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HAUSHALT/058: Geld für Europa - Haushalt, mehrjähriger Finanzrahmen und Reformoptionen ... (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Referat Internationale Politikanalyse

Geld für Europa - Haushalt, mehrjähriger Finanzrahmen und Reformoptionen für die EU-Eigenmittel

Von Sebastian Petzold, Dezember 2010


• Die öffentlichen Finanzen in der Europäischen Union sind von der Finanz- und Wirtschaftskrise stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Mitgliedstaaten stehen unter erheblichem Konsolidierungsdruck, wovon im Jahr 2011 die Verhandlungen über einen neuen mittelfristigen Finanzrahmen ab 2014 betroffen sein werden. Es geht um die Finanzen der EU bis zum Jahr 2020 - und somit um eine zentrale Kategorie für die Konfiguration Europas nach der Krise.

• Neben notwendigen Verhandlungen um konkrete Haushaltsgrößen, vor allem zwischen alten und neuen Mitgliedstaaten, kommt es auf eine zukunftsfähige politische Neuausrichtung des Budgets an. Die Finanzen der EU müssen zu einem Baustein der neuen Wachstumsstrategie werden und die neuen Aufgaben nach dem Vertrag von Lissabon adäquat abbilden.

• Einnahmen- und Ausgabenseite sowie das komplizierte Rabattsystem müssen ganzheitlich in Reformbemühungen einbezogen werden, um den schwierigen Ausgleich zwischen den starken europäischen Institutionen, insbesondere dem Europäischen Parlament, und den Mitgliedstaaten erreichen zu können.

• Auf der Einnahmenseite wird die Diskussion über die Einführung einer EU-Steuer zu führen sein, wenn Einnahmen- und Ausgabenseite strategisch und transparent ausgerichtet werden sollen. Auf dem Weg zu einem neuen Eigenmittelbeschluss könnte eine Verbreiterung der Einnahmequellen bei paralleler Rückführung der nationalen Überweisungen einen wichtigen Integrationsschritt darstellen.


Einleitung

»Das nächste Mal werden wir uns an die Gurgel springen«.(1) So beschrieb der damalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel die Stimmungslage der europäischen Staats- und Regierungschefs zum Abschluss der Verhandlungen über die finanzielle Vorausschau der EU für die Jahre 2007 bis 2013. In einem nicht minder konfliktreichen politischen Umfeld befindet sich die EU vor dem offiziellen Vorschlag der Europäischen Kommission für einen neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die Jahre ab 2014. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat tiefe Spuren in den öffentlichen Haushalten der europäischen Mitgliedstaaten hinterlassen. Eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes steht bevor, womöglich gar Änderungen des Vertrages von Lissabon. Ab 2011 werden die nationalen Haushaltsaufstellungen im Rahmen des Europäischen Semesters koordiniert. Von der Krise der öffentlichen Haushalte und des Währungsgebietes werden ab Mitte 2011 auch die Verhandlungen über den neuen MFR geprägt sein.

Die ersten Ausläufer der anstehenden Konflikte sind kaum zu übersehen. Im Sommer 2010 wagte sich EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski mit einem Vorschlag zur Einführung einer EU-Steuer in die Öffentlichkeit, der in einem angespannten finanzpolitischen Klima postwendend von fast allen Mitgliedstaaten zurückgewiesen wurde. Kurze Zeit später reklamierten die neuen Mitgliedstaaten eine unveränderte Fortsetzung der bisherigen Struktur- und Kohäsionspolitik. Zuletzt machten die europäischen Finanzen von sich reden, als Mitte November 2010 die Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament und Rat über den Haushalt für das Jahr 2011 scheiterten.


