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AUSSENHANDEL/291: CETA - Wie geht es weiter? (spw)


spw - Ausgabe 2/2017 - Heft 219
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Meinung
CETA - Wie geht es weiter?

von Dietmar Köster


Das Europäische Parlament hat dem Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) nach heftigen öffentlichen und parlamentarischen Auseinandersetzungen am 16.02.2017 seinen Segen gegeben. 408 Abgeordnete stimmten dafür, 254 dagegen und 33 enthielten sich. Die Fraktionen der Konservativen und der Liberalen stimmten geschlossen dafür, die Linksfraktion geschlossen dagegen. Die Grünen votierten bei einer Enthaltung, die von der ehemaligen Fraktionssprecherin Rebecca Harms kam, dagegen. Aus der S&D-Fraktion stimmten 96 mit ja, 66 mit nein, 13 enthielten sich und 13 nahmen an der Abstimmung nicht teil. In der Gruppe der deutschen Sozialdemokraten votierten 16 dafür, fünf dagegen und drei enthielten sich. Drei nahmen nicht an der Abstimmung teil.

Mit dem Beschluss wird der europäische Teil des Abkommens vorläufig in Kraft treten. Von der vorläufigen Anwendung ist das Kapitel zum Investorenschutz, da es in die nationale Zuständigkeit fällt, ausgenommen. Damit beginnt eine neue Etappe in der Auseinandersetzung um CETA: Nun werden die 27 EU-Mitgliedstaaten in ihren nationalen Parlamenten über das Abkommen entscheiden, teilweise unter Einschluss der Regionalparlamente. In Deutschland wird auch der Bundesrat zustimmen müssen, wenn CETA in Kraft treten soll. Wegen der Regierungsbeteiligungen der Grünen in mehreren Bundesländern und der Landesregierung in Thüringen mit einem Ministerpräsidenten der Linkspartei stehen hier noch einige spannende Auseinandersetzungen bevor. Sollte nur ein Parlament der EU-Mitgliedstaaten CETA ablehnen, ist das komplette Abkommen gescheitert, so jedenfalls die Auffassung des Rechtsdienstes im europäischen Parlament.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass CETA im Zusammenhang mit den bevorstehenden Landtags- und Bundestagswahlen zu einem Stolperstein für künftige rot-(rot)-grüne-Projekte (R2G) werden kann. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich, dass CETA noch vor der Bundestagswahl im Bundestag und Bundesrat beraten und beschlossen wird.

CETA ist kein fortschrittliches Abkommen, trotz erzielter Verbesserungen

CETA ist trotz einiger Verbesserungen, die im parlamentarischen Beratungs- und Gesetzgebungsprozess durch die S&D-Fraktion und durch den Druck der außerparlamentarischen Bewegungen erzielt wurden, kein fortschrittliches Abkommen. Letztlich bleibt es hinter dem ohnehin schon weich gespülten Beschluss des letzten SPD-Parteikonvents im Vergleich zum ersten Beschluss aus 2014, in dem es zum Beispiel hieß zwischen Staaten mit funktionierendem Rechtsstaat sind "Investorenschutzvorschriften grundsätzlich nicht erforderlich", zurück.

Welche Verbesserungen konnten erzielt werden?

  • Nach anfänglicher Auffassung der Kommission sollte CETA als ein rein europäisches Handelsabkommen betrachtet werden, bei dem die nationalen Parlamente keine Mitentscheidungsbefugnisse haben sollten. Damit konnte sich die Kommission nicht durchsetzen. Mit der notwendigen Zustimmung der nationalen Parlamente ergeben sich erst wieder neue Eingriffsmöglichkeiten, um CETA zu verhindern. Das ist ein beachtlicher Erfolg der CETA-KritikerInnen.
  • Der neu geschaffene Investitionsgerichtshof ist im Vergleich zu den bisherigen privaten Schiedsgerichten ein Fortschritt. Die bisher in Freihandelsabkommen üblichen privaten Schiedsgerichte tagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sehen keine Einspruchsmöglichkeit vor, die handelnden Juristen wurden jeweils von den Streitparteien benannt, etc. All dies ist mit dem neuen Investitionsgerichtshof aufgehoben.
  • Kanada hat im Rahmen des Ratifizierungsprozesses weitere ILO-Kernarbeitsnormen anerkannt und will die achte Kernarbeitsnorm (zum Verbot von Kinderarbeit) auch unterzeichnen.

