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MELDUNG/082: Neue Befunde zur religiösen Individualität in der Vormoderne (idw)


Universität Erfurt - 24.05.2011

Neue Befunde zur religiösen Individualität in der Vormoderne

Religiöse Individualisierung ist kein Privileg der Moderne. Zu diesem Befund kommt eine Untersuchung von Prof. Dr. Jörg Rüpke, Mit-Initiator der Forschergruppe "Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive" am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt, die seit Ende 2008 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird.


Die Ergebnisse seiner Forschung hat Prof. Dr. Jörg Rüpke jetzt im Mohr Siebeck Verlag unter dem Titel "Aberglauben oder Individualität" veröffentlicht. Zudem wurden sie im Rahmen von Gastprofessuren am Collège de France und an der Universität Aarhus vorgestellt.

In seinen Forschungen zur Religion des antiken Mittelmeerraums unternahm Rüpke eine Perspektivumkehr. Jüngere Untersuchungen zur religiösen "Abweichung" hatten sich auf den polemischen Gebrauch des Wortes "Aberglaube" (superstitio) konzentriert, das u.a. zur Ausgrenzung sozialer Randgruppen, ethnischer Minderheiten, aber auch religiöser Praktiken von Frauen benutzt wurde. Rüpke las nun die antiken Quellen erneut, um aus ihnen auch Informationen über Bandbreiten und Intensivierungsformen religiöser Praktiken zu gewinnen. Was, so fragte er, sind die Grundannahmen der normativen Äußerungen über Religion? Dabei wurde deutlich, dass von Cicero im 1. Jahrhundert v. Chr. bis in die spätantiken Gesetze des 4. Jahrhunderts n.Chr. die Annahme geteilt wurde, dass authentische und individuell verbindliche religiöse Kommunikation von Einzelnen mit Göttern möglich ist. Das stellte für diese Denker die Normierung religiösen Verhaltens vor große Schwierigkeiten. Der öffentliche Umgang mit religiösen Entscheidungen Einzelner über Sakralisierung von Gegenständen oder Kultstätten erfordert so oft umständliche Konstruktionen, um die Verbindlichkeit für Dritte einzuschränken. Überraschend war dann der Befund, dass sich auch die Polemiken auf bestimmte Felder konzentrieren, die sich am besten mit dem Begriff individueller "Erfahrung" beschreiben lassen. Hier spielt die "Divination" - der Zugang zu göttlichem Wissen oder, anders ausgedrückt, göttliche Offenbarung - eine wichtige Rolle. Ebenso große Bedeutung besitzt die Begegnung mit Götterbildern, zumal in Tempeln. Die Befunde haben also doppelte Bedeutung: Sie zeigen zum einen die große Bedeutung, die individueller religiöser Erfahrung in der Antike beigemessen wurde. Zum anderen zeigen sie eine Veränderung religiöser Vorstellungen und Praktiken in der römischen Kaiserzeit, die als "Individualisierung" angesprochen werden kann. Sie prägte das römische Religionsrecht, dessen Grundkonstellationen das Problem, Religionsfreiheit zuzugestehen und zugleich Religion zum Gegenstand von Recht zu machen, prägen und somit Bedeutung für heutige Rechtskonflikte haben.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Erfurt, Carmen Voigt, 24.05.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2011