Budget Review, MFR und EU-Haushalt 2011

Die Verhandlungsspielräume im Finanz- und Haushaltssystem der EU sind weitgehend erschöpft. Der EU-Haushalt hat eine Reihe von Problemen: Mit dem Budget werden im nennenswerten Umfang - vor allem über die Strukturfonds und die Gemeinsame Agrarpolitik - Projekte finanziert, die nur sektoral oder regional wirken. Das führt zu einem Anreizproblem und zur Fixierung der Mitgliedstaaten auf ihre Nettozahlerposition, also dem Saldo aus eingesetztem Geld und den Mitteln die ins Land zurückfließen. Die in dieser Logik entstehenden Missverhältnisse werden über ein kompliziertes Einnahmen- und Rabattsystem auszugleichen versucht, das ausgereizt und unzeitgemäß scheint. Der Haushalt macht mit rund 130 Milliarden Euro pro Jahr zudem nur rund ein Prozent des europäischen Bruttoinlandsproduktes aus und entfaltet so kaum eine Lenkungswirkung. Seine Struktur wird von Mitteln für Kohäsions- und Agrarpolitik dominiert, die rund 80 Prozent aller Ausgaben auf sich vereinigen.

Direktes Ergebnis der konfliktreichen Verhandlungen über den Finanzrahmen 2007-2013 war der Auftrag an die Europäische Kommission, eine vollständige, weitreichende Überprüfung vorzunehmen, die sämtliche Aspekte der EU-Ausgaben - einschließlich der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Eigenmittel sowie der Ausgleichszahlung an das Vereinigte Königreich - abdeckt, und darüber in 2008/2009 Bericht zu erstatten. Am 19.10.2010 legte die Kommission die Mitteilung zur Überprüfung des EU-Haushalts vor.(2) Darin wird die zukünftige Struktur des EU-Haushalts stärker mit den Zielen der Zehnjahresstrategie Europa 2020 verknüpft. In einem modernisierten Haushalt kommt es der Kommission zufolge auf eine neue Zielausrichtung an, mit der die politischen Prioritäten eines nachhaltigen, intelligenten und integrativen Wachstums fokussiert werden und eine stärkere Orientierung am europäischen Mehrwert stattfindet. Die Kommission spricht sich zudem für eine Verlängerung der Laufzeit des MFR um fünf Jahre aus; zur Halbzeit soll eine Überprüfung stattfinden (»5+5«).

Auch die Forderung nach einer verbreiterten Einnahmeseite findet sich in dem Papier wieder. Die Kommission beklagt mit Blick auf die Haushaltsverhandlungen der letzten Jahre eine Fixierung der Mitgliedstaaten auf ihre Nettozahlerposition und - damit verbunden - eine geringe Orientierung auf Projekte, die einen europäischen Mehrwert bieten. Mit Ausnahme der Zollabgaben bestehe zwischen den Haushaltseinnahmen und den politischen Maßnahmen der EU kein Zusammenhang mehr. Die Kommission strebt keine Erhöhung des Haushaltsumfangs an, sondern eine andere Zusammensetzung der Einnahmen. Sie schlägt die schrittweise Einführung einer neuen Einnahmeart vor, die es ermöglichen soll, andere Einnahmearten zu verringern oder auslaufen zu lassen und schrittweise sämtliche Korrekturmechanismen aufzugeben. Die Beiträge der Mitgliedstaaten sollen vereinfacht werden. Wesentliche Elemente der Finanzierung sollen dabei unangetastet bleiben: eine ausreichende und solide Finanzierung des Haushalts, die Wahrung der Haushaltsdisziplin und ein Mechanismus zum Ausgleich des Haushalts. Als Einnahmequelle kann sich Brüssel verschiedene Abgaben vorstellen:

• eine europäische Energiesteuer,
• eine europäische Mehrwertsteuer,
• eine europäische Körperschaftssteuer,
• eine Luftverkehrsabgabe,
• eine Beteiligung des Finanzsektors oder
• Einnahmen aus der geplanten Versteigerung von CO²-Emissionszertifikaten.

