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FORSCHUNG/339: Einwanderung aus Sicht der Frauen (research*eu)


research*eu Nr. 56 - Juni 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Die Einwanderung aus Sicht der Frauen


Ein Migrant ist keine Migrantin. Die Forscher des Projekts Femage - Needs for Female Immigrants and their Integration in Ageing Societies - haben die Frage der Integration unter dem Gesichtspunkt der Geschlechter untersucht, wobei sowohl das Bild berücksichtigt wurde, das die Frauen im Ankunftsland haben, als auch das der Migrantinnen. Ziel: neue politische und soziale Wege unter Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse der freiwillig oder gezwungenermaßen Ausgewanderten anzubieten.


Eine Forschung, zwei Studien

Das Projekt Femage wurde in acht Ländern mit unterschiedlichem Ausländeranteil durchgeführt. Dieser beträgt 0,1 % in Polen gegenüber 25,8% in Estland und erreicht nur zwischen 1,5 bis 2% in Ungarn, Finnland, der Tschechischen Republik und Slowenien gegenüber 8% in Deutschland und 10 % in Österreich. Die Forscher haben für ihre Untersuchung eine quantitative und qualitative Vergleichsanalyse benutzt.

Zunächst haben sie die Daten der International Population Policy Acceptance Study (IPPAS) ausgewertet. Diese groß angelegte Umfrage mit einer großen Anzahl von Teilnehmern analysiert die Meinungen und Einstellungen zu verschiedenen sozialen Problemen - Demografie, Verwandtschaft und Familie -, zur Bevölkerungspolitik usw. Die Forscher haben daraus die Antworten der Frauen zwischen 20 und 59 Jahren ausgewählt, um deren Position zur Immigration mit denen der Migrantinnen der gleichen Altersgruppe zu vergleichen. Hierfür haben sie etwa 250 Ausländerinnen befragt, die seit mindestens drei Jahren in einem der Länder leben, die an der Befragung teilgenommen haben und einer von neun verschiedenen ethnischen Gruppen angehören.

Mit diesem doppelten Ansatz können zwar keine "wissenschaftlichen" Vergleiche der Daten angestellt werden, aber er lässt einen Schluss darauf zu, wie Integration und Diskriminierung sowohl von den Einheimischen als auch von den Migranten gesehen werden. Auf dieser Grundlage werden auf nationaler und europäischer Ebene Diskussionsgruppen mit Beteiligung von Experten, Akteuren und Migrantinnen gebildet. Erklärtes Ziel ist es, den politisch Verantwortlichen Ansätze für Maßnahmen zu liefern, mit denen die soziale und wirtschaftliche Integration der Migrantinnen erleichtert werden kann.


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Die Immigration, ein "universelles" Phänomen mit unterschiedlicher Akzeptanz, wird relativ gut (oder schlecht) erlebt, je nach dem historischen und sozioökonomischen Kontext des Aufnahmelandes, seiner Integrationspolitik, den kulturellen Unterschieden zwischen In- und Ausländern sowie vielen anderen Elementen. Hierzu gehört auch das Geschlecht. "Die Erfahrungen von Männern und Frauen sind ganz unterschiedlich. Die meisten Frauen, die in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingewandert sind, sind im Rahmen der Familienzusammenführung ihren Männern gefolgt. Dieses Eintauchen in einen neuen soziokulturellen Kontext geht mit drastischen Veränderungen der familiären Rollen einher. Viele Frauen sind von ihren Männern abhängig. Die Beziehungen zu ihren Kindern sind nicht immer einfach. Sie berichten von vielen Hindernissen bei der Arbeitssuche, der Ausbildung, der Integration und dem Erlernen der Landessprache und sie machen sich Sorgen um ihre Zukunft", erklärt Dragana Avramov, Forschungskoordinatorin von Femage.

