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FUNDSTÄTTEN/057: Agrigent oder... Multikulturalität vor zweieinhalbtausend Jahren (idw)


Universität Augsburg - 09.02.2015

Agrigent oder: Multikulturalität vor zweieinhalbtausend Jahren

Die Augsburger Archäologin Natascha Sojc folgt mit ihrem Team den Spuren der Koexistenz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen im antiken Akragas.


Augsburg/KPP - Prof. Dr. Natascha Sojc ist relativ neu an der Universität Augsburg. Erst zum 1. August 2014 hat sie die Nachfolge von Prof. Dr. Valentin Kockel auf der Augsburger Professur für Klassische Archäologie angetreten. Von der Universität Leiden, der letzten Station ihres wissenschaftlichen Werdegangs, mit nach Augsburg gebracht hat die Archäologin und gelernte Silberschmiedin ein von ihr bereits seit 2011 geleitetes Langzeitprojekt. Anhand der Spuren der materiellen Kultur des antiken Akragas, die Sojc mit einem internationalen Expertenteam aufspürt und verfolgt, erforscht dieses Projekt die multikulturellen Koexistenz unterschiedlichster indigener und zugewanderter Bevölkerungsgruppen an der sizilianischen Südküste im 6., 5. und 4. Jahrhundert v. Chr.


Foto: © Natascha Sojc

Auf dem Heiligtumshügel mit Blick auf die Ruinen des antiken Akragas und die Stadt Agrigent sammeln Augsburger Studierende Punkte für ein digitales Geländemodell.
Foto: © Natascha Sojc

Das heutige Agrigent ist als Weltkuturerbestätte für alle Sizilienreisenden ein Muss. An der Südküste der Insel gelegen, war das Gebiet des antiken Akragas in der Jungsteinzeit bereits erste Anlaufstelle für Siedler und Händler aus Afrika auf ihrem Weg nach Europa. Was diese Region historisch und archäologisch besonders interessant macht, sind die unterschiedlichen Kulturformen, die sie in der Zeit vom 6. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. prägten.


Über Generationen hinweg funktionierende Koexistenz

Ca. 580 v. Chr. gründeten griechischen Siedler dort einen Stadtstaat und stellten somit die institutionalisierte Form ihres Zusammenlebens der wohl nur losen Organisation der anderen Bevölkerungsgruppen der Region gegenüber. Diese multikulturelle Koexistenz von Siedlern griechischer, etruskischer und punischer Herkunft einerseits und der eingeborenen Bevölkerung scheint über mehrere Generationen hinweg gut funktioniert zu haben. Erst im Laufe der Zeit kam es vermehrt zu kriegerischen Auseinandersetzungen, zunächst ausgelöst durch den von den griechischen Städtern erhobenen Führungsanspruch, der 406 v. Chr. von den Karthagern durch eine militärische Besetzung von Akragas beantwortet wurde. Es folgte ein Wiederaufbau, der allerdings auf das Notwendigste beschränkt blieb, dann eine weitere Zerstörung der Stadt im ersten punischen Krieg und schließlich die Neugründung als römisches Agrigentum.

Bereits seit 2011 widmet sich Natascha Sojc gemeinsam mit mehreren internationalen Kooperationspartnern in Lehr- und Forschungskampagnen der materiellen Kultur aus dieser spannenden Epoche Agrigents: Die Forscher wollen wissen, wie sich hier zunächst eine hybrid-mediterrane Bildsprache herausbildete und die Produktion lokaler Gebrauchsgegenstände mit eigner Prägung begann; weiterhin wie die multikulturellen Strömungen zugunsten einer hellenisierten Kultur allmählich aufgegeben wurden, wie sie nach einer Phase der Stagnation auf niedrigem Niveau wiederbelebt wurden und wie sie schließlich in die globalisierte römische Kultur eingingen.

Sojc und ihr Team erforschen diese Langzeitentwicklungen durch die genaue Untersuchung eines unmittelbar an die heutige Stadt Agrigent angrenzenden Geländes, das in Sicht- und Hörweite zum Zentrum des ehemaligen Akragas steht. Mit Methoden der Geoprospektion und des Surveys, mit Oberflächenuntersuchungen des Geländes und dann im Zuge einer ersten Grabung haben die Archäologen festgestellt, dass sich auf dem untersuchten Hügelrücken in der frühen Phase friedlicher multikultureller Koexistenz ein Heiligtum befand. Bekannt ist, dass insbesondere ländliche Sakralzonen im Sizilien des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr. zur Konstruktion einer kollektiv-lokalen Identität der verschiedenen Bevölkerungsgruppen genutzt wurden, dass sie daher kulturelle Formationsprozesse widerzuspiegeln vermögen.


