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ARBEIT/157: Großbritannien - Null-Stunden-Arbeitsverträge (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 39 vom 27. September 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Null-Stunden-Arbeitsverträge
Das englische Beispiel könnte bald auch in Deutschland Nachahmer finden

von Manfred Dietenberger



England gilt als Wiege der Industrialisierung in Europa. Friedrich Engels setzte sich daher bekanntlich sehr früh mit der prekären Lage der Arbeiterschaft im industriell schon hochentwickelten England auseinander um Schlussfolgerungen allgemein auch die Folgen der kapitalistischen Produktionsweise auf sie ableiten zu können.

Und auch heute ist ein Blick über den Kanal auf die dortige aktuelle Entwicklung so lohnend wie erschreckend. Seit Jahren nehmen zeitlich befristete Arbeitsverträge in ganz Europa zu. Daher wird "der zeitlich unbegrenzte Kontrakt (CDI)", besonders für JungarbeiterInnen in immer mehr EU-Staaten zur heiß ersehnten Rarität. Stattdessen breitet sich die Prekarisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen europaweit krebsartig aus. "Im Musterland des Kapitalismus" Großbritannien nimmt diese katastrophale Entwicklung geradezu erschreckende Ausmaße an. Bei der Entwicklung immer neuer Sklavenhaltungssysteme ist die Phantasie der Kapitalbesitzer grenzenlos. So wird in Britannien zum Beispiel derzeit ein relativ neues Phänomen zum Skandal: die "zero hour contracts", ja richtig gelesen - Stunden! Mit einem solchen Nullstundenarbeitsvertrag werden die Beschäftigten zwar vertraglich an das Unternehmen gebunden, haben aber damit keinen Anspruch auf eine bestimmte Arbeitszeit und damit auch nicht auf einen garantieren Lohn. Die Lohnabhängigen wissen nicht, wie oft, zu welchen Tageszeiten und ob überhaupt ihre Arbeitskraft abgerufen wird. Sie sind damit also dem Unternehmer hundertprozentig ausgeliefert. Wenn der Boss keine ArbeiterInnen braucht, na dann müssen sie halt ohne Lohn auskommen und es bleibt ihnen nichts anderes übrig als auf bessere Zeiten zu warten. Denn die Nullstundenverträgler dürfen in der Zwischenzeit nicht für einen anderen Auftraggeber arbeiten. Ihr Arbeitsvertrag beinhaltet nämlich eine Exklusivitätsklausel.

Diese barbarischen Beschäftigungsverhältnisse können mit dem Zauberwort "Flexibilität" weder erklärt und schon gar nicht gerechtfertigt werden. Sie sind der bisherige Gipfel der Perversion. Diese Art der Sklavenhalterei sei nur eine marginale Randerscheinung, behauptet die britische Regierung - bis Anfang August dieses Jahres der "Guardian" die von einem unabhängigen Institut ermittelten aktuellen Zahlen veröffentlichte. Diesen zufolge umfasst die neue Reservearmee rund eine Million Erwerbstätige - Menschen also, die "dank" dieser ultraprekären Arbeitsverträge zu Monatsbeginn nicht wissen, wie viele Stunden sie arbeiten werden, ob sie überhaupt etwas verdienen, wie sie ihre Familien durchbringen können. Es sind nicht nur die Chefs von kleinen Klitschen, die sich angesichts der Arbeitslosigkeit erlauben derart die Kosten für Ferien und Krankheitsgeld für ihre Beschäftigten zu sparen. Auch große Unternehmen wie z. B. der Sicherheitskonzern G4S, McDonald's und Burger King, Amazon, die Drogeriemarktkette Boots, das Modelabel Abercrombie & Fitch, der Kinobetreiber Cineworld. Der Sportartikelhändler Sports Direct hat sage und schreibe neunzig Prozent seiner Belegschaft - rund 23 000 Beschäftigte - auf der Basis solcher Nullstundenverträge angestellt. McDonald's hält derzeit mit 82 800 Null-Stunden-Einstellungen den absoluten Rekord. Doch es sind nicht nur Privatfirmen, die aus diesem flexibelsten aller flexiblen Arbeitskräftereservoirs Profite abschöpfen - selbst der Buckingham-Palast, die Tate-Galerien, viele Kommunen und sogar der staatliche Health Service bedienen sich dieser ultraprekären Arbeitsverträge. Das neue englische Beispiel könnte bald auch in Deutschland Nachahmer finden. Ich höre schon die Herren Branchenführer der Gastronomie und anderer Dienstleistungsbranchen, wie sie die Einführung des Null-Stunden-Arbeitsvertrages in diesem unserem Lande begründen werden: "Für unsere Branche ist es geradezu überlebenswichtig, dass wir Leute dann beschäftigen können, wenn wir sie brauchen." Und die gerade neugewählte Geschäftsführung der Deutschland AG wird nichts dagegen unternehmen, denn die derart Beschäftigten haben ja einen Arbeitsvertrag und sind so weg von der Arbeitslosenstatistik. Wehren wir uns also rechtzeitig gegen diesen Weg zur "Vollbeschäftigung".

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 3 vom 27. September 2013, Seite ...
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2013