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UNTERNEHMEN/214: Britische und deutsche Unternehmen sehen Brexit als Gefahr (idw)


Bertelsmann Stiftung - 15.02.2016

Britische und deutsche Unternehmen sehen Brexit als Gefahr

Die britischen Europaskeptiker trommeln für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und verkaufen ihren Bürgern solch einen Brexit als einen Gewinn. Doch Großbritanniens Interessen und Vorteile liegen eindeutig innerhalb der EU, das sagen Unternehmenslenker und Wirtschaft - und zwar auf beiden Seiten des Ärmelkanals.


Gütersloh, 15. Februar 2016. Vier von fünf Unternehmensführern in Großbritannien und Deutschland sprechen sich klar gegen ein Ausscheiden des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union aus, wie es das geplante Referendum der britischen Regierung zur Abstimmung stellen will. Dabei sagen sie als Folge eines Austritts vielfach negative Effekte für Arbeitsmärkte, Umsätze und Investitionen der eigenen Branchen und in ihren Unternehmen voraus. Die überwiegend negative Einschätzung ergibt sich dabei in beiden Ländern und unabhängig von Branchen. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen repräsentativen Befragung durch die britische Economist Intelligence Unit im Auftrag der deutschen Bertelsmann Stiftung.


Danach wünschen sich 79% der befragten Unternehmer, Geschäftsführer und leitenden Angestellten, das Vereinigte Königreich solle in der EU verbleiben. In Deutschland liegt der Anteil mit 83% sogar noch etwas höher als im Vereinigten Königreich mit 76%. Mit über 80% sprechen sich in Großbritannien die Vertreter des verarbeitenden Gewerbes, von IT- und Technologiefirmen, des Einzelhandels und der Konsumgüterbranchen am stärksten für einen Verbleib in der EU aus. Dieses eindeutige Ergebnis überrascht, denn für die Befragung wurde bei einem Brexit von einem "Best Case Scenario" für die Briten ausgegangen. Danach würde das Vereinigte Königreich die EU nur als politische Einheit verlassen, wäre jedoch weiterhin Mitglied des Binnenmarktes. Das Land würde somit einen Status ähnlich dem der Schweiz oder Norwegens genießen.

Doch auch in dieser Variante eines Teilausstiegs aus der EU befürchten die befragten Unternehmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals bereits erhebliche nachteilige Effekte für die Wirtschaft. So sehen 42% der Befragten negative oder sogar sehr negative Effekte für den jeweiligen nationalen Arbeitsmarkt voraus; lediglich 13% glauben, ein solcher Schritt habe positive Auswirkungen auf nationale Beschäftigungsraten und die Arbeitslosigkeit. Diese Befürchtungen sind dabei in Großbritannien mit 44% etwas stärker ausgeprägt als in Deutschland mit 39%.

Negative Effekte befürchten die Unternehmenslenker auch für die eigenen Wirtschaftsbranchen: 38% der Befragten befürchten negative Auswirkungen auf die Umsätze, 33% auf Investitionen und 34% auf die Beschäftigung. Dabei zeigen sich die Unternehmen in Großbritannien nochmals pessimistischer als in Deutschland.

Auch für die eigenen Unternehmen sehen die Befragten diese Tendenzen als reale Bedrohung. Drei Jahre nach einem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU erwarten 36% Einbrüche bei den Umsätzen, 31% bei den Investitionen und 29% negative Folgen für die Anzahl der Beschäftigten in den eigenen Unternehmen.

Am deutlichsten werden die negativen Folgen bei der Frage nach unternehmerischen Entscheidungen. So will fast jedes dritte aller befragten Unternehmen (29%) auf beiden Seiten des Kanals entweder seine Kapazitäten in Großbritannien verringern oder von der Insel weg verlagern. Dies gilt gleichermaßen für deutsche (29%) wie britische (28%) Unternehmen. Am stärksten sind solche Absichten im IT-Sektor mit 41% ausgeprägt, aber auch 33% der befragten Finanzunternehmen kündigen eine Reduzierung oder Verlagerung von Kapazitäten aus Großbritannien an.

Für Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, ist die Umfrage ein klares Votum für einen Verbleib Großbritanniens in der EU: "Am Vorabend der Verhandlungen sagen uns die Wirtschaftslenker auf beiden Seiten des Ärmelkanals: Im Falle eines Brexit haben wir alle viel zu verlieren. Die Befürchtungen für Arbeitsplatz- und Wohlstandsverluste sind reale Bedrohungen. Die europäischen Regierungschefs haben daher eine enorme Verpflichtung, jetzt Kompromisse zu finden."

Ein Hinweis auf Kompromisslinien und die Ursache manchen Unbehagens zeigt die Umfrage ebenfalls auf. Als größte Vorteile der Mitgliedschaft in der EU bezeichneten 52% der befragten Unternehmen die Mitgliedschaft im gemeinsamen Binnenmarkt und 22% den europaweiten Arbeitsmarkt. Als schwerwiegendste Probleme nannten sie komplexe Regulierungsvorschriften innerhalb der EU (34%) und Unsicherheiten über die Zukunft des Euros (22%).

Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2015 würde - je nach Ausmaß der handelspolitischen Abschottung Großbritanniens - das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner im Jahr 2030 im Vereinigten Königreich zwischen 0,6% und 3% geringer ausfallen als bei einem Verbleib in der EU.


Über die Studie:
Die Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung wurde zwischen den Monaten November und Dezember 2015 durch die Economist Intelligence Unit durchgeführt. Von den 782 befragten Unternehmensvertretern hatten 404 (52%) ihren Unternehmenssitz im Vereinigten Königreich, 378 (48%) in Deutschland. Die vier meistvertretenen Branchen in der Umfrage waren "Finanzen" (130), "Konsumentengüter/Einzelhandel" (108), "IT/Technologie" (110) und "Produktion" (163). Die Befragten waren allesamt Abteilungsleiter oder höher angesiedelt, davon 346 auf C-Level (CEO, CFO etc.) oder höher. Alle Unternehmen hatten einen Mindestjahresumsatz von 10 Millionen Euro, 420 Unternehmen sogar einen Umsatz von über 500 Millionen Euro. Alle Ergebnisse der Umfrage sind statistisch signifikant.


Weitere Informationen unter:
http://www.bertelsmann-stiftung.de
www.ged-project.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution605

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Bertelsmann Stiftung, Norbert Osterwinter, 15.02.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2016

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