Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → WIRTSCHAFT

AUSSENHANDEL/213: "Weitreichende und umfassende Freihandelsabkommen" (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012
Mehr, Mehr, Mehr?
Handelspolitik zwischen "Weiter so" und Nachhaltigkeit

»Weitreichende und umfassende Freihandelsabkommen«
Ein Weg zu Demokratie und breitem Wohlstand im Mittelmeerraum?

von Maja Volland



Im Dezember 2011 erteilten die Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU) der EU-Kommission vier Mandate zur Aushandlung von »weitreichenden und umfassenden Freihandelsabkommen« mit den Unterzeichnerstaaten des Agadir-Abkommens, Ägypten, Jordanien, Marokko und Tunesien. Nach Wunsch der EU-Kommission sollen die Verhandlungen möglichst bald beginnen. Wie auch bei anderen Handelsabkommen der EU ist der Inhalt der vier Mandate nicht öffentlich. Laut EU-Kommission sollen die neuen Abkommen jedoch weit über die im Rahmen der Euro-Mediterranen Assoziationsabkommen bereits existierenden Handelsvereinbarungen zwischen der EU und den vier Ländern hinausgehen. Neben dem weiteren Abbau von Zöllen drängt die EU-Kommission auf die Verhandlung von diversen handelsrelevanten Bereichen, wie etwa Investitionsschutz und Wettbewerbspolitik.(1)

DIE GEPLANTEN Abkommen sind Teil der neuen EU-Nachbarschaftspolitik, mit welcher die EU vorgeblich den im Zuge des Arabischen Frühlings begonnenen Transformationsprozess der Länder des südlichen Mittelmeerraums unterstützen möchte. In der sogenannten »Partnerschaft für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand« sollen der Demokratisierungsprozess (Säule 1), die Zivilgesellschaft (Säule 2) sowie die wirtschaftliche Entwicklung in Form eines nachhaltigen und breitenwirksamen Wirtschaftswachstums (Säule 3) der Partnerländer gefördert werden.(2)


Die Forderungen der EU

Behandeln die derzeitigen Handelsabkommen zwischen der EU und den Agadir-Ländern lediglich Zollvereinbarungen für einzelne Produkte, strebt die EU mit den neuen Abkommen eine sehr viel umfassendere Liberalisierung an. Bestehende Zölle sollen abgeschafft werden, was UnternehmerInnen in den Agadir-Staaten der direkten Konkurrenz mit Produkten aus der EU aussetzen würde. Viele der hauptsächlich kleinen und mittleren Unternehmen aus den vier Ländern werden nicht mit den Erzeugnissen aus der EU konkurrieren können, insbesondere nicht mit den von der EU hoch subventionierten Agrarprodukten. Neben den negativen Effekten für viele einheimische Unternehmen und folglich einer Zerstörung von Arbeitsplätzen würde eine Abschaffung der Zölle zu Verlusten von wichtigen Haushaltseinnahmen der Agadir-Länder führen.

Im Gegenzug verspricht die EU einen verbesserten Zugang zu ihrem Binnenmarkt. Dies kann potenziell zwar positive Effekte für die Wirtschaften der Agadir-Staaten haben, allerdings können hiervon nur exportorientierte Unternehmen profitieren, deren Güter nicht in direkter Konkurrenz mit den EU-Produkten stehen. Des Weiteren bleibt abzuwarten, ob das Versprechen der EU lediglich tarifäre oder auch nichttarifäre Handelshemmnisse, wie beispielsweise das von der EU betriebene Dumping im Agrarsektor, umfasst. Handelshemmend werden zudem die von der EU geforderten Produktstandards wirken, da viele Unternehmen aus den Agadir-Ländern die hohen und komplexen Standards der EU nicht einhalten werden können.

Neben dem klassischen Abbau von Zöllen sollen die »weitreichenden und umfassenden Freihandelsabkommen« mit den vier Nachbarländern auch eine weitere Öffnung des Dienstleistungssektors und des öffentlichen Beschaffungswesens sowie Regelungen bezüglich eines nichtdiskriminierenden Wettbewerbs, eines Investitionsschutzes und Rechten des geistigen Eigentums umfassen.


