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AUSSENHANDEL/235: Das EU-Freihandelsabkommen mit USA - Alle Karten auf den Tisch! (spw)


spw - Ausgabe 2/2014 - Heft 201
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Das EU-Freihandelsabkommen mit USA
Alle Karten auf den Tisch!

von Hilde Mattheis



Die Zielsetzung des TTIP klingt zunächst ganz einfach: "Das Abkommen soll für Beschäftigung und Wachstum sorgen, indem es den Zugang zum US-amerikanischen Markt erleichtert, die Kompatibilität der Regulierungsmaßnahmen der EU und der USA verbessert und den Weg zur Festlegung globaler Normen ebnet." (EU-Kommission).

Aber, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA ist ein hochkomplexes politisches Projekt. Hochkomplex sind die Verhandlungen, weil es um mehr geht als ein bilaterales Abkommen. Das strategische Ziel ist die "Festlegung globaler Normen" um den mangelnden Fortschritt bei den multilateralen Verhandlungen innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) zu kompensieren.

Im Kern geht es beim TTIP um den Abbau "nichttarifärer Handelshemmnisse", wie beispielsweise Exportquoten, Sozial- und Umweltstandards, Vorschriften zum Verbraucherschutz, Vergabemodalitäten bei öffentlichen Aufträgen sowie Dienstleistungsrichtlinien.

In der öffentlichen Debatte wird jedoch vorrangig der Abbau "tarifärer Handelshemmnisse" wie Zölle, Importquoten, Mindestpreise und Exportsubventionen diskutiert.

Zum Stand der Verhandlungen, Verhandlungsmandat und -themen

In der Kritik steht vor allem die intransparente Verhandlungsführung. So dringt über den Stand der Gespräche zwischen EU-Kommissar de Gucht und dem US-Handelsbeauftragten Michael Froman kaum ein Zwischenergebnis nach außen. Über den Stand und Zeitplan der Verhandlungen kann somit nur spekuliert werden.

So gibt es Hinweise, dass die eigentlichen Verhandlungen zur Erarbeitung der rund 1000 Seiten des geplanten Freihandelsabkommens von bis zu 600 Lobbyisten hinter verschlossenen Türen geführt werden.

Wie das Ergebnis der Verhandlungen aussehen könnte, wird am Beispiel Energieversorgung deutlich. Eine engere Zusammenarbeit bei der Energieversorgung könnte nach Obamas Vorgabe folgendermaßen aussehen: Die Vergabe von Lizenzen für US-Unternehmen zur Lieferung von Flüssiggas nach Europa wird wesentlich einfacher, wenn dafür die EU der Aufforderung Obamas folgt und mit der Freigabe von Fracking "neue Energiequellen" erschließt.

Dieses - zudem geopolitisch aufgeladene - Angebot ist kein gutes Zeichen und bestätigt das wachsende Misstrauen in die Verhandlungsführung, denn offensichtlich sollen bilaterale verhandelte Ergebnisse multilateral wirken.

Das hat sich bisher am deutlichsten an der Frage des Investitionsschutzes für Unternehmen gezeigt. Das TTIP würde der Wirtschaft einen weitreichenden Investitionsschutz und eine Quasi-Gewinngarantie zusichern. Mit dem Drohinstrument der eigenen, überstaatlichen Schiedsgerichtsbarkeit könnten 3.300 EU-Unternehmen mit 24.000 Tochterunternehmen in den USA und umgekehrt 14.400 US-Unternehmen mit 50.800 Tochterunternehmen in der EU, ihre Interessen gegenüber dem jeweiligen Staat durchsetzen und damit letztendlich das politische System und die Demokratie aushebeln.

Die EU-Kommission hat aufgrund des öffentlichen Drucks - vor allem der Zivilgesellschaft - die Verhandlungen in dieser Teilfrage für drei Monate ausgesetzt, in denen die Öffentlichkeit in den Beratungsprozess mit einbezogen wird.

Aber auch der korrigierte Kommissions-Vorschlag hält - trotz aller Kritik - grundsätzlich an einer Investor-Staat-Schiedsgerichts-Klausel fest. Die Klausel soll als Modell für künftige Handels- und Investitionsabkommen dienen, denn seit November 2013 verhandelt die EU auch mit China.

Daher kann die Kommission diese Klausel nicht preisgeben ohne ihr umfassendes Mandat in Frage zu stellen. Und somit ist völlig unwahrscheinlich, dass es ein Abkommen ohne spezielle Investitionsschutzvorschriften geben wird.

