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BERICHT/132: Papyri, Scherben und ein verlassener Tempel (Junge Akademie Magazin)


Junge Akademie Magazin - Nr. 6/Juni 2007

Papyri, Scherben und ein verlassener Tempel
Die Ägyptologin und Orientalistin Verena Lepper

Von Isabell Lisberg-Haag


"Mit meinem Interesse für die Vergangenheit bin ich bereits in der Antike stecken geblieben und zwar mit großer Leidenschaft", bekennt Verena Lepper. "Mich fasziniert die ägyptische Kultur, diese fast 5.000 Jahre, die Zeit, aus der alles Spätere erwuchs." Die Leidenschaft regte sich früh, angefacht von einer motivierenden Geschichtslehrerin und einem großen Interesse an alten Sprachen.

Aus diesem Grund wechselte die damals 15-Jährige die Schule, um am Aachener Kaiser-Karls-Gymnasium ihr Abitur mit Latinum, Graecum und Hebraicum machen zu können: "Ein großes Privileg."

Doch ganz kalt ließen die Abiturientin die unsicheren Perspektiven zunächst nicht. Sie bewarb sich daher in Bonn für einen Studienplatz in Medizin und Ägyptologie, für beide bekam sie eine Zusage. Trotz der sehr schlechten Berufsaussichten entschied sie sich für das Altertum, und zwar von Anfang an interdisziplinär. Verena Lepper belegte die Fächer Ägyptologie, Semitistik, christliche Orientalistik und Altes Testament. "Für mich war es von Anfang an sehr wichtig, Ägypten und seine Sprachen mit den Nachbarkulturen in Beziehung zu setzen, Quellen aus verschiedenen Epochen zu lesen und somit auch diachron arbeiten zu können", erläutert sie ihre Wahl. Wer sich für Ägyptologie entscheidet, der muss "ackern", so Lepper. Fünf ägyptische Sprachen sind Pflicht, dazu verschiedene Schriften, Denkmalkunde, Archäologie, Paläographie, Papyrologie und viele weitere Spezialgebiete, um die älteste Kultur der Welt "entschlüsseln" zu können.


Sprache und Schrift sind der Schlüssel

Nicht nur Mumien und Pyramiden, sondern vor allem die schriftlichen Zeugnisse Ägyptens, wie Papyri und Tonscherben, fesseln die 34-Jährige bis heute. Es sind Zeichen, Texte und Sprache, die Verena Lepper in Beziehung setzt und auf diese Weise der Gedankenwelt vor über 4.000 Jahren ein wenig näher kommt. "Mein Zugang zur Kulturgeschichte geht zuerst über die Sprache. Auf dem Weg zu den Inhalten möchte ich die zugrunde liegenden Sprachmodelle ergründen. Diese führen mich zur Denkstruktur und somit zur 'Philosophie' einer Epoche." Deshalb lernte sie während des Studiums, das sie unter anderem in Bonn und Oxford absolvierte, neben den fünf ägyptischen Sprachen auch Akkadisch, Ugaritisch, Syrisch und Arabisch, intensivierte ihr Hebräisch und besuchte Aramäisch-Kurse - mit weitreichenden Folgen. Diese Lingua franca des fünften Jahrhunderts vor Christus wurde auch in Ägypten verwendet und Verena Lepper nahm sich schon im zweiten Semester vor, später diese aramäischen Papyri aus Ägypten unter die Lupe zu nehmen - genau dies macht sie jetzt in ihrem DFG-Forschungsprojekt.

Verena Lepper gräbt sich in ihren jeweiligen Untersuchungsgegenstand geradezu ein, sie legt als Archäologin der Texte Schichten frei, und zwar in philologischem Zusammenhang. Deshalb nahm sie sich für ihre Dissertation einen Papyrus vor, der von seiner Handschrift her aus dem 17. Jahrhundert vor Christus stammt, der Zeit vor dem Neuen Reich. Die Sprache datiert den Text selbst in das Mittlere Reich, er scheint älter zu sein als der Papyrus, und die Inhalte schließlich beschäftigen sich mit Themen und Motiven aus dem Alten Reich. Es geht hierbei also um eine Textarchäologie von mehr als 1.000 Jahren. "Ich saß wochenlang mit Lupe und speziellen Lampen im Ägyptischen Museum Berlin, habe jeden Tintenklecks und jede Knickfalte angesehen bzw. dokumentiert und dann eine neue Bearbeitung des gesamten Textes vorgelegt." Das Besondere dieses Textes: Dies ist der älteste belegte Kunstprosatext aus dem Alten Ägypten. Damit beginnen die Fragen: Ist der moderne Begriff Kunstprosa anwendbar auf einen solchen Text? Wie wurden solche Texte konzipiert, welche Stilistik lässt sich erkennen?

