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AGRAR/1644: Ist die Bio-Kuh vom Eis? (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 390 - Juli/August 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Ist die Bio-Kuh vom Eis?
Verpflichtende Rückstandsuntersuchungen für Bioprodukte in der EU-Verordnung scheinen vom Tisch

Von Claudia Schievelbein


Die Szene atmet auf. Nachdem nun der EU-Ministerrat seinen Beschluss zum Kommissionsvorschlag für eine neue EU-Ökoverordnung gefasst hat, sei, so der Tenor der Bioverbände, aber auch des Bauernverbandes und der meisten Politiker, das Schlimmste verhindert. Zwar gebe es immer noch erheblichen Nachbesserungsbedarf, beispielsweise hinsichtlich der Kommissionsidee, künftig bei Importen aus Nicht-EU-Ländern als Anerkennungsgrundlage exakt die Regelungen der EU-Ökoverordnung anzuwenden und nicht mehr wie bisher nach einem Gleichwertigkeitsprinzip zu verfahren. Das viel größere Problem jenseits der Definition von Standards sei jedoch deren Durchsetzung und Kontrolle bei Importen, erläuterte Martin Häusling, Abgeordneter für die Grünen im Europäischen Parlament und Berichterstatter zur EU-Ökoverordnung. "Ich will nicht sagen, dass die Kontrolle bei Importen aus Drittländern gar nicht funktioniert, aber es gibt erhebliche Schwachstellen", sagte er in Berlin auf einer Informationsveranstaltung zu dem von ihm zur EU-Ökoverordnung verfassten Bericht, der allein über 300 Änderungsanträge beinhaltet. Noch mal mehr als 900 gibt es von anderen Parlamentariern und alle müssen nach der Sommerpause im Agrarausschuss abgestimmt werden.

Kontrolldefizite

Häusling will die Defizite in der Kontrolle, die aus seiner Sicht vor allem in mangelnder Kommunikation und mangelnder Transparenz hinsichtlich von Warenströmen begründet liegen, durch die Einrichtung einer EU-Ökoagentur beheben. Allerdings ist in europäischen Institutionen gerade Bürokratieabbau das Lieblingsthema, wohl auch deshalb hat sich EU-Agrarkommissar Phil Hogan schon ablehnend zu einer solchen neuen Amtsstube geäußert. Häusling möchte auch betriebliche Tierzahlobergrenzen und fordert die Branche auf, sich damit auseinanderzusetzen, was für eine Produktion man wolle und was die Gesellschaft fordere. Während die Bioverbände da eher den Kopf einziehen und wegschauen, lehnt der Bauernverband klar ab.

Aber zurück zum Schlimmsten, in diesem Fall dem Ansinnen der EU-Kommission, neben der bislang üblichen Prozesskontrolle im ökologischen Landbau Rückstandsuntersuchungen für Ökoprodukte einzuführen, die bei Überschreitungen der Pestizidgrenzwerte für Babykost eine Biovermarktung untersagen würden. So etwas gibt es schon in einzelnen Mitgliedsstaaten wie Italien und Belgien. Die Kommission argumentiert mit dem Verbraucherwunsch nach Rückstandsfreiheit besonders in Bioprodukten, die Verbände - vor allem allerdings war dies eine Debatte in Deutschland - dagegen mit dem Unterminieren der eigentlichen Idee des Ökolandbaus vom grundsätzlich pestizidfreien Anbausystem, dessen Mehrwert nicht darin liege, dass am Ende das Produkt chemiefrei sei. Der Bundesverband der ökologischen Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) postulierte die unzulässige Umkehrung des Verursacherprinzips, wenn dem Biobauern aufgebürdet würde, dafür zu haften, dass sein konventioneller Nachbar spritze. Bei so einer Argumentation kann auch der Bauernverband mitgehen. Was wäre aber gewesen, wenn die Argumentation des BÖLW gewesen wäre: Grenzwerte ja, aber mit Verursacherprinzip wie bei der Gentechnik? Ein "interessanter Gedankengang" sei es, sagte Martin Häusling in Berlin, wenn der konventionelle Bauer verantwortlich gemacht werden könne. Meist sei ein Schaden ja auch mit einem Verursacher in Verbindung zu bringen. Aber dann war der Gedanke auch schon wieder weg, spätestens als Wolfram Dienel vom deutschen Bauernverband auf der Veranstaltung anmerkte: "Wir sollten aus der Wording-Falle Rückstandsfreiheit rauskommen, die uns die Kommission gestellt hat." Alexander Beck vom BÖLW warnte geradezu davor, die jüngst wieder veröffentlichten positiven Ergebnisse des Rückstandsmonitorings für Ökoprodukte, welches in Deutschland einzig das Land Baden-Württemberg durchführt, zu feiern. Damit, so Beck, verfalle man auch in den Fehler, den Ökolandbau auf das rückstandsfreie Produkt zu reduzieren und - mehr noch - im Umkehrschluss zu sagen, alles was frei von Rückständen sei, sei Bio. Letzteres hatte aber weder die EU-Kommission getan, noch dies öffentlich so wahrgenommen.

