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LÄNDER/119: Sachsen - "Geld, Credit, Speculationsgeist" - 2 (LTK)


Landtags Kurier Freistaat Sachsen 1/2007

"Geld, Credit, Specualtionsgeist" (Teil 2)
Eine vormärzliche Debatte über ein Aktiengesetz für Sachsen

Von Josef Matzerath


Sachsens Regierung war entschlossen, die "Entwicklung und Benutzung neuer finanzieller und industrieller Erwerbsquellen" für das Land zu erschließen, wie sie es in der Begründung des Aktiengesetzes formulierte. Dazu sollten "Viele gemeinschaftlich ein Kapital zusammenschiessen [und] ein Unternehmen wagen, unter der Voraussetzung gemeinschaftlichen Gewinnes und Verlustes nach dem Verhältnisse, nach welchem ein jeder an dem Geschäft Theil nimmt". Damit aber "das Publicum durch Unbesonnenheit oder unrechtliche Gewinnsucht einzelner Unternehmer nicht in Schaden gebracht werde", wollte das Ministerium sich die Statuten der Aktiengesellschaften vorlegen lassen und sich deren Bestätigung vorbehalten.

In den beiden Kammern des sächsischen Landtags war nicht strittig, dass Aktiengesellschaften für die Entwicklung Sachsens wünschenswert seien. Aber die Bestätigungspflicht durch das Ministerium führte zu verschiedenen Einwänden. Die Deputation der Zweiten Kammer, die sich mit der Gesetzesvorlage befasste, war der Meinung, dass es in Sachsen nur Aktiengesellschaften geben dürfe, die die Regierung genehmigt habe. Diese Maxime hätte allerdings dazu geführt, dass die Teilhaber der nicht genehmigten Unternehmen auf Aktienbasis mit ihrem privaten Vermögen für die Geschäfte der AG haftbar geworden wären. Daher sprachen sich fast alle Redner der Zweiten Kammer gegen diese Ansicht der Deputation aus. Der Widerspruch kam nicht nur von liberalen Repräsentanten des Bürgertums, sondern auch vehement von adeligen Vertretern der Rittergutsbesitzer. Ernst Philipp v. Kiesenwetter und August Heinrich Erdmann v. Thielau, die beide von den Rittergutsbesitzern der eher traditionell gesonnenen Oberlausitz ins Parlament gewählt worden waren, plädierten in ihren Redebeiträgen jeweils gegen eine Oberaufsicht der Regierung über die Aktiengesellschaften. Eine "Beaufsichtigung der Regierung", erklärte v. Kiesenwetter, sei "weder nützlich für die Actionaire, noch nützlich für das Publicum, noch für den Staat im Allgemeinen". Eine staatliche Überprüfung der Statuten sei doch immer zeitraubend und könne ein Unternehmen schon deshalb scheitern lassen, weil durch die "verlohrene Zeit ... der beste Moment zu dessen Beginne und somit die günstige Conjunktur wieder verschwunden" sei. Der adelige Rittergutsbesitzer votierte deshalb dafür, dass die staatliche Bürokratie die Aktiengesellschaften überhaupt nicht beaufsichtige. Denn, so argumentierte v. Kiesenwetter, es "Kann bei aller Intelligenz der hohen Staatsregierung, die ich ihr durchaus nicht abzusprechen beabsichtige, bei der sorgfältigsten Prüfung, die vorgenommen wird, geschehen, daß doch Unternehmungen unterdrückt werden, die einen glücklichen Erfolg gehabt hätten."

Auch v. Thielau sprach sich für eine klare Trennung von staatlichen und ökonomischen Aktivitäten aus. England zeige doch, wie sehr Aktiengesellschaften Handel und Gewerbe fördern könnten. Deshalb brauche auch Sachsen diese moderne Unternehmensform. "Fabrikanten und Gewerbetreibende" seien bislang oft nicht imstande gewesen, auf eigene Kosten die hohen Risiken neuer Geschäftsideen zu tragen. Sie hätten daher aus der Staatskasse Unterstützungen benötigt. Darum solle man "Privatpersonen überlassen, solche Unternehmungen aufs Ungewisse hin zu machen .... statt aus den Staatskassen einen Speculationsgeist zu unterstützen". Die Aktionäre könnten "immer noch am besten ihren Vortheil ersehen". Einen besonderen Schutz der Anleger hielt v. Thielau deshalb für unnötig. Er fragte: "Oder ist der Staat dazu da, um jeden Staatsbürger aufmerksam zu machen, daß er nicht einen Fehltritt thue?" Schließlich schütze der Staat herkömmliche Handelsunternehmen auch nicht vor Verlusten. Die Zweite Kammer entschied sich mehrheitlich gegen den Vorschlag ihrer Deputation, nur Aktienvereine zuzulassen, die von der Regierung bestätigt wurden. Die Erste Kammer sprach sich ebenfalls für die Zulassung von Unternehmen aus, die auf Aktienbasis gegründet waren. Sie verlangte aber zusätzlich zum vorliegenden Gesetzentwurf auch eine gesetzliche Regelung für die nicht vom Staat genehmigten Aktiengesellschaften. Obwohl die Regierung auf dem Landtag 1836/37 noch ein modifiziertes Gesetz vorlegte, einigten sich die Verwaltungsspitze und das Parlament letztlich nicht. Auf dem nächsten Landtag 1839/40 sandte die Regierung ein Dekret an die Kammer, in dem sie mitteilte, man habe die vom Parlament geforderten Änderungen am Gesetz nicht akzeptieren können. Durch die Erfahrung, die man inzwischen mit Aktiengesellschaften gesammelt habe, sei das "Bedürfniß [einer] gesetzlichen Regulirung" gesunken. Deshalb sei es angemessen, "vor einer Gesetzgebung hierüber annoch eine längere Erfahrung [und] die Vorschriften in andern Staaten abzuwarten". Sachsens Bürokratie hatte sich inzwischen mit der faktischen Existenz von Aktiengesellschaften arrangiert und gewährte dem Land den Nutzen dieser modernen Wirtschaftsform. Das erste deutsche Aktiengesetz erließ im Jahre 1843 Preußen.


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Quelle:
Landtags-Kurier Freistaat Sachsen 1/2007, Seite 19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2007