Aufschlussreiches Sakralgebäude ...

Im September 2014 konnten unter Beteiligung von Studierenden der Universität Augsburg sowie von deutschen und internationalen Archäometrie- sowie Botano- und Zooarchäologie-Experten, sowie von Bauforschungs- und Vermessungsspezialisten Überreste eines ersten Sakralgebäudes auf besagtem Hügel freigelegt werden: Unter einer Einsturzschicht , die nach ersten Vermutungen dem Überfall der Karthager zuzurechnen ist, fanden sich außerordentlich gut erhaltene Spuren von bisher rund 40 Opferhandlungen, die während der Ausgrabung sozusagen im Rückwärtsgang nachvollzogen wurden: lokal hergestellte Trinkschalen und Teller einer einfachen, daher billigen und für breitere Bevölkerungsgruppen erschwinglichen Machart fanden sich entlang der Wände des Sakralbaus niedergelegt. Die Füllung dieser Gefäße mit Oliven, Weizen- und Gerstelkörnern, Muscheln und Resten von Schweinen und Ferkeln deutet darauf hin, das es sich hier um Speise- und Trankopfer gehandelt hat.


... mit multikultureller Bedeutung

In Anlehnung an ähnliche aus Sizilien bekannte Zeremonien kann angenommen werden, dass in diesem Heiligtum ein Fruchtbarkeitskult praktiziert wurde, der an Erntedankfeiern denken lässt. Dass auch die Elite der Bevölkerung an diesen Kulthandlungen teilnahm, legen vereinzelte Weihegaben wie bronzene Opferschalen und andere Metallgegenstände, die nur Reiche sich leisten konnten, nahe. Die charakteristische Mischung der Funde, unter denen sich griechische und karthagische Gefäße ebenso finden wie indogen-"szilianische", offenbart die multikulturelle Bedeutung des Heiligtums. "Auch wenn wir zu den Namen der verehrten Gottheiten noch keine konkreten Aussagen machen können, so ist doch anzunehmen, dass es sich um eine lokale Sonderform der in Griechenland verehrten Demeter oder des Dionysos handeln wird", so Sojc.

Die Augsburger Archäologin geht davon aus, mit fortgesetzten Grabungen, die unter Beteiligung ihrer Studentinnen und Studenten und ihrer internationalen Kooperationspartner für 2015 geplant sind, weitere aufschlussreiche Kenntnisse über dieses Heiligtum und seine identitätsstiftende Bedeutung für die gemischte Bevölkerung des antiken Akragas gewinnen zu können. "Wir wollen", sagt Sojc, "darüber hinaus auch die Entwicklung dieses heiligen Ortes bis zu seiner Aufgabe im 3. Jahrhundert v. Chr. nachverfolgen und dann auch mehr über die Strukturen herausfinden, die sich in römischer Zeit dann auf diesem Hügel etablierten."


Foto: © Natascha Sojc

Oben eine Forschungsdrohne, die zusätzliche Informationen zum Grabungsplatz liefert, unten braucht Natascha Sojc Fingerspitzengefühl bei der Bergung eines fragilen Fundstücks.
Foto: © Natascha Sojc


Ein Geoinformationssystem zum römischen Augsburg

Natascha Sojc studierte in München und Heidelberg Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Provinzialrömische Archäologie. Nach der Promotion aus den Bereichen Gender und Ikonographie (2005 publiziert unter dem Titel "Trauer auf attischen Grabreliefs") wurde Sojc Postdoktorandin in Würzburg. Dort entstand auch ihre Habilitation zu den Palastanlagen römischer Kaiser. 2009 erhielt sie einen Ruf auf den Byvanck Lehrstuhl für Klassische Archäologie an die Universität Leiden (Niederlande), den sie bis zu ihrem Wechsel an die Universität Augsburg 2014 innehatte. Bereits seit 2004 leitet Natascha Sojc drittmittelfinanzierte Feldforschungsprojekte an denen sie Studierende und Graduierte beteiligt - zunächst in Rom, nun auch auf Sizilien. Über die aktuellen Grabungen in Agrigent hinaus verfolgt sie seit ihrem Wechsel nach Augsburg hier das Ziel, in Kooperation mit der Stadtarchäologie ein Geoinformationssystem zum römischen Augsburg aufzubauen.


Weitere Informationen unter:
http://www.philhist.uni-augsburg.de/lehrstuehle/archaeologie/aktuelles/Akragas-Projekt.html

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution58

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Augsburg, Klaus P. Prem, 09.02.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2015

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