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FRAGEN/008: Mystik des Lichts - Jörg Drauschke forscht zur Lichtkunst in Byzanz (Leibniz)


Leibniz-Journal - Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft 2/2015

Mystik des Lichts

Jörg Drauschke vom Leibniz-WissenschaftsCampus Mainz forscht zur Lichtkunst in Byzanz.

Interview: Jutta Witte


Bereits im alten Byzanz wussten die Menschen Licht in Szene zu setzen. Sie verfeinerten ihre Technik dabei immer weiter - zu Zeiten, als nördlich der Alpen noch überwiegend Kienspäne und einfache Tonlampen zum Einsatz kamen. Die Lichtquellen der einstigen Hochkultur und ihre Bedeutung für die damalige Gesellschaft erklärt der Mainzer Byzanz-Experte Jörg Drauschke.


Herr Drauschke, wir leben im Zeitalter von LEDs und Laserkunst. Warum beschäftigen Sie sich im 21. Jahrhundert noch mit dem byzantinischen Reich und seinen Lichtquellen?

Byzanz war, was vielen Menschen heute möglicherweise nicht mehr präsent ist, über viele Jahrhunderte die Leitkultur im Mittelalter, an der sich alles orientiert hat. Das wollen wir mit unserem Wissenschafts-Campus ins Bewusstsein rufen. Beim Thema Licht fasziniert mich, dass sich seine Funktionen zwischen der byzantinischen Zeit und heute gar nicht so sehr unterscheiden. Neben der einfachen Beleuchtung von Räumen wurde Licht schon vor über 1.000 Jahren gezielt genutzt, um bestimmte Dinge in Szene zu setzen - vor allem im sakralen Bereich. Bei der Planung von Kirchen haben die Architekten damals versucht, das Tageslicht zu steuern, etwa durch die Platzierung der Fenster oder Lichtöffnungen in der Kuppel. Durch den Einsatz künstlicher Beleuchtung wurden bestimmte Bereiche dann noch stärker akzentuiert. In der Theologie wurde eine regelrechte Lichtmystik entwickelt. Das Licht hatte also einerseits eine gar nicht hoch genug einzuschätzende Bedeutung für die Menschen. Andererseits stand es im Unterschied zu heute nicht einfach auf Knopfdruck zur Verfügung. Alles war mit einem großen Aufwand verbunden.


Welche Techniken haben die Byzantiner genutzt, um künstliche Lichtquellen ohne Strom zu erschaffen?

Im Prinzip bedienten sie sich spezieller Gefäße, die mit Öl gefüllt waren und in denen ein Docht lag. Seit der Antike kennen wir einfache und kostengünstige Varianten aus Ton, die auch Privatleute verwendeten. Nach diesen Vorbildern entstanden kurze Zeit später aufwändigere Lampen aus Bunt- und Edelmetalllegierungen. In der Zeit des frühen Christentums wurden sie mit christlichen Symbolen wie der Taube oder dem Kreuz verziert und besaßen zum Teil sogar mehrere Flammen. Schließlich entdeckte man im vierten und fünften Jahrhundert das Glas als Lichtträger, ein Material, das seinerzeit in großen Mengen zur Verfügung stand. Das war die entscheidende Innovation.


Welche Vorteile hatte denn Glas?

Es war wesentlich effektiver. Fachleute haben in Experimenten nachgewiesen, dass eine mit Rizinusöl befüllte Glaslampe eine Lichtstärke von 1,4 Candela erreichen konnte. Das ist fast doppelt so viel wie bei einer Ton- oder Metalllampe. Man kann das vergleichen mit dem Entwicklungssprung von der Glühbirne zum Halogenstrahler: Plötzlich stand eine deutlich höhere Lichtkraft zur Verfügung. Und die Menschen lernten schnell, diese Lichtquelle zu optimieren. Um das Material zu schützen, füllten die Menschen erst Wasser in das Gefäß. Darauf schwammen das Öl und der Docht. Wenn der Docht herunterbrannte, zerstörte er nicht das dünne Glas, sondern erlosch im Wasser. Zudem erhöhte das reflektierende Wasser den Lichteffekt.


Wie haben die Byzantiner diese Technologie weiterentwickelt?