Kostenfalle

"Mit der Einführung der EU-Bioverordnung wurde Bio auf Grundlage der bestehenden Verbandsrichtlinien europaweit definiert und der Produktionsprozess kontrolliert", sagt Bio-Kontrolleur Hartmut Thiel. "Die Rückstandsproblematik stand dabei nicht im Fokus." Trotzdem wurde und wird immer schon ein Teil der Produkte stichprobenartig von den Kontrollstellen beprobt. Die erheblichen Kosten für die inzwischen analytisch hoch spezialisierten Verfahren legen die Kontrollstellen auf die Betriebe um. Wenn Rückstände gefunden werden, kommen unter Umständen zur Vermarktungssperre weitere Kosten wie Analysekosten oder Stichprobenkontrollen auf den betroffenen Betrieb zu. Viel Geld, das jetzt schon von Bauern, Vermarktern und Kontrollstellen in Deutschland aufgebracht werden muss, ohne dass die Ursache der Rückstände aufgeklärt und beseitigt wird, hier ebenso wenig wie beim Beproben der Vermarktungsprodukte z. B. vom Naturkostgroßhandel im Rahmen des BNN-Monitoring oder vom konventionellen Lebensmitteleinzelhandel. Im Zweifel wird der Lieferant ersetzt, die Konkurrenz ist groß. Es gilt als offenes Geheimnis, dass - um Preise zu drücken - deutsche Verarbeiter Bauern im Ausland dazu anhalten, auf Ökolandbau umzustellen. Da wird sicher billiger produziert und meist weniger kontrolliert. Es reiche schon das Gerücht, so Jürn Sanders vom Thünen-Institut auf einer Veranstaltung der niedersächsischen Marketinggesellschaft zu Perspektiven des Ökolandbaus, dass in Rostock bald ein Schiff aus Litauen mit Ökogetreide festmache, um den Preis negativ zu beeinflussen. Auf derselben Veranstaltung sagte Volker Krause, Inhaber der Bohlsener Mühle, dass der Markt funktioniere und gleichzeitig Marktstrukturen zerstöre auf Grund geringer Preisstabilität und hoher Importanteile auch aus Ländern, von denen man sehr wohl wisse, dass die Kontrolle nicht immer so funktioniere wie bei uns. Über die Entwicklung professioneller Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen habe der Austausch mit den Bauern, den Erzeugern vor Ort - "das, woran wir gemeinsam arbeiten" - gelitten.

Wohin?

Das, woran wir gemeinsam arbeiten, müsste auch eine Ökologisierung der konventionellen Landwirtschaft sein, die durch die Übernahme von Verantwortung durch Verursacher entstehen kann. Dann müssten Biobauern weder Kosten für Rückstandsuntersuchungen fürchten noch Vermarktungsverbote (in einer kleinstrukturierten Südtiroler Gemeinde versucht ein breites Bündnis gegen den Widerstand der konventionellen Obstbauern Pestizide zu verbieten, auch weil Ökobauern hier praktisch nichts Unbelastetes mehr produzieren können) oder zweifelhafte Billigkonkurrenz (Skandale mit unerlaubten Verunreinigungen in den letzten Jahren handelten meist von Importware) und auch keine Ökoprämienkürzungen, weil ihnen Flächen wegen nachbarlicher Pestizidabdrift aberkannt wurden. Seit in Bayern und Rheinland-Pfalz die Aberkennung des ganzen Betriebs droht, wenn ein Spritzschaden auf einer Biofläche gefunden wird, ist die Zahl der Meldungen von Abdrift bei den Öko-Kontrollstellen drastisch gesunken. Ob die EU-Kommission diese Übernahme von Verantwortung durch die konventionelle Landwirtschaft wollte, als sie verpflichtende Rückstandsuntersuchungen in den Verordnungsentwurf geschrieben hat, sei dahin gestellt. Mit ihnen wäre das nicht automatisch Realität geworden, sondern hätte hart erarbeitet werden müssen. Ohne sie wird sich gar nichts ändern, schon gar nicht der ökonomische Druck auf die Biobauern.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 390 - Juli/August 2015, S. 4
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2015

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