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WÄHRUNG/153: Griechenland-Krise und Europäischer Währungsfonds (spw)


spw - Ausgabe 2/2010 - Heft 177
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Griechenland-Krise und Europäischer Währungsfonds

Von Arne Heise


Griechenlands Presse ist derzeit nicht besonders gut: Der FOCUS höhnt vom langen Abstieg Hellas, dem Lande der antiken Dichter und Denker, das heute angeblich keinen bedeutenden Wissenschaftler, keinen Sänger oder Schauspieler von internationalem Renommée mehr habe - ja selbst die griechische Küche und der griechische Wein verursachten nur Sodbrennen. Und für andere selbsternannte Experten der ZEIT ist Griechenland für die 2. Welle der internationalen Finanzkrise, was Lehman Brothers für die 1. Welle war: der Domino-Stein, dessen Fallen eine Kettenreaktion von Staatsbankrotten auslösen könnte. Und auch die hektische Tour des griechischen Ministerpräsidenten Papandreou durch die Hauptstädte Europas lässt vermuten, dass es nicht gut steht um Griechenland.

Ein Blick auf die Wirtschaftsentwicklung legt zunächst keine Erklärung nahe, weshalb fast schon hysterisch auf Griechenland reagiert wird: Das BIP-Wachstum in der Vor-Krisen-Zeit war - auch durch finanzielle Hilfe aus der EU vorangetrieben - überdurchschnittlich hoch, die internationale Finanzkrise hat das Land ebenfalls hart, aber weniger hart als viele EU-Partnerländer getroffen. Die Defizit- und Schuldenentwicklung zeigt zwar, dass Griechenland bereits vor der Krise Schwierigkeiten hatte, den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) mit seinem Defizit-Limit von 3 Prozent einzuhalten, doch belegen die Jahre 2006 und 2007 auch die von keynesianischen Ökonomen häufig benannte Schwäche der EU-Finanzarithmetik: die einheitliche Defizit-Grenze des SWP benachteiligt jene Länder, die - durchaus defizitfinanziert (!) - ein überdurchschnittliches Wachstum erzeugen und deshalb trotz höherer Defizitquote ihre Schuldenstandsquote zu senken in der Lage sind: Bei nominalen BIP-Wachstumsraten von 7-8 Prozent, wie sie eine aufholende Ökonomie durchaus erzielen kann (und Griechenland Mitte des Jahrzehnts einfuhr), sind Defizitquoten von 4,2-4,8 Prozent 'nachhaltig' (also mit stabilem Schuldenstand vereinbar). Insgesamt zeigt deshalb weder die Defizit-, noch die Schuldenstandsentwicklung eine dramatische Situation an - schon gar nicht, wenn man sie mit anderen Ländern (z.B. Frankreich, Belgien oder Großbritannien) vergleicht.

Auch die Staatsquote - also die Summe der Staatsausgaben (inkl, der Sozialsysteme) bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt - belegt die Behauptung nicht, Griechenland würde ,über die Verhältnisse leben'. Wenn der griechische Staatshaushalt also eine strukturelle Schieflage haben sollte - was durchaus nicht bewiesen ist, schließlich ist die Schuldenstandsquote seit Anfang der 1990er Jahre bis zur Krise 2009 weitgehend konstant geblieben -, dann kann es sich allenfalls um ein Einnahmeproblem der öffentlichen Haushalte handeln: der Umfang der Schattenwirtschaft in Griechenland wird auf fast 1/3 der gesamten Wertschöpfung (genüber etwa 1/7 des BIP in Deutschland) geschätzt. Finanzpolitische Ratschläge sollten deshalb in erster Linie hier, nicht etwa reflexartig bei den Ausgaben ansetzen.

