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BERICHT/019: Barcelona - Wissenschaft an der Straßenecke (research*eu)


research*eu Nr. 56 - Juni 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Barcelona: Wissenschaft an der Straßenecke


"Der wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt bis 2010", mit diesen Worten wurden im Jahr 2000 die Grundsätze der Lissabonner Strategie formuliert, um eine künftige Europäische Union auf dem Weg zu einer "Wissensgesellschaft" zu beschreiben. Wie sollten der Gesellschaft die lebenswichtigen Fragestellungen der Wissenschaft vermittelt werden? Im vergangenen Dezember fand an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona (ES) das erste Europäische Forum für Wissenschaftsjournalismus statt, das viele Aspekte rund um dieses Thema behandelte.


"Wissenschaft ist das angenehmste Thema im Journalismus" wirft der BBC-Journalist Quentin Cooper mit einem Lächeln gleich zu Anfang ein. "Denn im Gegensatz zu Politikern und Stars, die ständig im Kreuzfeuer der Medien stehen, fühlen sich die Wissenschaftler eher geschmeichelt, wenn man sie um ein Interview bittet..." Cooper hat Recht: Forscher haben allgemein ein großes Kommunikationsbedürfnis. Nach diesen aufbauenden Worten haben die zwei Tage des Forums, an dem rund 200 Kommunikationsexperten von fünf Kontinenten teilnahmen, jedoch auch gezeigt, dass der Wissenschaftsjournalismus, so spannend er auch sein mag, ein höchst anspruchsvoller Beruf ist.


Wissenschaft und Gesellschaft: die große Kluft

Als Vermittler per se hat der Journalist die Aufgabe, den Dialog zwischen zwei Welten aufrechtzuerhalten: einerseits der Welt der Wissenschaft und andererseits der Welt der Gesellschaft und der Medien, auch wenn sich diese beiden Universen, jedes auf seine Weise, in einem großen Transformationsprozess befinden. "Wissenschaft und Gesellschaft befinden sich nicht mehr im Gleichklang, wie dies vor einigen Jahrzehnten noch der Fall war: Damals half die Wissenschaft der Gesellschaft", erläuterte Alan Leshner, Geschäftsführer der AAAS, American Association for the Advancement of Science, in seinem Beitrag. "Diese Abspaltung schadet beiden Seiten, und das helfende Eingreifen der Journalisten ist mehr als notwendig, um Konflikte zu lösen."

Von Nahrungsmitteln bis Textilien - es gibt keinen Winkel der Gesellschaft mehr, der nicht von technologischer Forschung durchdrungen ist, die einer sich ständig weiterentwickelnden Wissenschaft entspringt. In der Folge passen sich unsere Lebensweisen, die von einer wachsenden Abhängigkeit gekennzeichnet sind, an dieses omnipräsente Arsenal der Technik an. Die Wissenschaft erobert damit in der Form von Innovation alle Instanzen unserer Existenz.

Aber auch die Medien stehen dem nicht nach, auch sie durchleben tief greifende Veränderungen. In den Familien lösen sie nicht mehr Erstaunen oder Diskussionen aus wie damals, am 20. Juli 1969, als die ersten Schritte eines Menschen auf dem Mond über alle Fernsehbildschirme der Welt flimmerten. Seitdem haben sich die gesellschaftlichen Strukturen verändert, genauso wie die Art und Weise, mit der man sich informiert. Das Fernsehen ist inzwischen derart alltäglich geworden, dass es für viele Menschen Hauptinformationsquelle ist, auch für Nachrichten aus der Wissenschaft. Als einfach zugängliches und beliebtes Medium weckt es die Neugierde, und durch seine optischen Darstellungsmöglichkeiten eignet es sich als didaktisches Werkzeug. Negativ ist allerdings seine zeitliche Linearität: der Bildschirm drängt den Zuschauern, die bei der kleinsten Unachtsamkeit den roten Faden verlieren, seinen eigenen Rhythmus auf. Im Gegensatz zum Leser hat der Zuschauer keine Möglichkeit. z. B. zurückzuspringen oder langsamer zu rezipieren und damit seinem eigenen Rhythmus zu folgen.