Damit konnten einige Verbesserungen erzielt werden, die Anforderungen des Beschlusses vom letzten Parteikonvent bleiben aber unerfüllt. Die größten Diskrepanzen zum letzten Konventsbeschluss sind:

  • Die Nichtdiskriminierung von inländischen gegenüber ausländischen Investoren ist nicht erfüllt. Ausländische Investoren dürfen im Gegensatz zu inländischen ein Sondergericht anrufen und zum Beispiel gegen "künftig entgangene Gewinne" klagen.
  • ArbeitnehmerInnen, VerbraucherInnen erhalten keine adäquaten Klagemöglichkeiten, wenn ihre Interessen verletzt werden.
  • Unklare Rechtsbegriffe wie "faire und billige Behandlung", "indirekte Enteignung", die zugunsten der Investoren vor dem neuen Investitionsgerichtshof ausgelegt werden können, bleiben bestehen.
  • Die Unabhängigkeit der RichterInnen des neuen Investitionsgerichtshofs ist nicht gewährleistet. So hängt zum Beispiel die Vergütung der RichterInnen von der Länge des Schiedsverfahrens ab.
  • Die öffentliche Daseinsvorsorge und damit die kommunale Selbstverwaltung sind letztlich nicht umfassend geschützt. Sie können Gegenstand von Schiedsverfahren werden. Der im Abkommen gewählte Negativlistenansatz bei der Öffentlichen Daseinsvorsorge ist trotz seiner Ausnahmen durch einen umfassenden und sehr komplizierten Anhang unzureichend. Der Positivlistenansatz ist eindeutig besser geeignet, um die Öffentliche Daseinsvorsorge umfassend zu sichern.
  • Ebenso ist das Vorsorgeprinzip nicht eindeutig gesichert.
  • Die Rolle der Joint committees im Verhältnis zum Europäischen Parlament bleibt unzureichend geklärt. Das Joint committee hat beispielsweise nach wie vor das Recht, unklare Rechtsbegriffe für den neuen Investitionsgerichtshof verbindlich zu definieren.
  • Die Kündigungsfrist von 20 Jahren verunmöglicht nahezu legislative Nachjustierungen durch die Vertragspartner.

Darüber hinaus ist zu betonen, dass CETA in seiner ganzen Anlage und Logik auf der neoliberalen Ideologie beruht, nach der die weltweite Entfesselung der Märkte zu Wachstum, Arbeitsplätzen und Wohlstand für alle führt. Die bisherigen Freihandelsabkommen und auch CETA werden nicht in das Interesse des öffentlichen Wohls und des Gemeinwesens gestellt. Die Logik der Dominanz der Märkte wird insbesondere daran deutlich, dass bei CETA das Ziel darin besteht, tarifäre (Zölle) und nicht-tarifäre Handelshemmnisse zu beseitigen. Und unter nicht-tarifären Handelshemmnissen können alle gesetzlichen Regelungen fallen. Damit gerät die demokratische Gesetzgebung unter Druck und in eine grundsätzlich defensive Rolle: Sie steht immer vor dem Problem, dass Verbesserungen für ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen als eine Beeinträchtigung der künftig erwartbaren Gewinne oder als eine "indirekten Enteignung" gesehen werden können und somit unter dem Druck möglicher Schadensersatzklagen stehen. Auf diese Weise werden Gewinninteressen von Investoren konstitutionalisiert, also rechtlich abgesichert. Diese Möglichkeit zugunsten der großen Investoren wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass dem Gesetzgeber das "right to regulate" (das Recht der Gesetzgebung) eingeräumt wird. Was ist das für ein Abkommen, in dem das Recht der Gesetzgebung explizit betont werden muss? Die Schaffung von Sondergerichten für große Investoren, der Negativlistenansatz, nach dem alle Bereiche der Daseinsvorsorge dem freien Markt unterworfen werden und dann über Ausnahmen nachgedacht wird, und anderes verdeutlichen, dass CETA eher den Weg in Richtung einer marktkonformen Demokratie festigt, statt den notwenigen Politikwechsel in Richtung einer sozial-ökologischen und demokratischen Reformperspektive in Europa zu fördern. Zudem zeigen die Analysen bisheriger Freihandelsabkommen, wie zum Beispiel NAFTA, dem Freihandelsabkommen zwischen den USA, Mexiko und Kanada, dass sich die Lebenslagen vieler ArbeitnehmerInnen verschlechtert haben.

CETA als Antwort auf Trumps Protektionismus und Nationalismus?

In den Wochen vor der Abstimmung im EP erhielt der Ausgang der Wahlen in den USA für die CETA-BefürworterInnen zentrale Bedeutung. Ihre Argumentation lautete: Angesichts der Politik des Nationalismus und Protektionismus des neuen US-Präsidenten müsse man den Freihandel fördern und CETA unterstützen. Diese Argumentation scheint ihre Wirkung in der Meinungsbildung über Freihandelsabkommen nicht zu verfehlen. So gab es Stimmen aus der Führungsriege der Grünen, die ihre ablehnende Haltung gegenüber CETA nach der Wahl Trumps aufgegeben haben. Aber muss man für CETA sein, wenn man gegen das Politikmodell Trumps ist?