Der Europäische Rat im Dezember 2010 wird nun Schlussfolgerungen zum EU-Haushalt verabschieden. Die offiziellen Verhandlungen über den neuen MFR werden nach der Vorlage eines Vorschlags der Kommission im Juni 2011 beginnen. Bis zu diesem Zeitpunkt wird das Europäische Parlament, das einen Sonderausschuss zur Überprüfung des EU-Haushalts eingerichtet hat, seinerseits einen Bericht vorlegen. Es ist davon auszugehen, dass dieser die Forderung eines Phasing-In neuer Eigenmittelquellen enthalten wird. Desweiteren wird das Europäische Parlament voraussichtlich auch andere Forderungen wieder ins Feld führen, vor allem den Anspruch auf eine gewisse Flexibilität innerhalb der Haushaltsrubriken. Gerade die Forderung danach war einer der kritischen Punkte, der die Verhandlungen zwischen Parlament und Rat über den EU-Haushalt 2011 im November 2010 zum Scheitern brachte. Der Rat will sich nicht festlegen und konterkariert überdies die Forderungen des Parlaments nach einer verbindlichen Vereinbarung über dessen prozedurale Einbindung im Verfahren zur Aufstellung des MFR.


Herausforderungen und Konflikte

In einem fiskalpolitisch schwierigen Umfeld werden die europäischen Institutionen darauf drängen, ausreichend Mittel für die neuen - aus dem Vertrag von Lissabon erwachsenden - Aufgaben zu erhalten, insbesondere beim Europäischen Auswärtigen Dienst oder dem bisher unterfinanzierten Bereich der Innen- und Rechtspolitik. Das Europäische Parlament wird in der anstehenden Verhandlungsrunde zum MFR neue Rechte gewinnen und ist durch das Mitentscheidungsverfahren Teil der Gesetzgebung. Ohne eine echte inhaltliche Einigung zwischen Rat und Parlament wird es daher keinen neuen Finanzrahmen geben. Bisweilen erwecken die nationalen Regierungen den Eindruck, diese wichtige prozedurale Neuerung noch nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Gerade der Einfluss des Parlaments wird es für die Mitgliedstaaten auf Dauer kompliziert machen, sich jeder Forderung kompromisslos entgegenzustellen - auch der nach neuen EU-Eigenmitteln. Ein weiterer institutioneller Neuling wird die Verhandlungen nicht unmaßgeblich beeinflussen: der ständige Ratspräsident Herman van Rompuy. Seine mögliche Wiederwahl steht für das Jahr 2012 an, wird also im Lichte des Abschlusses der Verhandlungen zum MFR stehen. Seine Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten sind ein nicht zu unterschätzendes Gewicht bei den Verhandlungen, gerade wenn diese zäh werden sollten. Die Rolle van Rompuys wird umso wichtiger, wirft man einen Blick auf die rotierenden Präsidentschaften, die in den nächsten Monaten das Heft des Handelns in der Hand halten werden und von denen taktgebendes Auftreten eher weniger zu erwarten ist: Ungarn, Polen, Dänemark und Zypern.

Wenn es um konkrete Mittel geht, gibt es klare Konfliktlinien. Dabei deutet sich ein Ost-West-Konflikt an. Die Absorptionskapazität der neuen Mitgliedstaaten ist deutlich gestiegen, ihre ökonomische Leistungsfähigkeit hat sich erhöht und damit stehen ihnen mehr Mittel zu. Bleibt es bei der bisherigen Praxis der Strukturpolitik, können die neuen Mitgliedstaaten mit einem erheblichen Zuwachs von Mittelzuflüssen rechnen. Dies würde im Umkehrschluss - bei einem gleichbleibenden Volumen des Haushaltes - weniger Rückflüsse für die alten Mitgliedstaaten bedeuten. Das Netzwerk der Visegrád-Staaten (Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen) artikuliert seine Forderungen nach einer Fortschreibung des Status quo der Strukturpolitik deutlich.(3)

