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BUCHTIP/350: Dem Mythos Varusschlacht auf der Spur (idw)


Johannes Gutenberg-Universität Mainz - 11.06.2013

Dem Mythos Varusschlacht auf der Spur

Kulturanthropologe Jonathan Roth untersucht die heutige Bedeutung des Nationalmythos



Die antike "Schlacht im Teutoburger Wald" oder "Varusschlacht" wurde während des Prozesses der deutschen Nationalwerdung mit mythischer Bedeutung aufgeladen - obwohl zu dieser Zeit die historischen Spuren des Ereignisses bereits weitgehend verloren waren. Dennoch wurde der Sieg germanischer Krieger unter der Führung des Cheruskerfürsten Arminius über drei römische Legionen im Jahr 9 nach Christus zur Geburtsstunde der Deutschen verklärt und zum symbolischen Paten des entstehenden völkischen Nationalbewusstseins erkoren. Verkörpert wird diese Entwicklung durch das Hermannsdenkmal bei Detmold.

Das 2000. Jubiläum der "Schlacht im Teutoburger Wald" im Jahr 2009 hat der Mainzer Kulturanthropologe Jonathan Roth zum Anlass genommen, sich mit der heutigen Bedeutung dieses Nationalmythos auseinanderzusetzen. In seiner Studie, die jetzt im Waxmann-Verlag erschienen ist, beleuchtet der Mitarbeiter am Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) die erinnerungskulturelle Symbolik des historischen Ereignisses.

Bei seiner Spurensuche nach dem Hermannmythos widmete sich Roth verschiedenen Aktivitäten des "Varusjahres" 2009. Durch eine Analyse der Formen und Intentionen der Jubiläumsveranstaltungen werden dabei neue und alte Lesarten des Mythos aufgezeigt und damit alltagskulturelle Formen des gegenwärtigen Geschichtsdenkens deutlich gemacht. Die Studie beschreibt unter anderem die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der belasteten Rezeptionsgeschichte, die in zahlreichen Ausstellungen und Publikationen aufgearbeitet wurde. Ein nüchternes Programmjahr war das 2000. Jubiläum allerdings nicht. Denn die Bildsprache von Ausstellungen, TV-Dokumentationen, Sachbüchern, Geschichtsmagazinen, Comics, Merchandising-Artikeln und historischen Romanen zur Varusschlacht zitieren - bewusst und unbewusst - die klassischen Motive des Mythos und beschreiben so ein exotisches Bild der Vergangenheit. Über diesen Schwerpunkt hinaus wendet sich der Autor auch regionalen Veranstaltungsprogrammen zu und beleuchtet die identitätsstiftenden Intentionen moderner Geschichtspolitik. Gerade im westfälischen Raum wird der Hermannmythos als kulturtouristisches Alleinstellungsmerkmal verstanden, das für die Außendarstellung und Selbstwahrnehmung der Region in Anspruch genommen wird.

Im multimedialen Unterhaltungsangebot des "Varusjahres" erscheint der Mythos somit gleichermaßen als archaische Heldenerzählung, Merkmal regionaler Identität und als wissenschaftliche Dokumentation. Die Arbeit zeigt, dass das gegenwärtige Bild der Varusschlacht zwar keine Herkunftsgeschichte der Deutschen mehr beschreibt, aber nach wie vor viel Sagenhaftes enthält.

Veröffentlichung:
Jonathan Roth
2000 Jahre Varusschlacht: Jubiläum eines Mythos?
Eine kulturanthropologische Fallstudie zur Erinnerungskultur.
Waxmann, 2012

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution218

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Petra Giegerich, 11.06.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2013