Freihandelsabkommen sind keine Antwort auf die Bedürfnisse der Agadir-Länder

Viele dieser von der EU geforderten Regelungen sind aufgrund ihrer fragwürdigen Effekte auf multilateraler Ebene in der WTO (World Trade Organization - Welthandelsorganisation) abgelehnt worden. Der Versuch der EU, sie nun mittels forum-shifting auf bilateraler Ebene durchzusetzen, zeigt, dass die EU-Handelspolitik in erster Linie auf die Interessen europäischer Unternehmen ausgerichtet ist und vornehmlich auf eine weitreichende globale Liberalisierung und staatliche Deregulierung abzielt. Sogar unter BefürworterInnen eines exportorientierten Wachstumsmodells herrscht mittlerweile weitestgehend Einigkeit darüber, dass eine Marktöffnung für strukturschwache Länder erhebliche Risiken birgt und dass positive Effekte von diversen landesinternen und externen Faktoren abhängen.(3) Damit einher geht die Anerkennung einer regulierenden Funktion des Staates bei der Umsetzung von Handelsreformen, insbesondere bei Fragen von Verteilungseffekten.(4) Die von der EU geforderten »weitreichenden und umfassenden Freihandelsabkommen« berücksichtigen zu wenig die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit der Verhandlungspartner und beschneiden den für die im Reformprozess befindlichen Agadir-Länder wichtigen Regulierungsspielraum. Während Unternehmen und InvestorInnen aus der EU durch neue Absatzmärkte sowie Antidiskriminierungs- und Schutzmaßnahmen profitieren würden, nähmen die geplanten Abkommen den Agadir-Ländern die Möglichkeit zum Schutz und zur Förderung ihrer im Aufbauprozess befindlichen Industrien. Die Effekte des von der EU versprochenen verbesserten Marktzugangs sind dagegen mit Blick auf diverse nicht-tarifäre Handelshemmnisse der EU fragwürdig. Nicht zuletzt gefährden die Pläne der EU die Integration der Agadir-Region, da die EU kein einheitliches Abkommen mit der gesamten Region plant, sondern mit jedem der vier Länder einzeln verhandeln möchte. Vor diesem Hintergrund ist abzusehen, dass die von der EU geforderten Freihandelsabkommen in den Agadir-Ländern nicht zu einem nachhaltigen und breitenwirksamen Wirtschaftswachstum führen, sondern im Gegenteil gravierende soziale, wirtschaftliche und ebenso ökologische Folgen für die vier Länder mit sich bringen werden.

Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie, die im Auftrag der EU-Kommission zur Folgenabschätzung der EU-Mediterranen-Freihandelszone durchgeführt wurde.(5) Folgen des untersuchten Szenarios, das unter anderen eine Liberalisierung von Industrie- und Agrargütern sowie Dienstleistungen umfasst, seien zum Beispiel steigende Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne, Einnahmeverluste der Staatshaushalte und damit verringerte Sozialausgaben, eine höhere Vulnerabilität von ärmeren Privathaushalten gegenüber globalen Schwankungen von Nahrungsmittelpreisen sowie wachsende Umweltverschmutzung beispielsweise durch eine verstärkte Urbanisierung. Viele der Konsequenzen werden als kurz- oder mittelfristig eingeschätzt; ohne präventive und kompensierende Maßnahmen könnte es jedoch auch zu langfristigen Auswirkungen kommen. Als positiv bemerkt die Studie zwar, dass die Einfuhr von preiswerteren Produkten Vorteile für KonsumentInnen bringe. Allerdings ist dies wenig hilfreich, wenn durch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit die Binnennachfrage geschwächt wird.


Nicht Wandel durch Handel sondern Wandel der EU-Handelspolitik!

