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DISKURS/030: PR mit Rosa Luxemburg - Bemerkungen zu einer Leichenfledderei (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 4. Juni 2009

Bitte einen Beweis
PR mit Rosa Luxemburg: Bemerkungen zu einer Leichenfledderei

Von Klaus Gietinger


Im aktuellen Spiegel sieht man Michael Tsokos, den Chef des Rechtsmedizinischen Instituts der Berliner Charité, wie er sich über die angebliche Leiche von Rosa Luxemburg beugt. Das Foto ist von einer unglaublichen Obszönität und zeigt, worum es geht: Sensationsgier und Zerstörung des Mythos von der Revolutionärin Rosa Luxemburg. Doch Tsokos hat die falsche Leiche. Dazu einige Bemerkungen - und zu dem Interview, daß Tsokos' »Fachberater«, der Historiker Jörn Schütrumpf der jW gegeben hat (erschienen am Pfingstwochenende).

Die von Schütrumpf angesprochene Frauenleiche, meiner Überzeugung nach ist es die von Rosa Luxemburg, wurde am 31. Mai 1919 entdeckt und nicht am 30. Mai 1919. Sie wurde auch nicht, wie von Schütrumpf angegeben, ungefähr an der Stelle entdeckt, an der man Rosa Luxemburg in den Berliner Landwehrkanal geworfen hatte, sondern 400 Meter weiter abwärts an der Schleuse zwischen Freiarchen- und Stadtbahnbrücke.

In Zossen, wo Reichswehrminister Gustav Noske (SPD), der in den Mord verwickelt war, die Leiche hatte hinschaffen lassen, befand sich nicht das »Oberkommando des Heeres«, so etwas gab es nicht. Es gab die Oberste Heeresleitung (OHL) und die war zu diesem Zeitpunkt in Königsberg. In Zossen befanden sich Einheiten der mit der SPD-Regierung verbündeten Freikorps, u. a. das Freikorps Schmidt, in dem auch der Mörder Luxemburgs Hermann W. Souchon Dienst tat. Dorthin brachte man die Leiche Luxemburgs.

Die beiden Forensiker Dr. Strassmann und Dr. Fraenkel, die die Leiche obduzierten, gingen davon aus, daß es sich um die Leiche Luxemburgs handelte. Keiner hat Zweifel daran formuliert, wie jetzt behauptet. Sie wurde von ihrer langjährigen Freundin und Sekretärin Mathilde Jacob identifiziert durch ein goldenes Medaillon und weitere blaue Samtkleidungsreste, die man der Leiche abgenommen hatte. Daß er diese Stücke von der Leiche abgeschnitten hatte, bezeugte Fritz Eberhardt, der Polizeileichendiener am Leichenschauhaus Berlin in einer schriftlich fixierten, unter Eid gemachten, Aussage vom 3. Juni 1919.

Strassmann und Fraenkel stellten bei der Obduktion fest, daß die Haut der Leiche »offenbar durch Kleiderfarbstoff blaugefleckt« sei. Es wurden auch Fotos gemacht; anhand dieser Fotos hat der zeitweilige Lebensgefährte von Rosa Luxemburg, Paul Levi, diese eindeutig identifiziert.

Tsokos hat die beiden Obduktionsgutachten von mir und nicht aus dem Militärarchiv in Freiburg. Ich habe sie ihm nur unter bestimmten Voraussetzungen gegeben. Diese Voraussetzungen hatte ich mit seiner Agentur schriftlich fixiert. Weder Tsokos noch die Agentur haben sie eingehalten. Annelies Laschitza und ich, die wir beide von Tsokos mehrfach belästigt wurden, gaben ihm mehrere Tips, wo er DNA-Vergleichsmuster finden könnte. Wir wollten uns auch gemeinsam seinen sagenhaften Leichenfund ansehen, doch Tsokos sagte mehrere Termine ab, worauf Annelies Laschitza und ich uns aus der Geschichte zurückzogen. Ich machte Tsokos und seine Agentur trotzdem mehrfach darauf aufmerksam, daß ich ihren Fund nicht für die Leiche von Rosa Luxemburg hielt und bat sie, doch den DNA-Beweis dafür zu erbringen. Das ist bislang nicht erfolgt und wird auch nicht gelingen. Aus diesem Grund hat Tsokos dann mit uns nicht mehr kommuniziert und sich den in der Sache unkundigen Schütrumpf geholt, der prompt auf seine ganzen falschen Angaben reingefallen ist.

