für die ersten Hektar" viel Potenzial hat, die kleineren und mittleren bäuerlichen Betriebe finanziell ganz erheblich zu stärken. Freilich muss dafür etwa ein Fünftel aller Betriebe etwas abgeben - je flächenstärker, umso mehr, bis zu knapp 30 Prozent. Es ist eine Umverteilung, für die es gute Gründe gibt:

1.) Heute bemessen sich die Direktzahlungen eines Betriebes fast nur noch nach seiner Flächengröße. Für jeden Hektar mehr gibt es eine Hektar-Zahlung mehr. Aber die gesellschaftlichen Leistungen der Betriebe wachsen eben nicht linear mit der Betriebsgröße. Das lässt sich z.B. schon an den kleinstrukturierten Landschaften mit ihren vielen kleineren Schlägen, ihrem hohen Anteil an Hecken, Ackerrainen und anderen Strukturen ablesen: Diese Landschaften hängen unmittelbar von dem Wirtschaften kleinerer und mittlerer Betriebe ab.

2.) Auch der Aufwand der Betriebe für die Einhaltung von Gesetzen oder Normen (z.B. Cross Compliance) wächst nicht linear mit dem Flächenumfang der Betriebe mit. Denn flächenstarke Betriebe sind überdurchschnittlich oft reine Ackerbaubetriebe ohne Tierhaltung, während Betriebe mit weniger Fläche überdurchschnittlich mit Tierhaltung verbunden sind, um so ein Einkommen zu erwirtschaften. Mit der Tierhaltung kommen weitere Auflagen hinzu, so dass kleinere und mittlere Betriebe in der Tendenz einen höheren Aufwand zur Einhaltung von Standards leisten müssen als größere Betriebe, mindestens im Verhältnis zur Fläche. Außerdem sind die Marktpreise für Ackerfrüchte im Schnitt der letzten Jahre weit stärker gestiegen als die für Fleisch und Milch.

3.) Die flächenstärkeren Betriebe kommen zusammen zwar auf einen hohen Anteil an der Agrarfläche in Deutschland, aber ihr Anteil an der gesamten Arbeitsleistung der Landwirtschaft ist deutlich niedriger. Wie das Diagramm unten zeigt, bewirtschaften alle Betriebe mit je mehr als 100 ha zusammen zwar über die Hälfte der Agrarfläche Deutschlands (55 Prozent), aber ihr Anteil an der Arbeitsleistung der deutschen Landwirtschaft ist mit 27 Prozent nur halb so groß (ausgedrückt in Arbeitskrafteinheiten: eine AKE entspricht einer Vollzeitkraft). Umgekehrt bewirtschaften die kleineren Betriebe (bis 50 ha) zwar nur knapp ein Viertel der Gesamtfläche, sie vereinen aber gut die Hälfte der gesamten Arbeitsleistung auf sich. Nicht Fläche verdient Einkommen, sondern die auf der Fläche geleistete Arbeit, und so ist es nur gerecht, wenn mehr Geld dahin geht, wo mehr Arbeit geleistet wird - in die kleineren und mittleren Betrieben.


Tabelle:
Anteil Betriebsgrößenklassen an Fläche & Arbeit
nach Agrarstrukturerhebung Deutschland 2010

Anteil Betriebsgrößenklassen an Fläche & Arbeit
nach Agrarstrukturerhebung Deutschland 2010
Anteil an Summe in DE
Anteil Betriebe
Anteil LF
Anteil AKE
Alle bis 20 ha
Alle bis 50 ha
Alle größer 100 ha
Alle größer 1.000 ha
46 %     
72 %     
11 %     
1 %     
8 %  
23 %  
55 %  
15 %  
30 %  
52 %  
27 %  
7 %  

AbL denkt noch weiter

Die Statistik liefert natürlich nur Durchschnittswerte. Es gibt auch kleine Betriebe mit einer sehr rationalisierten Monokultur, die z.B. auf ihrer wenigen Flächen Jahr für Jahr Mais für umliegende Biogasanlagen anbauen. Solche Betriebe ziehen - wie gesagt - den Durchschnitt nicht wesentlich nach unten, aber es gibt sie. Um auch hier zielgenauer zu differenzieren, fordert die AbL nicht nur eine konsequente Greening-Regelung (z.B. gegen Monokulturen), sondern als weiteren Schritt die Berücksichtigung des kalkulatorischen Arbeitszeitbedarfs der einzelnen Betriebe bei der Bemessung der Direktzahlungen. Die vollen, um den Aufschlag erhöhten Zahlungen sollen dann nur solche Betriebe erhalten, die durch entsprechende arbeitsintensive Betriebszweige und Strukturen auch tatsächlich einen höheren Arbeitsaufwand haben. Dabei soll aber niemand mit der Stoppuhr in den einzelnen Betrieben stehen, sondern es werden (kalkulatorische) Durchschnittswerte zugrunde gelegt, ähnlich wie die Berufsgenossenschaft das bei ihrer Beitragsberechnung vollzieht (dort aber mit dem Ziel, von arbeitsintensiven Betrieben höhere Beiträge einzufordern).


Zusammenfassung

In der nationalen Umsetzung der aktuellen EU-Agrarreform kann Deutschland die Flächenzahlungen je Hektar für kleinere und mittlere Betriebe erheblich erhöhen. Wenn die maximal möglichen 30 Prozent des deutschen Direktzahlungstopfes eingesetzt werden und auf die ersten bis zu 20 Hektar je Betrieb verteilt werden, ist eine Erhöhung um bis zu 250 Euro je Hektar oder 80 Prozent für diese ersten 20 ha drin.

Profitieren davon würden alle Betriebe mit bis zu gut 70 ha, und damit rund 80 Prozent aller Betriebe. Alle größeren Betriebe verlieren, je größer, umso mehr - bis zu knapp 30 Prozent in der Spitze. Für diese Umverteilung gibt es gute Gründe, denn kleinere Betriebe erbringen mehr gesellschaftliche Leistungen, haben mehr Aufwand zur Einhaltung von Gesetzen. Zudem erbringt die Gruppe der Betriebe mit bis zu 50 ha Fläche vier mal so viel Arbeitsleistung je Hektar wie die Gruppe der Betriebe mit über 100 ha. Die Beschlüsse zur nationalen Umsetzung der EU-Agrarreform fallen nach der Bundestagswahl. Bauern und Steuerzahler sollten vorher wissen, was die jeweiligen Parteien nach der Wahl umsetzen werden.

*

Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 367 - Juni 2013, S. 4-5
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2013