Wissenschaft als Sensation

Dass Information zu einer Ware geworden ist und ein angemessen großes Publikum ansprechen muss, ist nichts Neues. Genau dieser Jagd nach Schlagzeilen, nach den spektakulären, beunruhigenden Aspekten einer Nachricht wird jedoch zu viel Bedeutung beigemessen. Dieser Tendenz können sich selbst die wissenschaftlichen Nachrichten nicht entziehen, im Gegenteil: Sie nehmen einen immer wichtigeren Platz in der Gesellschaft ein. Ein Abdriften, unter dem die Glaubwürdigkeit der Wissenschaftsjournalisten genauso leidet, wie die der Wissenschaftler - und das ist für beide Seiten ein Grund zur Besorgnis. Marie-Claude Roland, Forscherin am französischen Institut für landwirtschaftliche Forschung INRA - Institut National de la Recherche Agronomique (FR), steht "dem Sensationswissenschaftsjournalismus, der Geschichten erzählt und den Abenteurergeist wieder aufleben lässt, aber die Bürger auch in Unruhe versetzt", skeptisch gegenüber. Diese Einstellung teilt sie mit Tanya Peterson. Direktorin des Fernsehzentrums des WWF, World Wildlife Fund (AU): "Das Fernsehen ist Unterhaltung, im Gegensatz zum Klimawandel. Aber wie würde die richtige Mischung aussehen? Wie weit kann man gehen, ohne der Wissenschaft zu schaden?"

Obwohl es schwierig ist, die Fortschritte und Probleme der Wissenschaften einem breiteren Publikum näher zu bringen, ohne den Inhalt zu verfälschen, ist dies eine Herausforderung, der sich die Europäische Union stellen muss, wenn sie auf eine Wissensgesellschaft zugehen, zu wissenschaftlichen Berufslaufbahnen anregen und eines Tages die Ziele von Lissabon erreichen möchte. Um eine "Vulgarisierung" der Wissenschaften zu erreichen und die Partnerschaft zwischen den Wissenschaften und den Medien anzuregen, müssen zuallererst die Unterschiede und die gegenseitigen Erwartungshaltungen dieser so unterschiedlichen Welten analysiert werden. Genau dieses Ziel verfolgen zwei spezielle Studien unter dem Titel European Research in the Media, die die Europäische Kommission anlässlich des Forums veröffentlicht hat.


Beziehung unter der Lupe

Die erste Studie befasst sich mit dem Standpunkt der Forscher. Diese sind meist in eine hoch spezialisierte Gemeinschaft integriert und bauen ihre Reputation im Laufe der Zeit auf der Grundlage von Präzision und Strenge auf. Zu sehen, dass ihre Arbeiten genutzt werden, um eine nur unzureichend erklärte oder schlecht begründete öffentliche Debatte zu nähren, kann ihrer Karriere ernsthaft schaden, und nur wenige sind bereit, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Aus der Studie geht hervor, dass die Kommunikation mit den Medien weit davon entfernt ist, Teil einer Kultur der europäischen Wissenschaftler zu sein, bei denen sie manchmal sogar als eine Perversion angesehen wird. Der Forscher, so Alan Leshner, müsse sich auf die "Kritik der Kollegen gefasst machen, für die das Gespräch mit den Medien fasst einer Prostitution gleichkommt". Sind diese sozioprofessionellen Hürden erst einmal überwunden, verfügt der Forscher, der seine Arbeit bekannt machen möchte, oft nicht über die entsprechende Ausbildung, um über seinen Fachjargon hinaus die richtigen Worte für die Kommunikation mit einem breiten Publikum zu finden. Der Schritt vom Labor zum Mikrofon verlangt von ihm einen zeitlichen Einsatz, den er von seiner wertvollen Forschungszeit abzweigen muss.