Zwar stellten Strassmann und Fraenkel keine Beinverkürzung oder eine Lahmheit fest, sprachen aber von einer »mäßige(n) alten Wirbelsäulenverkrümmung« und einer nach »außen ausgeschweift(en)« linken Hüfte. Die Leiche konnte also sehr wohl von einer hinkenden Frau stammen.

Es ist nicht, wie Schütrumpf behauptet, beweisbar, daß die falsche Leiche bestattet wurde, denn Strassmann und Fraenkel stellten eindeutig fest, daß die untersuchte Leiche eine sieben Milimeter große Wunde genau an der Stelle im Kopf hatte, an der der Mörder laut mehrerer Zeugenaussagen die Pistole angesetzt hatte. Sie gingen davon aus, daß die Kugel den Schädel durchschlagen hatte und wieder ausgetreten war. Lediglich Fraenkel merkte noch an, daß auch der Kolbenschlag Runges die Frau getötet haben könnte. Beide hielten aber den Schuß für die eigentliche Todesursache. Es ist falsch, wie von Schütrumpf behauptet, daß die untersuchte Leiche keine Kopfverletzung gehabt hätte.

Es stellt sich auch die Frage, woher man so schnell eine falsche Frauenleiche mit der gleichen Größe und mit einem Kopfschuß an der richtigen Stelle kriegen sollte, wollte man betrügen. Daß im Mordfall Liebknecht/Luxemburg viel gelogen und vertuscht wurde, vor allem mit Hilfe der SPD-Regierung ist unbenommen, nur hier ist es nirgends belegbar. Im Gegenteil: Kriegsgerichtsrat Ehrhardt war empört, daß Noske ihm die Leiche vorenthalten und nach Zossen hatte bringen lassen.

Ehrhardt hatte Mathilde Jacob sogar angeboten, einen Arzt ihres Vertrauens mit nach Zossen zu nehmen. Wenn er betrügen wollte, hätte er das wohl kaum getan.

Die Leiche Rosa Luxemburgs wurde nicht, wie von Tsokos und Schütrumpf behauptet, mit Draht umwickelt und Gewichten beschwert. Nur so können sie erklären, daß »ihre« Leiche keine Hände und Füße mehr hat. Keiner der Zeugen, weder die, die die Leiche in den Kanal warfen, noch jene, die dies von der Lichtensteinbrücke aus beobachteten, geschweige denn jene, die die Leiche Luxemburgs fanden, berichteten irgend etwas von einer Drahtumwicklung. Auch von fehlenden Gliedmaßen war bei der Bergung keine Rede. Im Gegenteil, ein Vermerk vom 2. Juni 1919 sprach davon, daß die Leiche sehr klein sei »1,46 groß, hat sehr kleine Hände und Füße«, Tsokos und Schütrumpfs Erklärungsversuche beruhen auf in den 20er Jahren gestreuten Gerüchten.

Daß sich Schütrumpf, ohne Annelies Laschitza oder mich zu kontaktieren, auf die Leichenfledderei eingelassen hat, ist sehr unerfreulich. Für mich hat er sich damit als Wissenschaftler disqualifiziert. Tsokos aber ist noch viel unseriöser. Sein Verhalten wirft die Frage auf, ob er für die Charité noch länger tragbar ist.


Klaus Gietinger ist Autor der Bücher »Eine Leiche im Landwehrkanal - Die Ermordung Rosa Luxemburgs« und »Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere«. Beide Bücher befassen sich intensiv mit dem Doppelmord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und sind in diesem Jahr in der Edition Nautilus, Hamburg, erschienen.


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Quelle:
junge Welt vom 04.06.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2009