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BUCHTIP/309: Zusammenhang von Ehre und Gewalt in der Geschichte untersucht (idw)


Universität Kassel - 04.10.2010

Kasseler Historiker untersucht den Zusammenhang von Ehre und Gewalt in der Geschichte


Die Geschichte der Ehre sagt Grundlegendes über menschliche Kulturen schlechthin. Nichts ist so wirksam, wenn es gilt, gesellschaftliche Integration zu befördern und unerwünschtes Handeln zu sanktionieren.

Kassel. Warum Ehre? Ist Ehre nicht überholt? Sie gilt doch als Relikt vergangener Epochen und verkrusteter ständischer Beziehungen? Um Ehre kämpften antike Heroen und mittelalterliche Ritter, allenfalls noch Adlige, Offiziere und Bürger des 19. Jahrhunderts im Duell. Heute, so die geläufige Ansicht, wird für die Ehre nur noch in fernen mediterranen und arabischen Kulturen oder unter Zuwanderern gekämpft. Spektakuläre und erschreckende Fälle von Ehrenmorden werden als Ausdruck fremdartiger Lebenswelten in Deutschland interpretiert. Doch so einfach ist es nicht, wie der Kasseler Historiker Prof. Dr. Winfried Speitkamp in seinem jetzt erschienen Buch zur Geschichte der Ehre und des Ehrgefühls darlegt. "Denn warum ist in den Medien so oft von Ehre die Rede, beim Sport oder beim Ehrenamt, beim Ehrenwort oder bei der Ehrung verdienter Persönlichkeiten? Warum wird so unerbittlich um Beleidigungen gestritten, am Zaun des Nachbarn oder vor Gericht? Warum wird um Rang, Status und Hierarchie in der Gesellschaft gekämpft? Und warum genießen Geschichten um Heldentum und ehrenhaften Tod bis heute solche Anziehungskraft, von Troja-Filmen bis zu Samurai-Ausstellungen?", fragt Speitkamp. Die Geschichte der Ehre führt von der altgriechischen Krieger- und der altrömischen Amts- und Tugendehre über das Duellwesen als Huldigung an den 'Moloch Ehre' und bürgerliches Verdienstordenwesen bis hin zur multikulturellen Erfahrung mit mediterranen Ehrbegriffen, dem japanischen Bushido oder dem Stolz junger Männer im heutigen Kenia. Das Buch zeigt, dass keine Kultur auf Ehre als Regulativ verzichtet hat. Nichts ist so wirksam, wenn es gilt, gesellschaftliche Integration zu befördern und unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren. Materielle Anreize oder Strafen taugen dafür nur bedingt - und das vor allem dann, wenn sie wiederum mit Ansehen und Ehre oder Demütigung verbunden sind.

Offenbar sind Menschen also nicht bloß rational kalkulierende Wesen, die nur auf das Geld schauen; Anerkennung ist ihnen ebenso wichtig. Anscheinend können es auch heute noch Menschen kaum ertragen, wenn sie von der Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen, nicht akzeptiert, wenn sie gekränkt oder gedemütigt werden. Und wenn es Menschen um die Ehre geht, ist die Gewalt nicht fern, von der Ohrfeige, die eine Beleidigung zurechtrückt, bis eben zum Mord aus verletztem Ehrgefühl.

Prof. Dr. Speitkamp untersucht, warum und wie in der Geschichte um Ehre gestritten worden ist - auch wenn man immer wieder anderes unter Ehre verstanden hat. Und er macht deutlich, dass die Geschichte der Ehre Grundlegendes über menschliche Kulturen schlechthin aussagt, über Herrschaftsformen ebenso wie über den Standort des Einzelnen in der Gesellschaft oder über die Geschlechterordnung. Nicht zuletzt macht sein Buch einsichtig, warum Ehre und Gewalt so eng zusammenhängen. Diese Geschichte der Ehre will Aufklärung über Fremde und uns selbst leisten, denn zu einer friedlichen Verhandlung über Ehrkonflikte gehört das Wissen um die Geschichtlichkeit und Wandelbarkeit von Ehrvorstellungen.



Angaben zum Buch:
Prof. Dr. Winfried Speitkamp
Ohrfeige, Duell und Ehrenmord. Eine Geschichte der Ehre
Stuttgart: Reclam Verlag 2010.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Kassel, Christine Mandel, 04.10.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2010