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AUSSENHANDEL/199: Zivilgesellschaft als Korrektiv für Wirtschaftsverhandlungen mit Afrika (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Februar 2011

Afrika:
Zivilgesellschaft als Berater und Korrektiv bei EPA-Verhandlungen mit EU

Von Isolda Agazzi


Genf, 16. Februar (IPS) - Zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs) der westlichen und zentralafrikanischen Ländern haben sich in den Verhandlungen mit der Europäischen Union über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) als unabhängige und zuverlässige Berater ihrer Regierungen erwiesen. Geschätzt werden sie nicht nur wegen ihrer Expertisen, sondern auch für die Beharrlichkeit, mit der sie die entwicklungspolitischen Interessen ihrer Länder im Auge behalten.

Nach Aussagen von Jacob Kotchao, CSO-Vertreter im zentralafrikanischen EPA-Verhandlungsteam, hat sich das Verhältnis zwischen Staat und CSO 2009 verändert. Damals stimmte Kamerun für den zentralafrikanischen Verhandlungsblock einem Interims-EPA zu. Nach diesem "Rückschlag" habe man einen Strategiewechsel vorgenommen und sich den Regierungen als verlässlicher Berater angeboten.

Die EPAs sollen an die Stelle der in den 70er Jahren vereinbarten Präferenzbestimmungen im Handel zwischen Europa und seinen ehemaligen afrikanischen, karibischen und pazifischen Kolonien (AKP-Staaten) treten und die Beziehungen den Richtlinien der Welthandelsorganisation (WTO) und somit dem Freihandel angleichen.

Die Verträge hätten termingerecht bis Ende 2007 unter Dach und Fach sein sollen, scheiterten aber vor allem in Afrika, wo sie auf großen Widerstand insbesondere von Seiten der Zivilgesellschaft stießen. Am Ende einigte man sich zunächst auf Interimsabkommen, das Kamerun für Zentralafrika, Côte d'Ivoire and Ghana für Westafrika unterzeichneten.

Wie die finnische Sozialaktivistin Silke Trommer betont, hat die Zivilgesellschaft dafür gesorgt, dass die entwicklungspolitischen Folgen der EPAs bei den Verhandlungen nicht zu kurz kommen und auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden.


Als Experten anerkannt

"Im August 2004, als die Handelsminister der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) Vertretern der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor erlaubten, an den Verhandlungen teilzunehmen, waren viele Regierungsvertreter nicht gerade begeistert", erläutert sie. "Doch mit der Zeit hätten sich die CSOs mit ihren professionellen Expertisen einen Namen gemacht. "Inzwischen sind afrikanische Staaten froh, sie an Bord zu haben."

Auf der europäischen Seite sind CSOs hingegen nicht zugelassen. Auf dem Papier müssten die EPAs sowohl eine Handels- als auch eine Entwicklungskomponente beinhalten. Doch die Realität sieht anders aus. Es waren die CSOs, denen auffiel, dass sich die EU mit ihren Forderungen nicht ungedingt an die Vorgaben der WTO hält. Während die Europäer eine Senkung der afrikanischen Zölle um 80 Prozent anstreben, gibt sich das WTO-Regelwerk mit einer Zollreduktion von 60 Prozent zufrieden. Selbst der afrikanische Kompromissvorschlag von 71 Prozent reicht den Europäern nicht.

Mit Blick auf die Entwicklungskomponente gibt es noch reichlich Klärungsbedarf. Dazu gehört die Frage, wie die Einnahmenverluste kompensiert werden sollen, die den afrikanischen Ländern durch die Zollreduktionen entstehen werden. "Für die zentralafrikanischen Länder sind die Zölle nicht nur ein Instrument, um den Handel zu schützen, sondern auch eine wichtige Einnahmequelle", betont Jacob Kotchao. "In einigen Ländern machen die Zolleinnahmen 25 bis 30 Prozent der Staatseinnahmen aus."

Ebenfalls ungeklärt ist die Frage, wie die Produktionskapazitäten der afrikanischen Staaten gestärkt werden sollen. "Selbst wenn die EU den AKP-Staaten erlaubt, ihre Exporte in den europäischen Staaten unter Vorzugsbedingungen abzusetzen, - etwa durch eine Zollfreiheit für die ärmsten Länder - sind damit unsere Ausfuhren noch nicht gestiegen und wir werden auch weiterhin keine weiterverarbeiteten Produkte sondern Rohstoffe verkaufen", gibt Kotchao zu bedenken. "Solange unsere Länder keine wirklichen produktiven Kapazitäten entwickeln, dürfen wir von den EPAs keine zusätzlichen Handelschancen erwarten."

Zentralafrikanische Staaten haben zwar Ideen, wie sich solche Kapazitäten in der Landwirtschaft und dem Fertigungsbereich schaffen lassen, doch gibt es keinen Konsens in der Frage, wie sie sich am besten umsetzen lassen. Cheikh Tidiane Dieye, CSO-Vertreter des westafrikanischen Verhandlungsteams, vermochten die europäischen Unterhändler mit ihrem Mantra, dass Wachstum und Entwicklung in dem Maße zunehmen, wie die Wirtschaft liberalisiert wird, nicht zu überzeugen.

Ganz im Gegenteil. "Die Industrialisierung in den westafrikanischen Ländern steckt, wenn überhaupt, in den Kinderschuhen. Die Landwirtschaft ist schwach", so Dieye. Rhythmus und Timing der Handelsliberalisierung mussten deshalb mit großer Umsicht gewählt werden.


Streit über Meistbegünstigtenklausel

Differenzen haben sich auch im Umgang mit der Meistbegünstigtenklausel (MFN) aufgetan, deren Aufnahme in die EPA-Abkommen die EU seit 2007 fordert. Sollten sich die Europäer durchsetzen, sähen sich die afrikanischen Staaten gezwungen, der EU die gleichen Handelsvorteile einzuräumen wie den afrikanischen Handelspartnern China, Indien, Indonesien, Brasilien oder Saudi-Arabien.

"1970 machte der Warenaustausch zwischen Europa und Westafrika noch 70 Prozent des regionalen Handels aus. Heute jedoch sind es höchstens noch 32 Prozent, während der Handel mit dem Rest der Welt immer schneller zulegt - um zehn Prozent pro Jahr allein mit Asien", berichtet Dieye.

Der Experte wies darauf hin, dass der senegalesische Staatspräsident Abdoulaye Wade die Handelspartnerschaft 2007 als gescheitert bekannt gegeben habe. Im November 2010 schloss sich der libysche Präsident Muammar al-Gaddafi der Ansicht an. Das System, auf das sich Europa berufe, um in den Genuss solcher Handelsprivilegien zu kommen, wie sie Afrika anderen größeren Handelspartnern einräumt, ist nach Ansicht von Dieye gänzlich inakzeptabel. "Wir werden auch weiterhin Rohstofflieferanten bleiben und Industriegüter importieren. Deshalb können wir nicht erkennen, was uns das Abkommen Gutes bringen könnte."

Den WTO-Bestimmungen zufolge sind afrikanische Länder durchaus berechtigt, ihre Märkte für Brasilien oder China, nicht aber für die EU zu öffnen. "Es gibt einen Handelskrieg zwischen EU und den Schwellenländer um unsere Märkte", meint dazu Jacob Kochao. "Wir sollten uns wirklich überlegen, ob wir die EPA-Verhandlungen fortsetzen." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2011