Im Zuge der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise sind vermehrt Stimmen laut geworden, welche vor einem stark am Export orientierten Wachstum warnen, da sich die Krise hauptsächlich über den internationalen Handel global ausbreiten konnte. Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung plädiert deswegen für eine stärkere Re-orientierung auf die Binnennachfrage.(6) Die EU scheint aus der Krise jedoch keine Lehren ziehen zu wollen. Als größte Handelsmacht der Welt hat sie ein starkes Interesse daran, den internationalen Handel ungeachtet häufig gravierender Konsequenzen weiter voranzutreiben. Im Zuge der Blockade in den WTO-Verhandlungen verfolgt die EU ihr Ziel seit einiger Zeit auf bilateraler Ebene und tarnt ihre aggressive Handels- und Investitionspolitik mit Slogans wie »Handel für Entwicklung« oder »Wandel durch Handel«. Die angestrebten »weitreichenden und umfassenden Freihandelsabkommen« mit Ägypten, Jordanien, Marokko und Tunesien sind Teil dieser Strategie.

Mit den Abkommen, welche die EU ohne Transparenz und ohne Einbeziehung der Zivilgesellschaft auszuhandeln versucht, zwingt die EU den vier Ländern ein von ihr favorisiertes exportorientiertes Wirtschaftsmodell auf. Die EU konterkariert dadurch den politischen und sozialen Transformationsprozess der Länder, in welchem die Menschen nach gesellschaftlicher und politischer Teilhabe streben. Bevor die Regierungen der Länder des Arabischen Frühlings in Verhandlungen mit der EU über Handelsabkommen treten, sollten sich zunächst ihre politischen Institutionen sowie ihre Zivilgesellschaften konsolidieren und ein gemeinwohlorientiertes Gesellschaftsmodell unter sich aushandeln.

Deutsche NGOs und Bewegungen tun daher gut daran, sich gemeinsam mit AktivistInnen aus den Agadir-Ländern gegen die geplanten »weitreichenden und umfassenden Freihandelsabkommen« zu wehren. Das bevorstehende Weltsozialforum 2013 in Tunis ist eine der nächsten Gelegenheiten für Vernetzung, Informationsaustausch und Strategieplanung.


Die Autorin ist Politikwissenschaftlerin und Aktivistin mit dem thematischen Schwerpunkt internationaler und EU-Handel. Derzeit arbeitet sie an der Philipps Universität Marburg am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen des Fachbereichs Politikwissenschaft.


Anmerkungen:

(1) Siehe die Pressemitteilung der EU-Kommission: http://trade.ec.europa.eu/ doclib/press/index.cfm?id=766 [Stand: 10.08.2012].

(2) Hilfen von der EU sollen jedoch nur leistungsbezogen je nach Reformfortschritt des Partnerlandes gewährt werden, siehe S.2 der Mitteilung der EU-Kommission: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0200:FIN:de:PDF [Stand:10.08.2012].

(3) IEG (2006): Assessing World Bank Support for Trade, 1987-2004. An IEG Evaluation, World Bank, Washington, S. 85, online unter: http://lnweb90.worldbank.org/oed/oeddoclib.nsf/DocUNIDViewForJavaSearch/4463FC036CF6923885257138006C5DF8/$file/trade_evaluation.pdf [Stand: 2.09.2012].

(4) Siehe bspw. Stamm, Andreas (2004): Wertschöpfungsketten entwicklungspolitisch gestalten. Anforderungen an Handelspolitik & Wirtschaftsförderung, GTZ, Eschborn, online unter: http://www.die-gdi.de/CMS-Homepage/openwebcms3.nsf/%28ynDK_contentByKey%29/ENTR-7C3KCJ/$FILE/Wertsch%C3%B6pfungsketten%20entwicklungspolitisch%20gestalten.pdf Stand: 10.08.2012].

(5) Mit den sogenannten «Sustainability impact assessments" untersucht die EU die Folgen all ihrer Handelsabkommen auf eine »nachhaltige Entwicklung« Die Ergebnisse der genannten Studie sind online erhältlich unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2008/february/tradoc_137777.pdf [Stand: 30.07.2012].

(6) UNCTAD (2010): Trade and Development Report 2010. Employment, Globalization and Development, United Nations, Genf, online unter: www.unctad.org/en/docs/tdr2010_en.pdf [Stand: 10.08.2012].


Dieser Text ist die Kurzfassung eines Papiers, welches im Auftrag von PowerShift und dem Forum Umwelt und Entwicklung erstellt wurde und in Kürze auf http://forumue.de (AG Handel) und http://power-shift.de zum Download bereit steht.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012, S. 15-16
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2013