Regulierungsfragen und nichttarifäre Handelshemmnisse

"Das Abkommen soll für Beschäftigung und Wachstum sorgen, indem es (...) die Kompatibilität der Regulierungsmaßnahmen der EU und den USA verbessert", so die EU-Kommission."Im Regulierungsbereich versprechen die Handels- und Investitionsverhandlungen den größten Nutzen für die Wirtschaft."

Damit stilisiert die Kommission die "Regulierungsfragen" zu einer Wirtschaftswunderwaffe, die Wachstum generiert, die aber, wie Wunder eben sind, von der Realität weit entfernt ist.

Zudem bleibt sie trotz aller öffentlich zugänglichen Erklärungen die Antwort schuldig, wie diese "Kompatibilität der Regulierungsmaßnahmen" in welchen Bereichen und mit welchem Tempo umgesetzt werden kann und welche Wachstumseffekte erreicht werden, die über homöopathische Dosen hinausgehen.

Die EU-Kommission erklärt ihr Vorhaben so: "Regulierungsvorschriften sind Gesetze, die die Menschen vor Gefahren für ihre Gesundheit, Sicherheit, die Umwelt und für ihre finanzielle Absicherung schützen. Die Europäische Union plant, mithilfe der TTIP nach vernünftigen Möglichkeiten zu suchen, um die gesetzlichen Regelungen der EU und der USA kompatibler zu gestalten und gleichzeitig den Schutz ihrer Bürger und Bürgerinnen zu sichern." (EU-Kommission, Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft - Regulierungsaspekte, Informationspapier / September 2013)

Und da sich nicht alle Regelungsunterschiede auf einmal beseitigen lassen, streben die beiden Seiten Rahmengrundsätze für ein "lebendes Abkommen" an, bei dem stufenweise nach vorab festgelegten Zielen und einem festen Zeitplan auf mehr Regelungskonvergenz hingearbeitet wird. Dadurch lassen sich bestehende Hindernisse beseitigen; gleichzeitig kann aber auch verhindert werden, dass künftig wieder neue Hindernisse errichtet werden.

Über die Brisanz dieses "lebenden Abkommens" wird bisher in der Öffentlichkeit kaum diskutiert.

Die Einsetzung eines zeitlich unbegrenzten und permanenten Verhandlungsmandats, eines "Mechanismus zur Verbesserung des Dialogs und der Zusammenarbeit" könnte dazu führen, dass jede künftige Gesetzesinitiative, die Einfluss auf den transatlantischen Handel haben kann, im Vorfeld zwischen den Verhandlungspartnern abgestimmt werden müsste.

Dieses würde den europäischen und amerikanischen Unternehmen ein weiter reichendes Lobbying ermöglichen, da sie auf beiden Verhandlungsseiten permanent einbezogen werden müssten. Damit würde das Primat der Politik im Gesetzgebungsprozess mit unabsehbaren Folgen für das Gemeinwohl in Frage gestellt. Das TTIP wäre somit ein Staatsstreich globaler Konzerne und ein riesengroßer Schritt zur Herrschaft der Wirtschaft über die demokratisch legitimierte Politik.

Das TTIP sieht vor, dass die Wirtschaft zukünftig in allen sie berührenden Gesetzgebungsverfahren von Anbeginn gehört werden muss. Dadurch würde es beispielsweise die Tür zur Privatisierung öffentlicher Güter wie Wasser und öffentlicher Einrichtungen des Gesundheits- und Bildungswesens öffnen. Es würde die Einfuhr ungekennzeichneter, gentechnisch veränderter Lebensmittel ermöglichen oder zur Absenkung der sozialen und arbeitsrechtlichen Standards führen können.

Nach aktuellem Kenntnisstand wäre TTIP nach Ratifizierung für alle Unterzeichnerstaaten bindend und zeitlich unbegrenzt. Änderungen sind nur mit der Zustimmung aller Unterzeichnerstaaten möglich. Damit ist TTIP irreversibel und hat praktisch "Ewigkeitswert".

Das Freihandelsabkommen TTIP scheint damit ein neoliberales Projekt zu sein, durch das Entscheidungen nicht transparent gefällt werden und demokratische Prozesse verhindert und insbesondere nicht für das Allgemeinwohl angelegt sind. Solange nicht alles geklärt ist und nicht alle Karten auf dem Tisch liegen, müssen die Verhandlungen zumindest gestoppt und das Mandat der Kommission überprüft werden.


Hilde Mattheis ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzende des Forums Demokratische Linke.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2014, Heft 201, Seite 6-8
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2014