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AUSSENHANDEL/274: TISA - Mehr als ein kompliziertes Akronym? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2016

Kampf um Land
Lebensgrundlage, Ökosystem, Kapitalanlage

TISA
Mehr als ein kompliziertes Akronym?

von Léa Auffret


Von den meisten Beobachtern unbemerkt, verhandelt die Europäische Union derzeit ein großes Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, TiSA). Es bringt 22 Staaten[1] sowie die EU (Europäische Union) an einen Tisch. Ziel von TiSA ist, den Handel mit Dienstleistungen, beispielsweise Onlinehandel, Telekommunikation, Finanzdienstleistungen und Verkehr, zu liberalisieren und zu erleichtern. Basis von TiSA ist das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS) der Welthandelsorganisation (WTO) von 1995.


Während die Mitglieder der WTO nicht bereit sind, sich auf eine neue Fassung des GATS zu einigen, haben einige Staaten, die sich selbst als "die besonders guten Freunde der Dienstleistungen" bezeichnen, beschlossen, anstelle einer multilateralen zu einer plurilateralen Einigung zu gelangen. Dies führte zum Beginn der TiSA-Gespräche im März 2013, drei Monate vor dem Start der TTIP-Verhandlungen (TTIP: Transatlantische Partnerschaft für Handel und Investitionen - Transatlantic Trade and Investment Partnership). Die - in der EU entstandene - Idee besteht darin, ein plurilaterales Abkommen auszuhandeln (Phase 1) und in der näheren Zukunft andere WTO-Mitglieder in dieses zu integrieren (Phase 2). Ziel von TiSA ist dessen Implementation auf multilateraler Ebene (Phase 3), wenn die übrigen WTO-Mitglieder bereit sind, den "besonders guten Freunden der Dienstleistungen" zu folgen. China hat bereits um Teilnahme an den Verhandlungen gebeten. Die EU sieht diese Vereinbarung als Gelegenheit, den Dienstleistungssektor anzukurbeln, der drei Viertel des EU-Bruttoinlandsprodukts darstellt. Die Begründung für die Verhandlungen ist, wie bei TTIP, die Schaffung von Wachstum und neuen Jobs in Europa.[2]


Worüber wird verhandelt?

TiSA befindet sich nach wie vor in der Verhandlungsphase, die verschiedenen Teile des Abkommens sind noch im Entwurf, es ist also noch nichts endgültig bestimmt. Bislang besteht TiSA aus einem Kerntext, der die grundsätzlichen Regelungen des Abkommens umreißt. Es ist den allgemeinen Regelungen des GATS sehr ähnlich, mit einigen Ergänzungen zu Transparenzregeln und zur gesetzgeberischen Kontrolle. Außerdem ergänzen 17 Anhänge den Kerntext und decken bestimmte Sektoren ab, darunter Onlinehandel, Telekommunikation, Finanzdienstleistungen, Verkehr, Energie, Transparenz und innerstaatliche Vorschriften. Dies ist neu verglichen mit dem GATS, das wesentlich weniger detaillierte Anhänge enthielt, die nur Finanzdienstleistungen, Telekommunikation und den Waren- sowie Personenverkehr umfassten.

Öffentlichem Druck nach mehr Transparenz in den TTIP-Verhandlungen nachgebend, hat die für die EU verhandelnde Europäische Kommission einige Akten veröffentlicht, welche die TiSA-Verhandlungen betreffen. Außerdem hat der Europäische Rat beschlossen, das Verhandlungsmandat zu veröffentlichen.[3] Wenn dies auch als Fortschritt in der Handelspolitik zu werten ist, muss doch angemerkt werden, dass die Verhandlungsakten nur einen kleinen Teil dessen widerspiegeln, was auf dem Tisch liegt. Es gestattet weder gemeinwohlorientierten Organisationen noch den BürgerInnen, vollständigen Überblick, worüber verhandelt wird.


Warum ist TiSA für VerbraucherInnen wichtig?

Das Abkommen ist wichtig, denn es betrifft Angelegenheiten wie den Einzelhandel über das Internet, Datenschutz, Finanzdienstleistungen und Telekommunikation. Billigere Preise und größere Auswahl wären gute Ergebnisse für die VerbraucherInnen. Im besten Fall sollte die Vereinbarung konkrete Vorteile bieten, etwa geringere Telekommunikationsgebühren, das Verbot von Geoblocking sowie sinnvolle Lösungen für den Fall fehlerhafter Lieferung. Doch bisher haben wir keinerlei Hinweis auf greifbare Vorteile dieser Art in den wenigen verfügbaren EU-Akten über TiSA gefunden.[4]

Mehr noch, so wie es gegenwärtig formuliert ist, wird TiSA die Regeln für den Handel mit Dienstleistungen verändern und sogenannte "Handelshemmnisse" abbauen. Maßnahmen des Verbraucherschutzes dürfen nicht als solche betrachtet werden. Beispielsweise wollen wir nicht in eine Lage kommen, in der TiSA-Partner von der EU verlangen können, zukünftig Bemühungen um eine Verbesserung der Vertragsrechte für VerbraucherInnen zu unterlassen, da diese Hindernisse für Handel darstellen könnten. TiSA muss gute, sichere Mechanismen beinhalten, die sicherstellen, dass das gegenwärtige und zukünftige Niveau des Verbraucherschutzes nicht gesenkt wird.