Diese unangenehme Situation, in der sich Frauen bei der Immigration wiederfinden, steht im Mittelpunkt der Studie, die Forscher im Rahmen dieses Projekts in acht Ländern der Europäischen Union, darunter fünf neue Mitgliedstaaten (1), durchgeführt haben. Diese Untersuchung wurde von einer "gespiegelten Analyse" der Daten begleitet, woraus klar erkennbar wird, wie die Präsenz von Migrantinnen von den europäischen Frauen wahrgenommen wird (siehe Kasten). "Es gibt nationale Eigenheiten bei der Einstellung der Frauen gegenüber Immigration und Integration, aber der Unterschied zwischen dem Osten und dem Westen des Kontinents ist besonders deutlich."(2) Die positivsten Meinungen gab es in Österreich und in Finnland. Das (wiedervereinigte) Deutschland nimmt eine Zwischenstellung ein, während man dem "Anderen" in den ehemaligen sozialistischen Ländern zurückhaltender gegenübersteht.


Arbeitsmarkt

Worauf beruhen diese Vorbehalte? Sehr häufig sind sie auf die Angst vor wirtschaftlicher Konkurrenz zurückzuführen. In Polen, der Tschechischen Republik, in den Gebieten der ehemaligen DDR und in Ungarn sehen mehr als die Hälfte der befragten Europäerinnen in den Zuwanderinnen "Arbeitsplatzräuberinnen". "Hier ist man der Meinung, dass die Frauen den Männern die Arbeit wegnehmen. Als Frauen und Migrantinnen sind wir doppelt schlecht angesehen", sagt eine von ihnen. In Österreich und Ostdeutschland sind 25% bzw. 30% der Frauen dieser Meinung. Traditionsgemäß sind aber die Ausländer unentbehrlich, weil sie Arbeiten ausführen, die die Einheimischen nicht mehr übernehmen wollen. Diese Meinung vertreten 30-40% der Befragten in Slowenien, Westdeutschland und in der Tschechischen Republik - gegenüber 10% in Ungarn.

Von diesen Tätigkeiten erschließt sich ihnen - und vor allem den Frauen - seit Jahren besonders der Pflegesektor (Altenpflege, verschiedene häusliche Arbeiten usw.). "Viele Migrantinnen, die in diesen Bereichen arbeiten, sind überqualifiziert, was ein wirkliches Problem darstellt. Einigen werden ihre Diplome nicht anerkannt, und daher nehmen sie notgedrungen Stellen an, die in keinem Verhältnis zu ihren Kompetenzen stehen. Diese Abwertung führt zu einem Verlust von Humankapital, was sowohl für diese Frauen als auch für die Gesellschaft abträglich ist."

Das ist insbesondere die Erfahrung vieler Russinnen, die in die Europäische Union immigriert sind, wie eine von ihnen bekundet: "Um zu leben, müssen wir die erstbeste Arbeit annehmen, in der Hoffnung, dass es nur eine Übergangslösung ist. Aber die Zeit vergeht und unsere Berufserfahrung wird wertlos. Es geht so weit, dass wir unsere Selbstachtung verlieren. Wir wissen nicht mehr richtig, wer wir überhaupt sind."


Identität

Wer sind wir... "Dieses Kriterium der Identität ist zweifellos der schmerzlichste und komplexeste Aspekt des Immigrationsproblems. Je nach Geschlecht, Rasse, Religion, Alter usw. wird dies anders erlebt. Außerdem stellt sich das Problem für die Migranten der verschiedenen Generationen ganz unterschiedlich. Bei einer gut durchdachten Integrationspolitik muss jede Art der Situation berücksichtigt werden.