Als nächstes kombinierten sie einzelne Glaslampen zu Polykandela, mehrflammigen Lichthaltern aus Metall. Sie erzeugten in einzelnen Bereichen besonders viel Licht - ähnlich wie kleine Kronleuchter. In einer Kirche durchschnittlicher Größe hingen bis zu zwölf davon im Hauptschiff an der Decke. Augenzeugen wie der griechische Historiker Prokop berichten uns zum Beispiel schon im sechsten Jahrhundert, wie die Hagia Sophia durch den Einsatz künstlichen und natürlichen Lichts förmlich erstrahlte. Im Laufe des Hochmittelalters entwickelten die Menschen dann Radleuchter, sogenannte Choroi. Sie konnten in spätbyzantinischer Zeit Durchmesser von über drei Metern erreichen. Das war für die Gläubigen beeindruckend und hat sicherlich niemanden kalt gelassen.


Wer war für diese Inszenierungen verantwortlich?

Das war Sache des ortsansässigen Klerus, also der Priester, Mönche und Äbte. Der liturgische Kanon legte genau fest, bei welchen Festen Licht eine besondere Rolle spielen und wie man sie im wahrsten Sinne des Wortes "highlighten" sollte. Ein besonderer Höhepunkt war zum Beispiel Ostern als licht- und lebenspendendes Fest. Welcher Beleuchtungsaufwand zu welchem Fest zu betreiben war, wurde in den Klosterregeln festgeschrieben. Daher kennen wir die Praxis.


War das nicht sehr aufwändig?

Die Investitionen in künstliche Beleuchtung waren beachtlich. Allein die großen Mengen Öl, die da zusammen kamen, dürften einiges gekostet haben. Zum Teil musste zusätzliches Personal bezahlt werden. Oftmals haben Stifter, die für ihr Seelenheil nach dem Tode sorgen wollten, nicht nur Leuchtgeräte zur Verfügung gestellt, sondern auch das Geld für die Leuchtmittel.


Hat sich diese Lichtkunst über Byzanz hinaus verbreitet?

Byzanz war ein handelsstarkes Land, das Metallgefäße, Schmuck oder auch Textilien bis ins heutige China, Spanien, Großbritannien und Skandinavien verkauft hat. Wir wissen auch, dass Venedig seit mittelbyzantinischer Zeit ein wichtiger Handelspartner war. Polykandela, das belegen archäologische Funde, wurden in Italien benutzt, aber dann verlieren sich ihre Spuren. Nördlich der Alpen gab es im Mittelalter keine vergleichbaren Lichtquellen. Neben vereinzelten Glaslampen waren das nur einfache Tonlampen oder Kienspäne, später wurden in zunehmendem Maße auch Kerzen genutzt.


Wo finden wir heute noch Spuren dieser Kunst?

Vor allem natürlich in Griechenland, aber auch auf dem Balkan und in Russland. Das sind die Gebiete, bis zu denen die orthodoxe Mission im Mittelalter vorgedrungen ist. Hier findet man nicht nur die typischen Kreuzkuppelkirchen. Auch Choroi sind heute noch im Einsatz, zum Beispiel in der Mönchsrepublik Athos oder in den griechischen Meteora-Klöstern. Dort lebt Byzanz bis heute weiter.


Welche Bedeutung hat Byzanz für das heutige Europa?

Durch seine jahrhundertelange Vorbildfunktion und kulturelle Ausstrahlung ist es ein bedeutender Teil seiner Identität. Wenn wir heute über Europa sprechen, müssen wir auch über Byzanz sprechen.


Jörg Drauschke ist seit 2013 Konservator im Kompetenzbereich Frühgeschichte und Byzanz des Römisch-Germanischen Zentralmuseums (RGZM) in Mainz und Mitglied im Vorstand des Leibniz-Wissenschafts-Campus Mainz: Byzanz zwischen Orient und Okzident. Der promovierte Ur- und Frühgeschichtler arbeitet unter anderem zur Archäologie des Byzantinischen Reichs, zur Buntmetallverarbeitung in Byzanz sowie zur Glasproduktion und -distribution in frühbyzantinischer Zeit.

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Quelle:
Leibniz-Journal - Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 2/2015, Seite 28-31
Herausgeber: Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
Matthias Kleiner
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2015

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