Aus Sicht der Medien zeigt die zweite Studie, dass das Zeitmanagement auch hier zu den bestimmenden Faktoren gehört. Die Redakteure müssen Sachverhalte schnell verstehen und mitteilen können, weil sie unter extremem Zeitdruck stehen. Auch müssen sie sich auf die unterschiedlichsten Erwartungshaltungen einstellen können, die oft schwer miteinander vereinbar sind. Die Wissenschaftler weisen den Medien in der Tat die Rolle des Vermittlers für die Öffentlichkeit zu und für sie ist es klar und selbstverständlich, dass ihre wissenschaftliche Arbeit untermauert ist. Somit besteht die erste Aufgabe des Journalisten nicht nur in der Aufklärung und der Wissensverbreitung, sondern auch darin, aus dem Blickwinkel einer kritischen Analyse zu berichten. Überdies können die Wissenschaftsjournalisten dem Druck des Lektorats nicht entkommen und müssen sich meist an Redaktionsrichtlinien halten, die, unter dem Joch der Leserzahlen, eher das Unterhaltsame und Spektakuläre vorziehen.


Vernunfthochzeit

Angesichts der eigenen Zwänge und besonderen Kulturen reduziert sich die Zusammenarbeit zwischen der Welt der Wissenschaften und jener der Medien oft auf einen Kompromiss. Aber für eine dynamische Kommunikation der Wissenschaft in Europa fehlen die Zutaten, die dieses Verhältnis über eine reine Vernunftheirat hinweg erheben könnten. In diesem Sinn verstärkt auch die Europäische Kommission ihre Initiativen (siehe Kasten Europäische Werkzeuge). Die erste, das Forum in Barcelona, ist nur ein Beispiel dafür. Aber hört man sieh die einzelnen Beiträge an, ist eine richtige Mentalitätsveränderung gefordert, insbesondere unter den Wissenschaftlern. Denn in der Tat lassen sich die europäischen Forschungsprojekte, die auch die Dimension der Kommunikation mit der Öffentlichkeit berücksichtigen, an einer Hand abzählen. Und sollten die Forschungszentren eine Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit auf die Beine stellen, spielt diese oft die Rolle des Filters, eines Damms und weniger die einer Schnittstelle zur Erleichterung der Kommunikation.

Um dagegen die direkte Beziehung zwischen den Medien und den Forschern zu vereinfachen, sollten Letztere in den Genuss einer Ausbildung gelangen, die allerdings heute, so Marie-Claude Roland, dennoch oft lückenhaft bleibt. "Seit 30 Jahren wird über die Ausbildung junger Forscher geredet. Es wurden viele Experimente gemacht, von denen einige auch sehr positiv verliefen. Allerdings werden die jungen Forscher immer noch als Handwerker gesehen und auch so eingesetzt. Die Kultur im Inneren des Forschungssystems verändert sich folglich nicht, und auch auf globaler Ebene hat sich kein Bewusstseinswandel vollzogen." Dieser Ansieht ist auch Steve Miller, Professor für Wissenschaftskommunikation am University College London: "Die Ausbildung von Wissenschaftlern folgt keinem Standard. Die Älteren bremsen manchmal den Nachwuchs, wenn dieser sich mit den Medien auseinandersetzt, was natürlich keinen Sinn macht."

Nun stehen Forscher allerdings beim Publikum in hoher Gunst. Will man der Eurobarometer-Umfrage 2007 Scientific Research in the Media der Generaldirektion Forschung Glauben schenken, die bei rund 27.000 Menschen in den 27 Mitgliedstaaten durchgeführt wurde, erscheinen die Wissenschaftler wie privilegierte Gesprächspartner. Die Umfrage selbst hat zu eher ermutigenden Ergebnissen geführt: Die Mehrheit der Befragten erklärt, sich für die wissenschaftliche Forschung zu interessieren, und die Hälfte hält die mediale Abdeckung der Forschung für ausreichend und zufriedenstellend. Es gibt allerdings auch Vorbehalte: Die wissenschaftlichen Informationen aus den Medien werden zwar als zuverlässig, objektiv, nützlich und vielfältig angesehen, aber auch zum Teil als schwer verständlich, kaum unterhaltend und fernab der Dinge, um die man sich Sorgen macht. Die Kommunikation funktioniert zwar, allerdings ist am Inhalt noch zu arbeiten.

DDH


Ein paar Zahlen aus dem Eurobarometer

Für die beiden Forschungsbereiche Medizin und Umwelt interessieren sich 62% bzw. 43% der Europäer.