Seit gut zwei Jahren beschäftigt sich Verena Lepper nun mit einem Konvolut von über 100 Papyrus-Päckchen und macht damit ihren Plan aus dem zweiten Semester wahr. "Diese Papyri sind in aramäischer Sprache verfasst, und zwar von einer jüdischen Gemeinde, die auf der Nilinsel Elephantine lebte." Der strategisch wichtige Grenzposten war eine Militärgarnison, dort lebte diese Gemeinde - etwa 100 Jahre ihrer Existenz sind durch die Papyrus-Funde bezeugt. "Wir haben es mit einer der ältesten jüdischen Diaspora-Gemeinden zu tun, die außerbiblisch durch Originalquellen belegt ist", so Verena Lepper. Als sie das DFG-Forschungsprojekt "Elephantine" konzipierte, wusste sie noch nichts von weiteren Funden, die heute das Bild komplettieren.


Scherben für den Alltagsgebrauch

Vor wenigen Jahren legten deutsche und Schweizer Archäologen einen Jahwe-Tempel auf Elephantine frei - ein Beweis dafür, dass die Gemeinde ihren jüdischen Glauben dort auch praktizierte. Vor kurzem gelang den Forschern ein weiterer Coup: Sie gruben in den Schutthügeln der Häuserruinen mehrere hundert Tonscherben aus. Auf den so genannten Ostraka können sie die Alltagskorrespondenz der Menschen nachlesen. "Da Papyrus sehr teuer war, wurde er meist für offizielle Dokumente verwendet. Auf Tonscherben schrieben die Menschen Persönliches und Alltägliches, das heißt Notizen, Vermerke, kurze Texte oder Briefe", sagt die Ägyptologin. Sie erklärt den Wert der Funde: "Nun haben wir auch die Gegenstücke zu den offiziellen Papyri, nämlich Heirats- und Scheidungsurkunden, private Verträge über Erbangelegenheiten und Nachbarschaftsstreitigkeiten".

Wieder arbeitet Verena Lepper mehrschichtig. Sie schaut aus ägyptologischer Perspektive auf diese jüdischen Texte aus Elephantine, kann ihren judaistischen Hintergrund einbringen und damit archäologische und philologische Befunde zusammenführen. Wie lebte eine jüdische Gemeinde in Ägypten? Gab es Assimilation oder Abgrenzung? Kam es zu Sprachvermischungen? Was geschah, wenn ein Ägypter eine Jüdin heiratete? Welche Religion wurde praktiziert? Trotz der Funde bleiben noch viele Fragen: "wir wissen derzeit noch nichts über das Ende dieser Gemeinde. Der Tempel wurde archäologisch gesehen ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr genutzt, auch die Papyrusarchive schweigen hier. Hier muss man auf weitere Funde hoffen, alles andere ist noch unklar", sagt Verena Lepper.

Ihre Postdoc-Stelle hat sie in Bonn und Harvard und pendelt zwischen beiden Orten, die ihre beiden Forschungsstandbeine symbolisieren. "Die deutsche Ägyptologie ist sehr philologisch ausgerichtet, hier gibt es mehr Lehrstühle als in den gesamten USA. Im Gegenzug ist in den USA die Semitistik und Judaistik sehr stark vertreten. Allein in Harvard gibt es vermutlich mehr Forscher in diesen Gebieten als in ganz Deutschland", beschreibt sie ihren wissenschaftlichen Spagat. Dass sie nebenbei Ausstellungen plant und realisiert sowie als Lehrvertreterin an der Universität Bonn einen neuen Bachelor-Studiengang konzipiert und zur Akkreditierung führt, gehört für sie zum Berufsbild: "Welche Wissenschaftlergeneration hat diese einmalige Chance, die Universität von morgen mitzugestalten?"


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Quelle:
Die Junge Akademie Nr. 6/Juni 2007, Seite 20-21
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2007