Auch bei den Mittelzuflüssen der Agrarpolitik liegen die neuen deutlich hinter den alten Mitgliedstaaten zurück. Diese berechnen sich seit dem Jahr 2000 vornehmlich als Flächenprämie und weisen eine hohe Spreizung auf. Erhält Griechenland beispielsweise knapp 500 Euro pro Hektar, gibt es auch Staaten, die lediglich 50 Euro erhalten. Die neuen Mitgliedstaaten werden auf eine Nivellierung drängen und mehr Mittel einfordern, da sie seit dem Beitritt 2004 deutlich unter dem EU-weiten Durchschnitt liegen. Beispielrechnungen der Bundesregierung gehen davon aus, dass es zu einem deutlichen Einbruch bei den deutschen Rückflüssen kommen könnte,(4) falls es nicht zu einer deutlichen Erhöhung des Agrarhaushaltes komme, die jedoch niemand ernsthaft will. Um bis zu 50 Prozent könnte sich die deutsche Nettozahlerposition verschlechtern. Ein Papier der deutschen und französischen Landwirtschaftsminister schließt eine von der Kommission befürwortete Nivellierung der Mittel bisher aus.

Die Arten der Eigenmittel der EU bestimmen sich nach dem jeweils gültigen Eigenmittelbeschluss des Rates. Derzeit stehen der EU drei Einnahmequellen zur Verfügung: (1.) die traditionellen Eigenmittel (TNE), das sind Agrarabschöpfungen, Zuckerabgaben und Zölle. Desweiteren stehen dem europäischen Haushalt (2.) ein festgelegter Anteil der nationalen Mehrwertsteuer (derzeit 0,3 Prozent) zu. Den größten Einnahmeposten machen mittlerweile (3.) die Eigenmittel aus nationalen Überweisungen aus, die sich am Bruttonationaleinkommen orientieren (BNE-Eigenmittel) und sich derzeit auf 1,23 Prozent (Eigenmittelobergrenze) belaufen. Die Struktur der Zusammensetzung der Einnahmen hat sich im Laufe der Jahre sehr stark verändert. Heute sind die BNE-Eigenmittel, die ursprünglich lediglich als Residualgröße für die Deckung des Haushaltes vorgesehen waren, mit 76 Prozent der deutlich größte Einnahmeposten. Der Anteil der Mehrwertsteuer macht 11 Prozent aus, die TNE nur noch 12 Prozent.

Das System ist zudem von einer Reihe von Rabatten auf der Einnahmeseite geprägt, mit denen die ungleiche Verteilung auf der Ausgabenseite kompensiert werden soll. Dabei ist der Briten-Rabatt sicher der prominenteste.(5) Auf den Rabatt für Großbritannien gibt es mittlerweile jedoch weitere Rabatte für andere Mitgliedstaaten. Diese fallen bei einigen Nettozahlern an, die einen geringeren Abrufsatz auf ihre Mehrwertsteuer-Eigenmittel entrichten müssen. Der Normalsatz beträgt 0,3 Prozent, für Deutschland gelten 0,15 Prozent, für die Niederlande 0,1 Prozent, für Österreich 0,225 Prozent und für Schweden 0,1 Prozent. Die »Rabatte auf den Rabatt« laufen aus, während der Briten-Rabatt unverändert fortläuft. Darüber hinaus gibt es viele weitere Sonderregelungen. Das Rabattsystem sorgt insgesamt für einen komplizierten Aushandlungsprozess.


Reformoptionen bei den Eigenmitteln

Seit Langem wird über die Einführung einer EU-Steuer debattiert. Befürworter argumentieren, somit zu einer stärkeren Beitragsgerechtigkeit gelangen zu können, eine erhöhte finanzielle Autonomie der EU in den ihr übertragenen Politikfeldern zu erzielen sowie eine wesentlich höhere Transparenz und eine stabile Budgetdisziplin durch die Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger gegenüber den Repräsentierten zu erreichen. Dies würde die politische Sichtbarkeit und Akzeptanz der EU erhöhen. Eine Rückführung der nationalen Beiträge könnte überdies die Nettozahlerlogik durchbrechen und für einen Haushalt sorgen, der stärker am europäischen Mehrwert der Ausgaben ausgerichtet ist.