Der Spielstand in den Verhandlungen

Seit dem Beginn der Verhandlungen im März 2013 haben 16 Gesprächsrunden stattgefunden, alle unter einem hohen, an Geheimhaltung grenzenden Maß an Diskretion. Die EU, Australien und die USA richteten diese Gespräche gemeinsam in Genf aus, die letzten Runden wurden von der WTO organisiert. Die letzte Gesprächsrunde fand im Februar 2016 statt. Die EU veröffentlicht nun Berichte über die Gespräche. Im letzten Bericht spricht sie von gutem Fortschritt und dem Ziel, sich auf einen Vertragstext zu einigen. Die Verhandlungspartner arbeiteten intensiv an den Anhängen zu den Digital-Themen (Telekommunikation, Onlinehandel und Lokalisierungen), der Freizügigkeit für natürliche Personen, zu Finanzdienstleistungen und Transparenzfragen. Die 17. Runde wird im April stattfinden. Die Verhandlungspartner wollen in diesem Jahr weiter vorankommen und die Gespräche möglichst abschließen.


Europäische Kommission aufgepasst!

Am 3. Februar 2016 hat das Europäische Parlament (EP) eine Resolution verabschiedet, die umgrenzt, was für das EP ein akzeptables Ergebnis dieses Abkommens wäre, und Empfehlungen des EP an die Europäische Kommission hinsichtlich TiSA wiedergibt. Und ihre Botschaft ist klar: TiSA muss KonsumentInnen schützen und ihnen greifbare Vorteile bieten. Abgeordnete des EP erheben die gleichen Forderungen wie die oben genannten VerbraucherInnen. Außerdem raten sie den UnterhändlerInnen dazu, Kreditkartengebühren für Abhebungen im Ausland zu senken und Reisewarnungen für Touristen bestehen zu lassen. Dies sind zwei konkrete Beispiele dafür, wie Menschen - und nicht nur Firmen - vom Handel profitieren könnten. Das EP hat die VerhandlungsführerInnen aufgerufen, sicherzustellen, dass das Recht der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, Maßnahmen des öffentlichen Wohls durchzuführen und neue zu beginnen, von den TiSA-Partnern nicht infrage gestellt werden darf. Beispielsweise legt die Resolution fest, das Recht, "toxische" Finanzprodukte zu verbieten, müsse erhalten bleiben, ebenso wie der Schutz persönlicher Daten.


Zeigt mir die Texte!

Der Zivilgesellschaft wird vermittelt, es sei zu kompliziert, das Transparenzniveau von TiSA zu erhöhen, besonders weil 22 Partner daran teilnehmen. Obwohl die Kommission einige Verhandlungsakten und Berichte veröffentlicht hat, können gemeinwohlorientierte Organisationen sich nur auf geleakte Dokumente verlassen, wenn sie sich ein vollständiges Bild von Inhalt und Fortschritt der Gespräche machen wollen. Für einen Verhandlungsprozess des 21. Jahrhunderts lässt das noch viel zu wünschen übrig. Die Resolution des EP fordert zu mehr Transparenz und zu größerer Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen in den Verhandlungen auf. Dies würde einen aussagekräftigen Beitrag von GemeinwohlvertreterInnen gestatten und letztlich zu einem angemesseneren und nachhaltigerem Handelsabkommen führen.

Transparenz bei TiSA ist möglich, dies ist einfach eine Frage des politischen Willens. BürgerInnen werden dem fertigen Übereinkommen nicht vertrauen, wenn die Gespräche weiterhin im Geheimen stattfinden. Die Kommission muss in allen Handelsverhandlungen so transparent sein, wie sie es bei TTIP ist, so hat sie es in der 'Trade for all'-Publikation versprochen. [5] Mündliche Versicherungen, das Niveau des Verbraucherschutzes würde nicht gesenkt, genügen einfach nicht: Klare rechtliche Absicherungen müssen in die Texte aufgenommen werden.


Mitglieder des EP fordern ihren Platz am Verhandlungstisch

Die Resolution des EP darf nicht mit einer Billigung der Verhandlungen verwechselt werden. Sie ist eine Sammlung von Richtlinien, die definieren, welche Art von TiSA das EP akzeptiert und welche Art von Abkommen es ablehnen würde. Die Mitgliedsstaaten haben der Kommission ein verbindliches Mandat erteilt, in dem festgelegt wurde, was die Vereinbarung beinhalten soll. Die Kommission sollte auch diese Resolution berücksichtigen, obwohl sie nicht dazu verpflichtet ist.

In der Tat könnte das EP TiSA endgültig ablehnen, wenn die Vereinbarung keinen genügenden Schutz und keine greifbaren Vorteile für VerbraucherInnen sichert. Die UnterhändlerInnen sollten sich diesem Ruf nach Veränderung nicht verschließen: Sie müssen neu darüber nachdenken, wie sie über TiSA verhandeln.


Die Autorin arbeitet als Referentin für Handelspolitik bei BEUC, einem Dachverband für VerbraucherInneninteressen.

Aus dem Englischen von Raphael Ferres.


Anmerkungen

[1] Die Teilnehmerstaaten sind: Australien, Chile, China (Hongkong), Costa Rica, die EU, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Liechtenstein, Mauritius, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Peru, die Schweiz, Taiwan, die Türkei und die USA.

[2] Siehe dazu die Fragen und Antworten der Kommission zu TiSA:
http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/tisa/questions-and-answers/index_de.htm.

[3] Vergleiche den BEUC-Blogpost über das TiSA-Mandat:
http://www.beuc.eu/blog/tisa-mandate-a-simple-piece-of-paper-or-a-symbol-of-democratic-scrutiny/.

[4] Vergleiche das BEUC-Faktenpapier über TiSA:
http://www.beuc.eu/publications/beuc-x-2016-017_tisa_factsheet.pdf.

[5] Die "Trade for all"-Publikation wurde von der Europäischen Kommission im Oktober 2015 veröffentlicht. Sie definiert die Strategie für die Handels- und Investitionspolitik für die kommenden Jahre:
http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/october/tradoc_153846.pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2016, Seite 31-32
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2016

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