Der Wahlerfolg Trumps ist das Ergebnis einer rechtspopulistischen Revolte gegen eine neoliberale Politik, die massiv die soziale Ungleichheit verschärft hat. Die neoliberale Entwicklung nicht nur in den USA, sondern auch in der EU schürt zum Beispiel bei Mittelschichtsangehörigen Ängste vor sozialem Abstieg, die dann für rassistische und nationalistische Parteien votieren. In ihren Programmen plädieren sie für den Rückzug in die nationale Wagenburg und erwecken die Illusion, damit für mehr Sicherheit zu sorgen. Sicherheitsängste werden auf Flüchtlinge und MigrantInnen projiziert. Die Globalisierung wird als zunehmender Kontrollverlust über die eigenen Lebenslagen wahrgenommen.

Diese Prozesse münden in eine Krise des Neoliberalismus: Die hegemoniale Vorstellung, man könne durch die Übernahme von Eigenverantwortung als Individuum im Rahmen des Marktes besser für seine eigene soziale Sicherheit sorgen als der Sozialstaat, trägt nicht mehr. In dieser gesellschaftspolitischen Lage werden Freihandelsabkommen zu Recht als eine Bedrohung wahrgenommen, die die Kontrollverluste über das eigene Leben verstärken. Somit ist zu befürchten, dass CETA mit seinen negativen Auswirkungen auf die Lebenslagen vieler BürgerInnen diese Entwicklung nach Rechts verstärken wird. CETA ist damit ein weiterer Baustein für den Aufstieg von Rechtspopulisten.

Eine Antwort auf Trump kann nur ein grundlegender Perspektivwechsel in der Handelspolitik sein, die das öffentliche Wohl und das Gemeinwesen gegenüber freien Märkten und deren Heilsversprechen priorisiert. Nur ein faires Handelsabkommen, das das Vertrauen der BürgerInnen besitzt, wäre ein Zeichen gegen das Wiedererstarken von Protektionismus und Nationalismus.

Vor diesem Hintergrund war es nur konsequent, als Sozialdemokrat CETA im EP abzulehnen. Dieses Nein entspricht den Forderungen der außerparlamentarischen Bewegungen, einschließlich denen der Gewerkschaften und beispielsweise des deutschen Richterbunds und der europäischen Richtervereinigung.

Neue Etappe der Auseinandersetzung um Freihandelsabkommen

Nun beginnt eine neue Etappe der Auseinandersetzungen über die Zukunft von Freihandelsabkommen im Allgemeinen und die von CETA im Besonderen. Darüber hinaus stellt sich die grundsätzliche Frage, wie die künftige internationale Handelspolitik aussehen soll? Wird TTIP noch mal eine Rolle spielen? Was wird mit TISA passieren? Weitere Abkommen beispielsweise mit Japan stehen vor dem Abschluss.

Wer glaubt, internationale Handelspolitik wie bisher betreiben zu können, wird den Entfremdungsprozess zwischen BürgerInnen und den EU-Institutionen vertiefen. Eine Entwicklung, die angesichts der großen gesellschaftspolitischen Krise der EU unverantwortlich ist und den antieuropäischen Kräften zu pass kommt. Jedenfalls scheint die Politik der absoluten Intransparenz und der privaten Schiedsgerichte vorbei zu sein. Sicherlich ein Erfolg der außerparlamentarischen Bewegungen und der Kritik sowie der Gestaltung des Abkommens durch die europäische Sozialdemokratie. Allerdings bleibt das Erreichte hinter dem Notwendigen zurück, um in der internationalen Handelspolitik, die Vormachtstellung großer Investoren zu brechen und einen fairen Interessenausgleich zu erreichen. Insbesondere muss die Handelspolitik der EU mit den afrikanischen Staaten einer kritischen Umgestaltung unterzogen werden. Notwendig sind neue programmatische Anstrengungen, die sich an dem Prinzip der Nachhaltigkeit orientieren und die Abkommen multilateral ausrichten. Die Debatte über künftige Handelsabkommen ist ein zentrales Handlungsfeld, in dem sich entscheiden wird, ob die Krise des Neoliberalismus in Richtung eines antieuropäischen Autoritarismus übergeht oder die Kräfteverhältnisse sich zugunsten eines Politikwechsels im Sinne eines solidarischen Europas verschieben. Dies sind Herausforderungen, der sich auch die Parteilinke zu stellen hat.


Dietmar Köster
(S&D-Fraktion) ist seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments, Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) und der US-Delegation sowie stellvertretendes Mitglied Ausschuss für Kultur und Bildung (CULT). Der Professor für Soziologie der FH Dortmund ist im SPD-Unterbezirk Ennepe-Ruhr (NRW) beheimatet und Vorstandsmitglied des Forums DL.21.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2017, Heft 219, Seite 11-14
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2017

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