Von Kritikern wird hingegen eingewandt, dass eine autonome Einnahmequelle gerade eine schwächere Budgetrestriktion zur Folge hätte, also zu Ausgabenerhöhungen führen würde. Erforderlich sei, dass die Steuerzahler über effektive Möglichkeiten verfügen, Kontrolle auszuüben. Die Durchsetzung eigener Steuerpräferenzen sei dem Bürger auf nationaler Ebene weit besser möglich als auf EU-Ebene. Des Weiteren würde das »juste retour«-Denken, das Denken in Nettosalden, durch eine neue Einnahmequelle keineswegs beseitigt, da die Ungerechtigkeiten im System eher mit der Ausgaben- und nicht mit der Einnahmenseite zu tun hätten. Mit einer Verringerung des Konfliktpotenzials bei den Verhandlungen um die EU-Finanzierung sei also nicht zu rechnen. Die Forderung nach Finanzautonomie lasse sich erst dann begründen, wenn das EU-Budget vorrangig der Finanzierung europäischer öffentlicher Güter diene und nicht der finanzielle Interessenausgleich zwischen den Mitgliedstaaten im Vordergrund stehe. Andernfalls seien auch weiterhin Korrekturmechanismen notwendig.

Es kursiert seit einigen Jahrzehnten eine Vielzahl von möglichen Einnahmequellen. Jede hat Vor- und Nachteile und ist nach ihrer konkreten Wirkung zu befragen. Die Einführung einer bestimmten Einnahmequelle hängt entscheidend von den an sie angelegten Kriterien ab. Nicht jede neue Einnahmequelle ist ökonomisch sinnvoll oder politisch wünschenswert.

Verbrauchssteuern wirken in der Regel regressiv und würden schwächere Mitgliedstaaten stärker belasten als derzeit. So etwa bei einer europäischen Mehrwertsteuer, die eine höhere Konsumneigung bestraft. Das gleiche gilt für energiebezogene Einnahmen, die zudem Staaten mit großem Atomstromsektor entlasten könnte. Als mögliche Option wird auch eine europäische Körperschaftssteuer diskutiert. Diese ist politisch schwer durchsetzbar; bislang scheiterten schon die Verhandlungen über die Harmonisierung von Bemessungsgrundlagen. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT) ist politisch derzeit nicht wahrscheinlicher. Sie ist zudem vielfach bereits national zur Vorbeugung kommender Finanzkrisen sowie zur Bekämpfung von Klimawandel und Armut verbucht. Ähnlich verhält es sich mit Luftverkehrsabgaben und CO²-Emissionszertifikaten. Eine neue Eigenmittelquelle sollte zumindest einen Bezug zu einem vergemeinschafteten Politikfeld aufweisen und in ihrer Verteilungswirkung beherrschbar sein.

Eine neue Eigenmittelquelle wäre, im Gegensatz zu den Überweisungen aus den nationalen Haushalten, eine volatile Einnahmequelle und müsste in konjunkturellen Schwächephasen ausgeglichen werden. Diese Konjunkturabhängigkeit der Einnahmen wird wohl nicht ohne die Einrichtung neuer Kompensationsmechanismen auskommen. Kritisch sind ebenso nationale Unterschiede in der Behandlung von Steuerhinterziehungen und bei der verwaltungstechnischen Effizienz der Steuereintreibung.


Fazit und Ausblick

In den kommenden Verhandlungen zum MFR wird neben der Frage der konkreten Ausrichtung der Ausgaberubriken, der strategischen Verknüpfung des Budgets mit europäischen Prioritäten und dem Kriterium der Flexibilität auch die Frage nach Art und Umfang möglicher neuer Einnahmequellen virulent. Hierfür werden das Europäische Parlament und auch die fiskalischen Schwierigkeiten der nationalen Haushalte sorgen. Ob neue Einnahmequellen kommen oder nicht - der Auseinandersetzung darüber muss sich eine verantwortliche Europapolitik stellen, denn es geht um die Ausgestaltung des europäischen Haushalts bis zum Jahr 2020 und um die Überwindung der Schwächen des aktuellen Finanzierungsmechanismus. Wahrscheinlich scheint zumindest eine Regelung, die den Einstieg in eine autonomere Finanzierung der EU leisten kann.