56% der befragten Europäer geben an, mit den forschungsbezogenen Aktivitäten der Medien zufrieden zu sein. 54% glauben, dass sie genügend Raum einnimmt und 52% sind der Meinung, dass die Wissenschaftler ausreichend vertreten sind.

Knapp die Hälfte der Befragten ist jedoch der Ansicht, dass die wissenschaftliche Information durch die Medien eher schwer verständlich ist.

Als Hauptinformationsmedium für Wissenschaften wird das Fernsehen als das zuverlässigste Medium angesehen. Es liefert öffentliche Informationen über Forschungen an das größte Publikum: 61% der befragten Europäer bestätigen, dass sie sich regelmäßig Wissenschaftssendungen anschauen.

In den alten Mitgliedstaaten der Union ist die Bevölkerung wissenschaftlichen Informationen gegenüber offener eingestellt. Die Zahlen verweisen auf 80% für Schweden am oberen Ende der Skala und auf lediglich 24% für Bulgarien am unteren Ende.


Auf dem Forum vorgestellte Dokumente

European Research in the Media:
The Researcher's point of view:
ec.europa.eu/research/conferences/2007/bcn2007/researchers_en.pdf

What do Media Professionals think?
ec.europa.eu/research/conferences/2007/bcn2007/journalists_en.pdf

Scientific Research in the Media (Eurobarometerumfrage):
ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_282_en.pdf

Overview of Science Reporting in the EU:
ec.europa.eu/research/conferences/2007/bcn2007/overview_of_science_reporting_eu_en.pdf

European Guide to Science Journalism Training:
ec.europa.eu/research/conferences/2007/bcn2007/hb04_nov_part_a_b_en.pdf


Europäische Werkzeuge

A guide to successful communication:
Ein Kommunikationshandbuch für EU-finanzierte Projekte, die ihre Ergebnisse aufgrund des Aktionsplans Wissenschaft und Gesellschaft aus dem Jahr 2001 veröffentlichen müssen.
ec.europa.eu/research/conferences/2004/cer2004/pdf/rtd_2004_guide_success_communication.pdf

Europäische Wissenschafts- und Technologiewoche:
Visuelle Projekte, Animationen und Aktivitäten, mit denen gezeigt wird, wie weit Wissenschaft in den Alltag des Einzelnen hineinreicht.
ec.europa.eu/research/science-society/scientific-awareness/science-week_de.html

CER 2005 - Europäische Forschung kommunizieren:
Eine Konferenz, die Projektkoordinatoren und Kommunikationsexperten zusammenführt, um das Verständnis von den jeweiligen Rollen zu erweitern und die Art und Weise, wie Forschung der breiten Öffentlichkeit nahe gebracht wird, zu verbessern.
ec.europaeu/research/conferences/2005/cer2005/index_en.html

Descartes-Preis für Wissenschaftskommunikation:
Mit diesem Preis werden Projekte ausgezeichnet, die unter anderem die Wissenschaft bürgernah gestalten wollen.
ec.europa.eu/research/science-awards/research_en.htm

Internetportal Athenaweb:
Bietet Kommunikationsexperten kostenlos Filme und Bildmaterial an, um die Sichtbarkeit der europäischen Forschung zu verbessern.
www.athenaweb.org/

Internetportal Xplora:
Bietet Material und Werkzeuge für den wissenschaftlichen Unterricht in Europa an.
www.xplora.org/

Messenger:
Dieses Projekt des Programms "Wissenschaft und Gesellschaft" hat Wissenschaftler, Journalisten sowie Vertreter aus Industrie und Politik zum Thema der Wissenschaftskommunikation und der Entscheidungsprozesse zusammengeführt. Unter anderem ist in diesem Rahmen eine Dokumentation über die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Journalisten entstanden.
www.messenger-europe.org/


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Quelle:
research*eu Nr. 56 - Juni 2008, Seite 10-12
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2008
Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
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Chefredakteur: Michel Claessens
Redaktion: ML DG 1201, Boîte postale 2201, L-1022 Luxembourg
Telefon: 0032-2/295 99 71, Fax: 0032-2/295 82 20
E-Mail: research-eu@ec.europa.eu
Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2008