Die Untersuchungen von Femage zeigen außerdem, dass die Europäerinnen (abgesehen von den Frauen in Westdeutschland) nicht gerade zu den Befürwortern einer multikulturellen Gesellschaft gehören. Während ihr Frauen in Westdeutschland positiv gegenüberstehen (mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmerinnen finden den Austausch zwischen den Kulturen interessant), sind in der Tschechischen Republik und in Estland nur 30% dieser Meinung. Bestimmte "sichtbare" Merkmale, wie Aussehen, Verhalten, Kleidung, verstärken das Gefühl der Kluft zwischen Einheimischen und Ausländern. Die Anzeichen für kulturelle Unterschiede werden einfach dahingehend interpretiert, dass sich diese Personen abgrenzen wollen oder sogar das Gastland verachten (3). Die Forscher nennen das Beispiel der Türkinnen und Marokkanerinnen, die einen Ort verlassen haben, an dem sie einen hohen sozialen Status genossen haben. Da sie in ihrem Gastland keine Anerkennung von den Einheimischen erfuhren, wurden sie in ihrem Gefühl gestärkt, dass sie nur innerhalb ihrer eigenen ethnischen Gruppe valorisiert werden. Daher haben sie sich in ihr Privatleben zurückgezogen, obwohl dies anfangs nicht ihre Absicht war.

In anderen Fällen eröffnen sich weitere Perspektiven mit anderen Konsequenzen. Jugendliche und junge Frauen möchten studieren, einen Abschluss machen und nicht nur Arbeit finden, sondern auch ihre eigene Berufslaufbahn beginnen. Vielen von ihnen stellt sich dabei die eigene Familie als Hindernis entgegen, die es lieber sieht, wenn sie heiraten und Hausfrau werden. "Sie müssen enorm viel leisten, um beruflich erfolgreich zu sein. Gleichzeitig können sie aber nur in ihrer eigenen ethnischen Gruppe einen Partner finden und laufen Gefahr, von ihrer Familie verstoßen zu werden, wenn sie einen 'Fremden' heiraten. Sie müssen zwischen Arbeit und der Familie wählen."


Integration

Wie in vielen anderen Untersuchungen zu dieser Frage zeigt sieh auch hier, dass für die Befragten - für Europäerinnen und Ausländerinnen gleichermaßen - das Erlernen der Sprache der wichtigste Faktor für die Integration ist. Mehr als 80% der Befragten in Estland, Deutschland, Slowenien, Ungarn, der Tschechischen Republik und Österreich glauben, dass die Ausländer gezwungen werden müssen, die Sprache des Landes zu erlernen, in dem sie sich niederlassen. In den von Femage untersuchten Ländern hat Deutschland ganz einfache Maßnahmen getroffen, die es den Migrantinnen ermöglichen, gemeinsam mit ihren Kindern am Sprachförderunterricht teilzunehmen. Dadurch erhalten sie die Gelegenheit, sich in die schulische Arbeit einzubringen, andere Mütter kennen zu lernen, mit den Lehrern zu sprechen und in ein ganz anderes Milieu einzutauchen.

"Diese Sozialisierung ist wichtig, da sich die Integration nicht auf Sprache und Arbeit beschränkt. Sie muss in einem weiteren und komplexeren Sinne gestaltet werden und setzt eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben voraus. Auch wenn immer wieder einmal hier und da bekannte Persönlichkeiten als Beispiel für eine erfolgreiche Integration angeführt werden, scheint es doch keine Gruppe zu gehen, die eine echte Kommunikation mit der Gastgesellschaft im weiteren Sinne aufgebaut hat."

C.R.

Anmerkungen:
(1) AT-CZ-DE-EE-FI-HU-PL-SL.
(2) Alle nicht angegebenen Zitate stammen von Dragana Avramov.
(3) Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die Mehrheit der Europäerinnen (abgesehen von den Finninnen) in der Immigration nicht die Lösung für die demografischen Probleme eines alternden Kontinents sehen. Hierfür wäre die Akzeptanz einer größeren Anzahl von Ausländern nötig, und davon sind wir noch weit entfernt.

Infos: Femage
9 Partner - 9 Länder (AT-BE-CZ-DE-EE-FI-HU-PL-SL)
www.bib-demographie.de/


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Quelle:
research*eu Nr. 56 - Juni 2008, Seite 32 - 33
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2008