Dabei ist zu differenzieren nach einer (1.) Übertragung einer eigenständigen Steuerkompetenz auf die EU und der (2.) Erweiterung des bestehenden Eigenmittelsystems um eine neue Einnahmequelle bzw. Steuer, deren direkter Gläubiger die EU wäre. Die erste Alternative würde eine Änderung der Verträge verlangen und eine Abtretung nationaler Steuerkompetenz auf die EU darstellen. Ob dies mit der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen wäre, ist äußerst zweifelhaft. Im Rahmen der zweiten Alternative würde allein die Steuerertragskompetenz, also das Recht auf die Zuweisung der Mittel, auf die EU übertragen, während die Festsetzung der genauen Modalitäten und Steuersätze einer neuen Einnahmequelle durch die Mitgliedstaaten im Eigenmittelbeschlussverfahren erfolgen könnte. Es käme also zu einer Erweiterung des bisherigen Eigenmittelkataloges um eine weitere Steuerquelle. Dies ist in den Verträgen explizit angelegt.

Die Einführung einer neuen EU-Eigenmittelquelle ist demnach formal möglich, wenn den nationalen Parlamenten die fiskalischen Grundentscheidungen verbleiben, was über den Eigenmittelbeschluss sichergestellt werden könnte.

Als Kriterien für die Einführung einer neuen Eigenmittelquelle kämen in Betracht:

• die Beitragsgerechtigkeit zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihre ökonomische Leistungsfähigkeit,
• die Verwirklichung horizontaler und vertikaler Gleichheit,
• die Stabilität der Einnahmen und gegebenenfalls adäquate Ausgleichmechanismen,
• ein ausreichendes Einnahmevolumen und
• die Verknüpfung der Einnahmequelle mit konkreten EU-Politikfeldern.

Klar ist auch: Eine Reform der Einnahmenseite muss mit einer Reform der Ausgabenseite einhergehen. Hier haben die Vorlagen der Europäischen Kommission die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Inwieweit sich diese auch in den konkreten Verhandlungsergebnissen wiederfinden, wird für ein Mehr an Finanzautonomie bei den Einnahmen entscheidend sein.


Anmerkungen:
(1) Michael Frank und Stefan Kornelius: Schüssel greift Europäischen Gerichtshof an, in: Süddeutsche Zeitung vom 31.12.2005.
(2) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die nationalen Parlamente: Überprüfung des EU-Haushalts (KOM(2010)700 endg.).
(3) Konrad Schuller: Polen zieht in die »wichtigste Schlacht« seit dem EU-Beitritt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.8.2010.
(4) Silke Wettach: EU-Haushalt: Explosion der deutschen EU-Zahlungen befürchtet, in: Wirtschaftswoche vom 30.8.2010.
(5) Der Rabatt wächst dynamisch mit den Ausgaben mit und verbessert die britische Nettoposition mittlerweile um 0,3 Prozent des BNE. Großbritannien werden zwei Drittel (66 Prozent) seines Nettosaldos durch die Senkung seiner Mehrwertsteuer-Bemessungsgrundlage erstattet. Im Haushalt 2010 sind dafür ca. 4 Mrd. Euro veranschlagt. Der Briten-Rabatt müsste einstimmig vom Rat abgeschafft werden und ist ratifizierungspflichtig, müsste also auch das britische Parlament passieren.


Über den Autor:
Sebastian Petzold ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Referent im Deutschen Bundestag.

Die Internationale Politikanalyse (IPA) ist die Analyseeinheit der Abteilung Internationaler Dialog der Friedrich-Ebert-Stiftung. In unseren Publikationen und Studien bearbeiten wir Schlüsselthemen der europäischen und internationalen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Unser Ziel ist die Entwicklung von politischen Handlungsempfehlungen und Szenarien aus der Perspektive der Sozialen Demokratie.

Diese Publikation erscheint im Rahmen der Arbeitslinie »Internationale Wirtschaftspolitik«, Redaktion: Dr. Björn Hacker, bjoern.hacker@fes.de

Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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ISBN: 978-3-86872-597-1


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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2010