Obwohl also keine dramatische Entwicklung, die es berechtigen würde von 'Griechenland-Krise' zu sprechen, dingfest gemacht werden konnte, haben jene Rating-Agenturen, die in der Finanzkrise so dramatisch versagten, mit der Herabstufung der Länderrisiko-Bewertung für Griechenland dazu beigetragen, die Finanzierungskosten der griechischen Regierung deutlich zu erhöhen. Lagen die realen Zinssätze auf griechische Staatsanleihen in der Vor-Krisen-Zeit mit 0,7-1,5 Prozent nicht nur sehr niedrig, sondern sogar niedriger als in anderen Eurozone-Ländern oder Großbritannien, so hat sich der Zinssatz mittlerweile fast vervierfacht und ist auch deutlich über das Niveau besser bewerteter Länder gestiegen. Dies wäre dann richtig und konsequent - und könnte als marktförmige Sanktion für jene Länder verstanden werden, deren Haushaltspolitik 'ausufert' -, wenn die griechische Finanzpolitik als nicht nachhaltig zu qualifizieren wäre. Ob man dieses Urteil allerdings den Rating-Agenturen überlassen sollte, ist mehr als fraglich.

Vor diesem Hintergrund wird die Betrachtung eines Europäischen Währungsfonds (EWF) interessant. Dieser EWF hätte nicht die Aufgabe, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) Fremdwährungskredite zur Überbrückung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten zu gewähren, sondern könnte in schwierigen Haushaltslagen die Aufnahme zinsgünstiger Kredite für ein EU-Land ermöglichen, deren Länderrisiko ungebührlich oder unverschuldet herabgesetzt wurde und folglich zu ungewünschter Erhöhung der Zinszahlungen (und damit Belastungen) führen würde. Genau hierin liegt aber natürlich auch die Schwäche des Vorschlags: die Einschätzung, ob die Länderbewertung gerechtfertigt und somit die höheren Zinsbelastungen als 'Bestrafung für ungebührliche Finanzpolitik' (gleich den Sanktionen des SWP) anzusehen sind, wird sicher politisch vorgenommen und nicht ökonomisch, wie es sinnvoll wäre. Andererseits wird die Kreditvergabe eines EWF sicher an Auflagen gebunden werden - die Erfahrungen mit dem IWF zeigen, dass diese Konditionen die kreditnehmenden Länder häufig zur Durchführung einer Politik zwangen, die zumindest nicht im (Wachstums- und Entwicklungs-) Interesse dieser Länder waren. Wenngleich eine bessere Abstimmung der Wirtschaftspolitik in der EU durchaus sinnvoll wäre, sollte dies aber durch politische Gremien und nicht durch demokratischer Kontrolle entzogene Institutionen erfolgen. Der Vorschlag eines EWF erscheint entweder - nach der Europäischen Währungsunion und dem SWP - als weitere 'Germanisierung' der EU oder als wirtschaftspolitischer Aktionismus einer Bundesregierung, die nicht gerade gut in die Legislaturperiode gestartet ist. Beide Motivationen erscheinen nicht überzeugend für ein Politprojekt wie den EWF.

Dr. Arne Heise ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.




Tabelle: Ausgewählte Indikatoren

BIP-Wachstumsrate

2005

2006

2007

2008
2009*
2010*
GRE
GB
F
2,2
2,2
1,9
4,5
2,9
2,2
4,5
2,6
2,3
2,0
0,6
0,4
-1,1
-4,6
-2,2
-0,3
0,9
1,2
Defizitquote






GRE
GB
F
-5,2
-3,4
-2,9
-2,9
-2,7
-2,3
-3,7
-2,7
-2,7
-7,7
-5,0
-3,4
-12,7
-12,1
-8,3
-12,2
12,9
-8,2
Staatsschuldenquote






GRE
GB
F
B
100,0
42,2
66,4
92,1
97,1
43,2
63,7
88,1
95,6
44,2
63,8
84,2
99,2
52,0
67,4
89,8
112,6
68,6
76,1
97,2
124,9
80,3
82,5
101,2
Staatsquote






GRE
GB
F
43,7
44,1
53,3
42,6
44,0
52,7
44,1
44,0
52,3
48,3
47,3
52,7
50,0
51,2
56,2
49,4
52,1
55,1
(realer) Zinssatz-
auf Staatsschulden-
verschreibungen


















GRE
GB
F

0,7
2,4
1,3
  
1,0
1,5
1,4
  
1,5
2,1
1,8
  
1,2
1,5
1,7
  
3,5
2,2
1,7

4,8
2,3
2,0

ANMERKUNGEN: * 2009 und 2010 sind Prognosen,
Quelle: Europäische Wirtschaft, Stat. Anhang Herbst 2009;
EZB und Europäische Kommission


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2010, Heft 177, Seite 45-46
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2010