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BUCHTIP/229: Woher der kommunistische "Glaube" kam (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 26.06.2007

Woher der kommunistische "Glaube" kam

Thomas Kroll ist neuer Professor für Westeuropäische Geschichte an der Universität Jena


Jena (26.06.07) In Buchläden und auf Buchmessen werden sie immer länger: die Regalreihen mit der Aufschrift "Biographien". Die Lebensbeschreibungen gekrönter Häupter, Politiker oder Schauspieler haben Konjunktur. Auch Prof. Dr. Thomas Kroll von der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat eine "Biographie" verfasst. In den Mittelpunkt seiner soeben veröffentlichten "Kollektivbiographie" hat der neu berufene Professor für Westeuropäische Geschichte aber keine mehr oder weniger berühmte Persönlichkeit gestellt. Vielmehr analysiert der Historiker darin ein Phänomen, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa ganze Generationen erfasste. "Zu keiner Zeit engagierten sich in Westeuropa mehr Intellektuelle für den Kommunismus", so Prof. Kroll.

Den Beweggründen der Intellektuellen, sich der kommunistischen Bewegung anzuschließen ging Thomas Kroll im Rahmen seiner Habilitation nach. In einer umfangreichen vergleichenden Studie analysierte er mehr als 600 Einzelbiographien von Intellektuellen aus Frankreich, Österreich, Italien und Großbritannien. "Den einheitlichen Typ des kommunistischen Intellektuellen in Westeuropa gibt es allerdings nicht", stellt der 42-Jährige fest. Während sich in Österreich vor allem an den Rand der Gesellschaft gedrängte Familien des jüdischen Kleinbürgertums dem Kommunismus zuwandten, rekrutierten sich in Frankreich die kommunistischen Intellektuellen aus den besten Familien der Mittel- und Oberschicht. "Viele von ihnen hatten Elitehochschulen besucht und standen in Staatsdiensten", so Kroll. Entsprechend unterschiedlich war auch ihr politisches Denken und Handeln. "Sie konnten sich als ergebene Diener ihrer Partei, aber auch als unabhängige politische Akteure verstehen, die sich die Aufgabe der politischen Erziehung ihrer Länder zuschrieben", macht der Historiker deutlich, der das Engagement für den Kommunismus in seiner Untersuchung auf einen weltlichen "Glauben" zurückführt.

Ein solch komplexes Bild lasse sich nur durch den Vergleich der Situation in verschiedenen Ländern zeichnen, so der gebürtige Ostwestfale, der die vergleichende Geschichtsbetrachtung deshalb als eines der zentralen Instrumente seiner wissenschaftlichen Arbeit ansieht. Auch die Studierenden will der Historiker, der französisch, italienisch und englisch spricht, für einen länderübergreifenden Blick sensibilisieren. "Jedes Land hat seine eigene Kultur. Das schlägt sich auch in der Form und Tradition der Geschichtsschreibung nieder." Der Blick über die Grenzen des eigenen Landes zahle sich wissenschaftlich aus, so seine Erfahrung.

Thomas Kroll selbst hat von den vergangenen zehn Jahren allein sieben im Ausland verbracht. Nach Abschluss seiner Dissertation an der Universität Düsseldorf ging er zunächst für drei Jahre nach Rom. Es folgten ein einjähriger Forschungsaufenthalt in Paris und anschließend drei Jahre in Salzburg. Von 2004 bis 2006 hat Thomas Kroll als Lehrbeauftragter am Historischen Institut der Uni Gießen gearbeitet und wechselte im vergangenen Jahr an das Institute for Advanced Study in Princeton (USA), bevor er nun dem Ruf an die Universität Jena folgte. "Heimatlos" habe er sich deshalb aber nie gefühlt. Zuhause sei für ihn der Ort, an dem seine Familie lebe. "Glücklicherweise konnte meine Familie mich bisher überall hin begleiten." So auch jetzt. Im Sommer werden auch seine Frau und die beiden Kinder an die Saale ziehen.

Originalpublikation:
Thomas Kroll "Kommunistische Intellektuelle in Westeuropa.
Frankreich, Österreich, Italien und Großbritannien im Vergleich (1945-1956)"
Böhlau Verlag, Köln 2007, 74,90 Euro, ISBN 978-3-412-10806-9.

Kontakt:
Prof. Dr. Thomas Kroll
Historisches Institut
der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 13, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944460
E-Mail: Thomas.Kroll@uni-jena.de

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution23


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Dr. Ute Schönfelder, 26.06.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2007